„Ein von unbeugsamen Appenzellern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringling geflissentlich zu ignorieren“, schreibt Die Zeit.
Schwellbrunn mit 1.500 Einwohnern, im Hinterland von Appenzell Ausserrhoden gelegen, wurde im Vorjahr zum schönsten Dorf der Schweiz gewählt. Seit Montag ist das Dorf dafür bekannt, dass dort eine Corona-Omertà herrscht.
Alle schweigen darüber, obwohl sie wissen, dass in ihrem Dorf das Virus umgeht. Aber „Werte zählen hier oben noch was“, sagen die Bewohner und halten eisern zusammen.
Jetzt ist Feuer am Dach: Bei einer Hochzeit am Samstag vor zwei Wochen kamen 200 Gäste zusammen, darunter mehrere, die wussten, dass sie Corona-positiv waren.
Die Hochzeitsgäste hätten vereinbart, sich nicht testen zu lassen und Stillschweigen zu bewahren, so berichtet es der kantonale Gesundheitsdirektor Yves Noël Balmer. Die Dorfbewohner wollten eine mögliche Quarantäne umgehen und feierten ein paar Tage später gemeinsam ihr Oktoberfest im Dorfstadl.
Die zwei Superspreader-Ereignisse haben nicht zum Lockdown geführt wie in Kuchl, denn Appenzell ist ein stolzer Kanton, da lässt man sich nichts vorschreiben.
Am Mittwoch immerhin gestand der Bräutigam in einem Interview: „Es ist einfach sehr dumm gelaufen. Aber uns als verantwortungslos hinzustellen, ist nicht fair.“ Die Hochzeit werde ihm immer in schöner Erinnerung bleiben. Auch die 27-jährige Braut, die am Freitag nach ihrer Hochzeit positiv getestet worden ist, hielt sich an die Omertà. Auf die Frage, warum sie nicht gleich gesagt habe, dass sie erst am Samstag mit 200 Gästen Hochzeit gefeiert hatte, antwortete sie: „Danach wurde ich nicht gefragt“. Der Kontakte-Nachverfolger wollte von ihr nur wissen, mit wem sie sich am Montag und Dienstag getroffen habe.
Frauenwahlrecht seit 1990
„Manche Dinge kommen in Appenzell etwas später an, so war es auch mit dem Coronavirus“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. „Die erste Welle zog an dem Bergvölkchen fast spurlos vorbei. Es gab keine Kurve, sondern eine Linie bei null.“ Jetzt gehört Appenzell zu den Hotspots in der Schweiz, die am Mittwoch über 8.700 Neuinfektionen meldete. Doch einen richtigen Lockdown soll es deshalb nicht geben. Die Sperrstunde wird auf 23 Uhr vorverlegt.
Die Appenzeller nehmen die Omertà-Vorwürfe locker. Das liegt in ihrer Natur. Als die Schweiz am 7. Februar 1971 das Frauenwahlrecht einführte, ließen sich die Appenzeller noch Jahrzehnte Zeit, ihren Frauen ein Stimmrecht auf kantonaler Ebene zu gewähren. Das mussten sich die Frauen mühsam per Klage verschaffen. Denn noch am 29. April 1990 hatten die Männer gegen das Frauenwahlrecht gestimmt. Am 27. November 1990 hebelte das Gericht diese Unbeugsamkeit aus.
Kommentare