Der Mexikaner lebt mittlerweile in Wien, wo er am Complexity Science Hub (CSH) forscht und am Freitag eine international viel beachtete Studie präsentierte: „Mit unserem Modell ist es uns erstmals gelungen, die Größe mexikanischer Kartelle zu quantifizieren.“
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Basierend darauf erstellte das dreiköpfige Forscherteam vor der nächstjährigen Präsidentschaftswahl konkrete Handlungsstrategien für die Politik, „um so die Gewaltspirale in Mexiko zu durchbrechen.“
Denn diese droht zu eskalieren: In dem 127-Millionen-Einwohner-Land wurden 2021 34.000 Menschen ermordet, das entspricht fast 27 Opfern pro 100.000 Einwohnern. Zum Vergleich: Österreich kommt im selben Zeitraum auf nicht einmal einen Mord pro 100.000 Einwohner. Ein nicht unwesentlicher Teil der vorsätzlichen Tötungsdelikte in Mexiko geht auf die rund 150 dort ansässigen und verfeindeten Kartelle zurück.
Vom Ermittler zum Forscher
Prieto-Curiel kann das nicht nur anhand seiner Studienergebnisse belegen. Er arbeitete fünf Jahre als Analyst bei der mexikanischen Polizei: „Ich bin Mathematiker und habe meine Karriere im Finanzwesen begonnen. Dort habe ich bemerkt, dass es meine Aufgabe ist, Reiche noch reicher zu machen. Das konnte ich nicht mit mir vereinbaren. Ich habe gekündigt und bin zur Polizei, um Kriminelle zu analysieren und ihnen einen Schritt voraus zu sein.“
Ein Job, den er laut eigener Aussage geliebt hat, ehe er über mehrere Stationen, unter anderem an der Universität von Oxford, eine akademische Laufbahn einschlug. Diese brachte ihn im Vorjahr schließlich nach Wien, wo er nun am CSH seine mehrjährige Studie abschloss.
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Diese zeigt, dass die Kartelle ständig wachsen – das obwohl die kartellbedingten Todesfälle von 2012 bis 2021 um 77 Prozent gestiegen sind. Derzeit sollen die mafiösen Gruppierungen bis zu 185.000 Mitglieder zählen. Das macht sie zum fünftgrößten Arbeitgeber des Landes.
Das diesen Berechnungen zugrunde liegende mathematische Modell, das die Kartellentwicklung anhand von Mord-, Vermissten- und Inhaftierungsdaten in Mexiko untersucht hat, zeigt, wie brutal die Drogenmafia ist: Demnach werden in zehn Jahren 17 Prozent der von Kartellen angeworbenen Personen tot sein. Weitere 20 Prozent werden im Gefängnis sitzen. „Die Karrierewege in den Kartellen sind sehr kurz und gewalttätig“, fasst Prieto-Curiel zusammen.
Rekrutierung muss aufhören
Besonders tragisch sei, dass die Gruppierungen vor allem Jugendliche rekrutieren. Diese seien oft erst zwischen 13 und 16 Jahre alt und nicht gut ausgebildet. Bei Fehden zwischen den Banden, bei denen es eigentlich um Territorien geht, würden dann auch Unbeteiligte zu Schaden kommen.
Laut Prieto-Curiel und seinem Team braucht es einen Strategiewechsel. Seit der Amtszeit von Ex-Präsident Felipe Calderón 2006 hätten die Staatsoberhäupter stets ähnliche Zugänge gehabt: Einerseits wurde gegen ranghohe Drogenbosse vorgegangen, andererseits wurden jährlich fast 6.000 Mitglieder inhaftiert. Beides funktionierte nicht, da entweder neue Mitglieder nachkamen oder die Organisationen implodierten und blutige Fehden die Folge waren.
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Wirksam wäre es laut den Forschern auf Prävention statt Reaktion zu setzen und die Rekrutierung zu stoppen. „Wir müssen weg von dieser Narco-Kultur, die durch Filme und Serien den Eindruck entstehen lässt, das wäre ein erstrebenswertes Leben. Unsere Studie zeigt das Gegenteil und das müssen speziell die jungen Menschen in Mexiko erfahren.“
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