Marbella: Glitzernde Welthauptstadt des Drogenhandels
Der Mann, dem sie das Leben retteten, erinnerte die Polizisten von Marbella an Jesus. Ein Heiliger war er aber trotz der durchbohrten Fußsohlen keiner. Ebenso wenig jener Pole, dem Schweden zwei Löcher in die Beine geschossen hatten. Was die beiden Opfer verbindet? Beide verzichteten auf Aussagen oder Anzeigen.
Die Behörden in dem südspanischen Städtchen sind an solche Bilder und Praktiken längst gewöhnt. Die Hafenmetropole an der Costa del Sol, kaum größer als die Stadt Salzburg, ist zu einem Paradies für dunkle Machenschaften geworden.
Laut aktuellen Daten aus dem spanischen Geheimdienstzentrum gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität operieren mindestens 113 organisierte Gruppen mit 59 verschiedenen Nationalitäten von Marbella aus. „Eine Person aus Liverpool, die Drogen in großem Umfang handeln will, weiß, dass sie in Marbella erscheinen muss. Man hat keine Wahl“, beschreibt Marcos Frías, der Chef der spanischen Polizeieinheit gegen Organisierte Kriminalität, die Situation gegenüber El País.
Wir machen uns keine allzu großen Sorgen um die Polizei. Wir haben bessere Medien und Technologien.“
Die spanische Zeitung zeichnete vor Kurzem ein detailreiches Bild von den Zuständen an der Costa del Sol. In Dutzenden – großteils anonymen – Gesprächen mit Ermittlern, Staatsanwälten, Opfern und Tätern, Unterhändlern sowie Clan-Chefs wird eine milliardenschwere Schattenwelt beschrieben, deren perfektionierte Abläufe die Behörden vor kaum lösbare Aufgaben stellen. „Wir machen uns keine allzu großen Sorgen um die Polizei. Wir haben bessere Medien und Technologien“, wird ein Mann der Camorra zitiert. Auch die berüchtigte italienische Mafia organisiert von Marbella aus ihre Drogenlieferungen in alle Welt.
Wie kam es dazu? Wie wurde der wärmende Zufluchtsort für Neureiche und Altinternationale wie Josef Hickersberger oder August Starek zur „Hauptstadt des Drogenhandels“, wie sie ein Ermittler bezeichnet.
Die Lage im äußersten Süden Westeuropas spielt eine wesentliche Rolle, zu dem Schluss kam auch Wissenschafterin Jennifer Sands von der Universität Leeds in ihrer Forschung zur organisierten Kriminalität in Spanien.
4.200 Kilometer lang und größtenteils unkontrolliert ist die spanische Küste. 300 Kilometer davon nimmt die Costa del Sol ein. An deren Südspitze sind es lediglich 15 Kilometer bis nach Marokko, dem weltgrößten Haschisch-Produzenten; der Hafen von Algeciras, wo die Schiffe aus Südamerika eintreffen, gilt wiederum als Umschlagplatz für Kokain; im Norden der Region, bei Granada, beginnen die Berge der Sierra Nevada, wo dank des idealen Klimas mittlerweile mehr Marihuana angebaut wird, als irgendwo sonst in Europa.
Dass es mit dem britischen Überseegebiet von Gibraltar ein Steuerparadies mit mehr Firmen- als Wohnadressen (und ohne spanischen Behördenzugriff) quasi ums Eck gibt, schadet den illegalen Geschäften auch nicht.
Marbella galt schon in den 1970er-Jahren als mondäner Mittelpunkt der Costa del Sol. Mit dem Ende der Franco-Diktatur kam der internationale Tourismus. Und mit ihm das Geld, viel Geld. Woher die Pfund, Rubel und Dollar stammten, interessierte lange Zeit niemanden. Investiert wurde rasch in Immobilien. Auch heute stehen in Marbella mehr Millionen-Villen als in Madrid.
Die Günstlingswirtschaft in der spanischen Bau- und Immobilienbranche kam den neuen Bewohnern nicht ungelegen. Selbst im aktuellen Korruptionsindex von „Transparency International“ liegt das Land unter dem EU-Durchschnitt. Die Behörden, die selbst erst den Filz der Franco-Ära durchdringen mussten, arrangierten sich. Nachzusehen ist all das auch in der Netflix-Serie „Brigada: Costa del Sol“, die im nahen Torremolinos spielt (siehe Trailer oben).
Doch das Ausmaß und die Brutalität der jüngsten Vorfälle irritierten selbst Alteingesessene. Die Pandemie mit ihren Grenzschließungen hat den Warenverkehr zum Stillstand gebracht. Das gilt es nun mit aller Härte aufzuholen. Verhandlungen unter den Clans gebe es kaum noch, sagt ein Polizist zu El País: „Diese Leute lösen alles mit Schusswaffen.“
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