Wie eine "Löwin" 36 Stunden lang das Sommerloch füllte
Nichtige Regierungsstreitigkeiten trotz Sommerpause, die tausendste Sonntagsumfrage zur nächsten Bundestagswahl in mehr als zwei (!) Jahren – knapp 36 Stunden lang schienen die sonst dauerpräsenten Nachrichten in den deutschen Medien vergessen. Auf der Startseite der Bild prangerte ein "Löwen-Live-Ticker": "So berichten Medien weltweit über die Löwen-Jagd" und "Neuer Hinweis: Löwin Richtung Autobahn unterwegs!" Eine vermeintlich frei laufende Wildkatze in Berlin, die niemand vermisst – gibt es einen besseren Füller für das mediale Sommerloch?
Großeinsatz
In der Nacht auf Donnerstag waren ein Notruf und ein Video aus der 20.000-Einwohner Gemeinde Kleinmachnow südwestlich von Berlin bei der Polizei eingegangen. Auf den Bildschnipseln zu sehen, nur ein paar sekundenlang und etwas unscharf, aber für Augenzeuge und Polizei offenbar unverkennbar: eine Löwin.
Noch in der Nacht rückte man aus – mit Hubschrauber, Wärmebildkameras, Drohnen und über 100 Polizisten. Zoos, Tierparks, Zirkusse und Tierschutzeinrichtungen in der Umgebung wurden überprüft. Laut Landesumweltamt sind in Brandenburg 23 Löwen gemeldet, in drei Zirkussen, zwei Zoos und einmal in privater Haltung – eine der interessanteren Nebenerkenntnissen der großen Suchaktion – aber nirgends wurde ein Raubtier vermisst.
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Als Berlin am Donnerstag erwachte, war die Aufregung groß: Anrainer wurden mittels Lautsprecherdurchsagen und per Warn-App vor dem Verlassen ihrer Wohnung gewarnt. Die Suche nach der ausgebüxten Löwin sorgte für Schlagzeilen weltweit: "Ich fürchte um meine beiden Dackel, [sie sind] ideales Futter für einen Löwen", zitierte Euronews einen Einheimischen.
Nächtliches Gebrüll
Zwischenzeitlich "Sichtungen" des Tieres, etwa nahe eines Waldfriedhofs im Berliner Ortsteil Zehlendorf, verliefen zwar im Sand, ließen die Berliner aber mitfiebern; Meldungen, etwa dass die Gemeinde alle fürs Wochenende geplanten Open-Air-Veranstaltungen vorsorglich nach innen verlegte, oder dass von Spaziergängen im Wald abgeraten wurde, hielten die Spannungsbogen aufrecht. Ob das bei der Polizei gemeldete, vermeintliche Löwengebrüll (hinter dem Jugendliche im Besitz eines Lautsprechers steckten) in der Nacht auf Freitag den einen oder anderen Berliner daran hinderte, ein Auge zuzutun, ist nicht bekannt – für Klicks sorgte es allemal.
Am Freitag baten die Polizisten professionelle Tierspurensucher um Hilfe, die aber selbst erst noch gefunden werden mussten, so eine Sprecherin. Dafür klingelten die Telefone bei Wildtierexperten Sturm: Bei einer Begegnung mit dem Tier "bloß nicht weglaufen", warnte der Biologe und Tierschützer Florian Eiserlo im Spiegel. Damit wecke man nur den Jagdtrieb des Tiers. Auch auf einen Baum zu klettern, wäre wenig schlau: "Löwen sind gute Kletterer." Stattdessen lieber in einem Auto oder Haus einschließen und abwarten.
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In der Boulevardzeitung BZ rief ein Tierarzt Autofahrer zur Vorsicht auf: "Der Löwe kennt keine roten Ampeln." Und im Tagesspiegel mahnte ein Wildtierexperte: "Das Letzte, was man machen sollte, ist ein Selfie mit Löwe." Im wahrsten Sinne.
Die neue Auswertung lässt den Schluss zu, dass wir im Moment keine akute Gefährdungslage haben
Haustier eines Clans?
Doch am skurrilsten waren die Spekulationen, wo die angebliche Löwin ausgebüxt sein dürfte. Die beliebteste These: Das Tier gehöre eigentlich Firas Remmo, einem Mitglied des berühmt-berüchtigten Berliner Remmo-Clans, dem unter anderem der Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden 2019 nachgesagt wird. Der Sohn des Clan-Bosses Issa Remo sorgte mit einem Beitrag auf Instagram für Verwirrung: "Wenn jemand was weis bitte erst an mir Bescheid geben dann führen wir die Löwin in ihr Gehege zurück bevor irgend ein trottel die abknallt" (Rechtschreib- und Grammatikfehler von der Redaktion nicht korrigiert, Anm.).
Einen (wenig einfallsreichen) Namen für das Raubtier hatte er auch schon: "Nala", so wie die Löwin aus "König der Löwen". Der Clan-Sprössling brüstete sich schon mal mit einem Raub- als Haustier: Im Dezember zeigte er sich in den sozialen Medien mit einem jungen Tiger, der Halsband und Leine trug, auf einem Sofa.
Am Freitag um 13:17 Uhr jedoch ging das Sommerloch wieder auf: In einer Pressekonferenz erklärte der Bürgermeister, bei der vermeintlichen Löwin handle es sich wohl (wie einzelne Experten bereits von Beginn an vermuteten) um ein Wildschwein. Um 14:35 Uhr gab die Warn-App offiziell Entwarnung. Zurück zu den wirklich wichtigen Nachrichten.
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