"Ratzinger fehlte es an politischem Gespür": Pressestimmen zu Benedikts Tod
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist tot. Der gebürtige Bayer starb am Samstag im Alter von 95 Jahren im Vatikan, wie der Heilige Stuhl bekannt gab. Benedikt war von 2005 bis zu seinem Rücktritt 2013 Oberhaupt der katholischen Kirche.
Ab Montag soll der verstorbene frühere Papst im Petersdom in Rom aufgebahrt werden, damit Gläubige Abschied von ihm nehmen können. Die Trauerfeier ist am kommenden Donnerstag geplant. Papst Franziskus wird die Trauerzeremonie im Petersdom leiten. Geplant sei eine "schlichte Zeremonie" in Benedikts Stil, sagte Bruni. Erwartet werden Staatschefs und Geistliche aus der ganzen Welt. Die Beisetzung des früheren Papstes soll in der Krypta unter dem Petersdom erfolgen.
Pressestimmen
Corriere della Sera (online):
„Eigentlich war es (der Rücktritt Benedikts XVI.) keine mittelalterliche Geste, sondern eine sehr moderne, die sich aus einer anderen Ansicht auf das Pontifikat ergab als jener Wojtylas: eine Funktion und nicht nur eine Mission. Papst ist man nicht unbedingt auf Lebenszeit, sondern solange man sich dazu in der Lage fühlt. Ratzinger hatte nichts von seiner theologischen Finesse, seiner intellektuellen Klarheit und seiner geistigen Reinheit verloren. Tatsächlich ließen ihn gerade diese Finesse, Klarheit und Reinheit verstehen, dass er, um die Kirche weiter zu regieren, Dinge hätte tun müssen, nach denen ihm nicht war. (...)
Wenn ein Pontifikat auf traumatische Weise endet, verläuft die Nachfolge nie wie geplant. Die Beziehung zu Jorge Bergoglio (Papst Franziskus) war immer respektvoll; aber Unterschiede zwischen den beiden Päpsten gab es nicht nur in Sprache und Stil. Jetzt wird Franziskus fehlende Regelungen über das Zusammenleben zwischen einem amtierenden und einem zurückgetretenen Papst durchsetzen. Wir werden wohl nie wieder zwei weiß gekleidete Männer im Vatikan sehen. Der nächste emeritierte Papst, wenn es ihn gibt, wird woanders leben und andere Kleidung tragen müssen. Auch darin wird Joseph Ratzinger als Unikat in Erinnerung bleiben: ein Papst, anders als alle anderen.“
Die Zeit:
"In seinem Pontifikat reihten sich Skandale und Skandälchen schnell aneinander - die vermeintlich rückwärtsgewandte Wiedereinführung der alten lateinischen Messe, die Zurücknahme der Exkommunikation der Piusbrüder-Bischöfe, unter ihnen Holocaustleugner Richard Williamson -, bei denen aber formal alles korrekt zugegangen war. Nur half das nicht, die Leute scherten sich um die kirchenrechtliche Formwahrung nicht und Ratzinger fehlte das politische Gespür, das zu antizipieren."
Bild:
"Papst Benedikt war für mich vor allem immer eines: ein Mensch. Ein Mensch, dem bewusst war, dass es für jeden, der ihn traf DER Papst-Moment war. Und er schaffte es, diesen Moment für wirklich jeden zu etwas Besonderem zu machen. Er hörte zu, er lachte sein verschmitztes Lächeln, er berührte. Gerade in Deutschland, seiner Heimat, wurde sein Wirken leider oft verkannt. Dass ihm das weh tat, zeigt, wie sehr er immer Mensch geblieben ist."
Süddeutsche Zeitung:
"Der Dogmatik-Professor (Joseph) Ratzinger: Das Wort Dogma löst ja nicht unbedingt gute Assoziationen aus. Knopf eins, natürlich: Inquisition, Scheiterhaufen, Enge und Denkverbote. Enge und Denkverbote - das war und ist die Verirrung des Dogmas, der Ratzinger mit zunehmender Gelehrsamkeit nicht immer entgangen ist. Aber Dogmatik ist keine Basta-Wissenschaft, sie wird nur zu oft so gehandhabt. Mit Dogma kann man, idealiter, auch Aufrichtigkeit, gedankliche Klarheit, Glaube und Verstehen verbinden; und die Reflexion der Widersprüche. Dafür ist die Dogmatik eigentlich da - und Ratzinger wusste das sehr gut."
Tages-Anzeiger:
"Beheimatet in der griechischen Philosophie des Schönen, liebte Benedikt die perfekte Inszenierung des römischen Triumphalismus. Dazu passend gründete er seine Wahrheit auf dem unerschütterlichen Fundament der griechischen Philosophie. Für den Platoniker Ratzinger schwebte die Wahrheit der Dinge als Idee über der Welt - unveränderlich, unbeweglich, überzeitlich. Fixiert auf die objektive Wahrheit, huldigte er einer geschichtsfernen Theologie, überging das Subjektiv-Historische und liess es darum an politischem Gespür mangeln."
Spiegel:
"Wenn man vom Amt als Pontifex Maximus zurücktreten kann wie vom Posten eines Sparkassendirektors in Herne, dann hat ein solcher Schritt nicht nur Auswirkungen auf das Papstamt, sondern auf die ganze katholische Kirche. Das Papstamt wird so entmystifiziert. Der Papst wird durch einen solchen Akt wieder mehr zu dem, was er theologisch gesehen vor allem ist oder zumindest sein sollte: der Bischof von Rom. Die unselige Machtkonzentration im Vatikan, eine Fehlentwicklung der vergangenen Jahrhunderte in der römisch-katholischen Kirche, wird zurückgeschraubt. Und dass ein solcher Schritt hinter den hohen Mauern des Vatikans ausgerechnet von Ratzinger erfolgte, dürfte ein weiterer Beleg dafür sein, dass der liebe Gott im Himmel über einen ganz guten Humor verfügt."
Die Welt:
"Sein Aufstieg in der katholischen Hierarchie, vom Theologieprofessor zum Erzbischof bis hin zum Kurienkardinal und schließlich zum Papst war stets begleitet von merkwürdigem Zaudern und Zögern, wie bei einem schwindelnden Bergsteiger. Je höher Benedikt gelangte, desto größer wurde seine Sehnsucht nach einem beschaulichen, zurückgezogenen Leben in stiller Andacht. Träumereien eines Panzerkardinals."
Blick:
"Der Deutsche war der erste Papst, der sich für den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche entschuldigte und sich mit Opfern traf. Doch agierte er zögerlich. Seine Gegner kritisierten ihn dafür, es nicht geschafft zu haben, die Vertuschung der Missbrauchsskandale durch die Kirche zu beenden. (...) Mit seinem Amtsverzicht schrieb Ratzinger Kirchengeschichte: Benedikt war der erste Papst seit 1415, der sein Amt als Oberhaupt der katholischen Kirche aufgab."
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