Wie ein "Superspreader"-Event Corona in Indien verbreitete
Nach der wochenlangen verheerenden Corona-Welle, die das Land im März getroffen hat, scheint Indien auf dem Weg der Besserung. Die Zahl täglicher Neuinfektionen, die Anfang Mai noch mehr als 400.000 betrug, sinkt beständig: Am Montag wurden "nur" mehr 153.000 neue Fälle verzeichnet – der niedrigste Wert seit 11. April.
Während Indien also zaghaft aufatmet, warnen Politiker in Europa vor einer Ausbreitung der sogenannten indischen Corona-Variante. Ein britischer Experte sieht sein Land bereits am Beginn einer dritten Erkrankungswelle, ausgelöst durch die inzwischen auch im Vereinigten Königreich verbreitete Mutation.
"Die Epidemie gesät"
In Indien wird indes immer deutlicher, wie groß der Anteil der Kumbh Mela, eines der wichtigsten hinduistischen Feste, an der raschen Ausbreitung der Epidemie war.
Die britische Zeitung Guardian dokumentierte am Sonntag anhand mehrerer Fallbeispiele, wie schnell die zweite Coronawelle im April ausgehend von der Kumbh Mela in mehrere Landesteile schwappte. Sie rekonstruierte die Reisetätigkeit und den Krankheitsverlauf verschiedener Pilger und spricht von einem "Superspreader-Fest".
Dicht gedrängt
Von Anfang bis Ende April strömten insgesamt neun Millionen Menschen nach Haridwar im Norden Indiens. Am und im Ganges zelebrierten die Gläubigen Rituale, dicht gedrängt, ohne Masken und zum allergrößten Teil ungetestet. Allein drei Millionen Menschen kamen am 12. April zu einem der Höhepunkte der Kumbh Mela.
Die Polizei kontrollierte die Einhaltung der eigentlich vorhandenen Corona-Bestimmungen kaum, nach eigenen Angaben aus Angst, Unruhen oder gar eine Massenpanik auszulösen.
Obwohl Experten vor dem enormen Infektionsrisiko gewarnt hatten, hielt die Regierung des Bundesstaates Uttarakhand ebenso an der Abhaltug der Kumbh Mela fest wie die Zentralregierung in Neu-Delhi.
Premier Narendra Modi, dessen hindu-nationalistische Partei BJP in mehreren Bundesstaaten Wahlen zu schlagen hatte, versprach einen „sicheren“ Ablauf, lediglich die Dauer des Festes wurde von rund vier auf einen Monat verkürzt.
Mehr als lückenhaft
Als zwischen 10. und 14. April über 2.000 Menschen bei den mehr als lückenhaften Tests vor Ort positiv auf das Virus getestet wurden, rief Modi dazu auf, die Kumbh Mela ab sofort nur „symbolisch“ zu zelebrieren. Vergeblich.
Die Massen kamen weiter, Tausende trugen die Krankheit nach der Abreise in ihre Heimatdörfer. „Pilger säten die Epidemie“, zitiert der Guardian den indischen Virologe T. Jacob John.
Einer der Pilger war Thakur Puran Singh aus Rajauri im Bundesstaat Kaschmir, der mit zwei Söhnen und deren Familien fünf Tage an der Kumbh Mela teilnahm. Nach der Heimkehr zeigten sich Symptome bei dem 79-Jährigen, die auf Corona hindeuteten, der Zustand des Mannes verschlechterte sich.
Vier Hochzeiten
Da weder Singh noch die Familie an die Existenz des Coronavirus glaubten, wurde den Ärzten kein Glauben geschenkt. Singh starb – ebenso wie sein älterer Bruder, den er nach seiner Heimkehr aus Haridwar besucht hatte. Vier weitere Mitglieder der Familie erkrankten, und da sie zuvor vier Hochzeiten besucht hatten, gab es Dutzende weitere Infektionen.
"Hinduphob"
Laut Guardian versuchten einige Bundesstaaten anfangs, die Epidemie nach der Kumbh Mela mittels Contact Tracing einzudämmen. Sie seien aber angesichts der zunehmenden negativen Berichterstattung über die Folgen des Fest zurückgepfiffen worden. Der Vorwurf, die Kumbh Mela sei für die Epidemie mitverantwortlich, sei haltlos und „hinduphob“, hieß es u. a. in der BJP. Ein führender BJP-Vertreter aus Uttarakhand erklärte, der Glaube werde die Angst vor dem Virus besiegen.
Das dachte auch Pragyaanant Giri aus Vrindavan in Uttar Pradesh, den der Guardian ebenfalls porträtierte. Der 74-jährige Priester hielt das Coronavirus für erfunden, bis er nach einem Monat in Haridwar zuhause erkrankte und mehr als 12 andere Menschen ansteckte. Zwei Wochen lang lag Giri auf der Intensivstation, bevor er starb.
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