Der „Filialleiter“ eines Drogenimperiums: „Ich bin nicht schuldig“

Sein Leben soll von Morden und schweren Verbrechen geprägt sein, doch gefährlich wirkt der mutmaßliche Mafiapate Dario D. am Mittwoch im Wiener Landesgericht nicht. „Vor der Haft habe ich in einem Kaffeehaus gearbeitet“, behauptet der klein gewachsene, stämmige Serbe. Die Version der Staatsanwaltschaft klingt anders. Der Anklage zufolge soll der 35-Jährige in zwei Jahren die Einfuhr und den Verkauf von mehr als 500 Kilogramm Heroin und Kokain nach Österreich organisiert haben.
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„Vor uns sitzt der österreichische Filialleiter einer serbisch-montenegrinischen Mafia-Bande“, hält der Staatsanwalt fest. In dieser Rolle gilt der mutmaßliche Capo als berüchtigt. Neben den Drogengeschäften im großen Stil, die am Mittwoch Verfahrensinhalt sind, wurde er in Serbien 2008 wegen zweifachen Mordes verurteilt. Auch Mordaufträge und abgetrennte Körperteile im Zuge blutiger Clanfehden sollen auf seine Kappe gehen. Diese Skrupellosigkeit hat ihm den Spitznamen „Dexter“ – angelehnt an einen TV-Serienmörder – eingebracht.
Auftakt
Der Mittwoch war erst der Start des Mega-Prozesses. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen sind sechs Verhandlungstage anberaumt. Das Urteil soll frühestens am 12. Oktober fallen.
Haft
„Dexter“ wurde bereits im Vorjahr am Wiener Landesgericht wegen schweren Raubes zu elf Jahren Haft verurteilt. Der Schuldspruch wurde mittlerweile vom Obersten Gerichtshof (OGH) bestätigt.
500 Kilo
Diese Menge Suchtgift soll der Serbe in Österreich in Umlauf gebracht haben. Deswegen steht er aktuell vor Gericht.
„Auf seiner Liste will man nicht landen“, heißt es aus mit dem Verfahren vertrauten Anwaltskreisen. Das denken am Mittwoch offenbar auch alle zum Prozess geladenen Zeugen. Es handelt sich um acht Mitglieder aus „Dexters“ rund 200 Personen umfassender Gruppierung. Alle acht befinden sich derzeit in Haft. Abgesehen vom ersten Zeugen, Dejan S., der in der Josefstadt einsitzt, werden sie alle per Video aus den unterschiedlichen Justizanstalten zugeschaltet.
Mit FBI-Hilfe überführt
Die Befragung des ersten Mannes zeigt, warum: Als der 29-Jährige den Gerichtssaal betritt, treffen sich sein Blick und jener des Angeklagten nur für den Bruchteil einer Sekunde. Viel zu hören ist von Dejan S. in Folge nicht: „Ich lehne eine Aussage ab.“ Aber auch jene Zeugen, die sich bei der Befragung nicht im selben Raum wie „Dexter“ befinden, scheinen „gut beraten“ zu sein. Ihre Versionen klingen alle ähnlich: Ihre Anwälte hätten Druck auf sie ausgeübt, deshalb hätten sie bei früheren Verfahren Delikte gestanden. Und den Beschuldigten hätten sie noch nie gesehen, dementsprechend könnten sie nicht gegen ihn aussagen.
Auch ohne dass die Männer ihren laut Anklage ehemaligen „Filialleiter“ belasten, scheint die Beweislage am Mittwoch relativ eindeutig. Denn zu Fall gebracht haben „Dexter“ vermeintlich abhörsichere Krypto-Handys. Dem FBI war es gelungen, die verschlüsselten Mobiltelefone zu knacken und Chatprotokolle krimineller Vereinigungen sicherzustellen. Mehr als 300 einzelne Suchtgiftdeals ließen sich so in Österreich nachweisen.
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Werner Tomanek, Strafverteidiger von Dario D., wies die Geschworenen am Mittwoch daraufhin, dass der behauptete Verkauf von Hunderten Kilogramm Suchtgift während der Corona-Pandemie und damit „im tiefsten Lockdown, ohne Nachtgastronomie“ stattgefunden hätte. Das sei zu bezweifeln.
Außerdem stellte er die Verwertbarkeit der Beweismittel infrage, da die vorausgegangene Überwachung in Österreich nicht zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof (OGH) bestätigte in der Vergangenheit allerdings, dass die Beweise verwendet werden dürfen.
Markante Stimme
In den entschlüsselten Daten fanden sich zahlreiche Selfies des Angeklagten sowie Sprachnachrichten, in denen er Aufträge gibt. Aufgrund seiner markanten Stimme sei Dario D. eindeutig identifizierbar, so der Staatsanwalt.
Der mutmaßliche Mafiapate wollte davon nichts wissen: „Wir leben im 21. Jahrhundert, das kann man manipulieren“, rechtfertigte er sich. Warum bei ihm mehrere Krypto-Handys gefunden wurden, beantwortete er nicht.
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Ein Smartphone sorgte auch während des Prozesses für ungewöhnliche Szenen. Der Richter forderte in einer Unterbrechung eine Angehörige von „Dexter“ auf, ihr Handy herauszurücken. Ein Justizwachebeamter hatte sie offenbar im Vorfeld beobachtet, wie sie während der Verhandlung Fotos machte. Zu welchem Zwecke die Aufnahmen gefertigt wurden, war unklar.
Klar ist aber bereits nach dem ersten Prozesstag: Auf „Dexters“ Liste sollte man nicht landen.
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