Es sind nur noch zwei Dutzend: Serben, die während des Bosnienkriegs in den Neunzigern flüchteten. Nur wenige Familien kehrten 2004 zurück. Zwar stehen auch in Bosansko Grahovo viele Wohnungen leer. Doch Dragans Eltern und die anderen Dörfler wollen nicht umziehen. Sie leben von Viehzucht. Alternativen gibt es nicht.
Über die einst viel befahrene Eisenbahnstrecke entlang der Una, die Zagreb mit der dalmatinischen Küste verband, wuchert meterhohes Unkraut. Vor dem Krieg gab sie auch den Familien, die in Gornji Tiškovac lebten, Arbeit. Etwa 200 Einwohner hatte das Dorf damals.
„Wir hatten Vollbeschäftigung“, sagte einer der Reporterin eines lokalen Senders, die die Geschichte schon im letzten Sommer aufgenommen hat. Es ging damals kein Aufschrei durch die Gesellschaft. Getan hat sich seither nichts – Dragans Dorf ist nicht das einzige „verlassene“.
Obwohl die Rücksiedlung von Vertriebenen schon seit mehr als 20 Jahren auf der Agenda der Regierung in Sarajevo steht. 2017 waren in Bosnien/Herzegowina mit einer Gesamtbevölkerung von knapp 3,5 Mio. noch immer 98.000 Menschen offiziell als Kriegsflüchtlinge registriert. Obwohl für das Krisenmanagement bereits ein dreistelliger Millionenbetrag floss, auch Gelder der EU.
Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum Ergebnis, räumte auf einer Pressekonferenz sogar Predrag Jovic ein. Der Mann ist stellvertretender Ressortchef im Ministerium für Kriegsflücht- linge, das zudem für Menschenrechte zuständig ist.
Für die erfolgreiche Rücksiedlung Vertriebener, so der Beamte, reiche halt ein Dach über dem Kopf allein nicht. Gebraucht würde neben Arbeit auch eine funktionierende Infrastruktur. Doch das scheitert allein schon an den politischen Realitäten. Bosnien ist nur de jure ein Bundesstaat.
De facto besteht es aus zwei autonomen Teilstaaten und Volksgruppen: Der Serbenrepublik und der Föderation der Bosniaken und Kroaten.
Menschen, die der Krieg in den jeweils anderen Teilstaat verschlug, haben es bei der Rückkehr schwer, ihre Rechte auf Bildung, Gesundheit und Sozialleistungen durchzusetzen. So können Versicherte sich bis heute im jeweils anderen Teilstaat nicht unentgeltlich vom Arzt behandeln lassen.
In Mostar, wo die Neretva die Siedlungsgebiete der Bosniaken und Kroaten trennt, oft nicht einmal am anderen Ufer. Bosnische und kroatische Kinder werden dort zwar im gleichen Gebäude unterrichtet. Aber in getrennten Klassen nach getrennten Lehrplänen. Mit Schulbüchern, die zwei – häufig einander ausschließende – Versionen für die Entwicklungen der jüngsten Geschichte bieten.
„Zwei Schulen unter einem Dach“ heißt das abenteuerliche Projekt, das alten Hass für mindestens eine weitere Generation zementiert. Am schwelenden Konflikt der Volksgruppen scheitert in Mostar seit Jahren auch die Konstituierung des Stadtparlaments.
Linienbusse verkehren eher selten zwischen beiden Teilstaaten. Der aus Trebinje in der Serbenrepublik fährt nach Mostar in der Föderation durch „Serbenland“, nimmt dazu die schlechtere Straße und sogar einen Umweg von knapp einer Stunde in Kauf. Hier in der Ostherzegowina, wo sich serbischer und muslimischer Bevölkerungsanteil vor dem Krieg in etwa die Waage hielten, wurden ethnische Säuberungen besonders „konsequent“ vollzogen.
Muslimische Dörfer stehen leer und verfallen. Von den einst 30 Höfen in Borovcici ist nur einer bewohnt. Zwei alte Männer weiden dort Schafe und ein paar Ziegen.
Europas Schicksal wurde schon einmal in Bosnien entschieden. Gavrilo Princip, feuerte 1914 in Sarajevo die tödlichen Schüsse auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gattin ab. Geboren wurde er übrigens in Obljaj, heute zur Gemeinde Bosansko Grahovo gehörig, wo der kleine Dragan zur Schule geht.
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