Für Josefine Male ist das gelegentliche Einkaufen in der Stadt wie Sightseeing.
22.04.20, 05:00
In unserer neuen Serie "E-Mail aus..." berichten Österreicherinnen und Österreicher aus aller Welt davon, wie sie die Corona-Krise wahrnehmen.
Meine Geschichte läuft gewissermaßen verkehrt. Sie beginnt nämlich in Wien. Vor drei Wochen beobachtete ich noch von zu Hause aus gespannt die globale Entwicklung der Corona-Krise. Mittlerweile sitze ich in einer Hängematte in Cartagena, bei 30 Grad und frage mich doch: Wie bin ich hier gelandet?
Seit Jänner plante ich meinen sechsmonatigen Aufenthalt in Kolumbien. Ich hatte mich für ein Praktikum in Cartagena beworben und wollte mich ab Mitte März von karibischen Klängen, exotischen Früchten und heißen Sommernächten umhüllen lassen. Dann kam doch alles ein wenig anders. Als klar wurde, dass Kolumbien, als eines der ersten südamerikanischen Länder, seine Grenzen dichtmachen würde, schaffte ich es gerade noch, mit Aussicht auf zweiwöchige Selbstisolation, einzureisen. Ich hatte nun schon zwei Monate auf diesen Aufbruch hingearbeitet, mich vorbereitet und einen Job, der dort auf mich wartete. Keine leichte Entscheidung.
Ich flog! Und ich möchte ein bisschen erzählen, wie es hier zugeht.
Seit letzter Woche gibt es eine nationale Ausgangssperre. Für mich ändert sich eigentlich nicht viel, da ich ja, sowieso seit meiner Ankunft in Eigenquarantäne verharre. Ich bin aber zum Glück nicht allein. Ich wohne in einem süßen kleinen Haus außerhalb des menschenleeren Zentrums, wo drei fremde Frauen auf einmal zu meinen wichtigsten sozialen Kontakten wurden. Sie kommen aus Kolumbien, Brasilien und Montenegro und sind meine Mitbewohnerinnen. Auch sie hätten Jobs hier antreten wollen und müssen nun warten. Wir gehen abwechselnd einkaufen, respektieren die jeweiligen Homeoffice-Zeiten, am Abend kochen wir gemeinsam und „lauschen“ dem dumpfen Reggaeton Beat, der von diversen Nachbarn aus discoreifen Soundsystemen, die man hier allumfassend zu besitzen scheint, zu uns hinüber dröhnt.
Wir können es uns relativ gemütlich machen in dieser surrealen Situation. Viele andere hier natürlich nicht. Straßenverkäufer beispielsweise dürfen durch die gesetzten Maßnahmen eigentlich nicht arbeiten. Sie leben ausschließlich von ihren täglichen Einnahmen und schieben weiterhin ihre mit Obst und Gemüse vollbepackten Wägen durch die Gassen. Zusätzlich aber tragen sie Handschuhe und Schutzmasken. „Platanoooooo“, höre ich sie durch die offene Haustür rufen. Für alle, die zu Hause bleiben, ist es eigentlich die beste Isolationsmaßnahme: Frische Mangos, Kokosnüsse, Avocados und Platanos – durch den Türspalt geliefert.
Einkaufen: Nur an bestimmten Tagen
Manchmal muss ich dann aber doch in den Supermarkt. Ich freue mich drauf, denn es bedeutet endlich einen Szenenwechsel. Ich habe noch kaum etwas von dieser Stadt gesehen, das Einkaufen ist daher wie Sightseeing. Und dafür habe ich genügend Zeit, denn, um in den Supermarkt erst einmal hinein zu kommen, muss ich mich in der Schlange anstellen.
Zwei Polizisten kontrollieren regelmäßig die Abstände zwischen den Personen – eine Armlänge zeigen sie uns vor. In der Schlange wird Kaffee und Tee verkauft, die Leute lesen Zeitung oder unterhalten sich miteinander. Alles wirkt schon fast normal. Weiter vorne in der Schlange kontrolliert einer der Polizisten bereits Ausweise. Seit dieser Woche darf man nämlich nur mehr an bestimmten Tagen einkaufen, abhängig von der eigenen Ausweisnummer. Als er mich danach fragt, werde ich ein bisschen nervös, denn ich habe noch keinen kolumbianischen Ausweis. „Kein Problem Señorita!“, sagt er zu mir. Glück gehabt. Nach einer guten Stunde werde ich endlich hineingelassen. Ein Mitarbeiter sprüht mir Desinfektionsmittel in die Hände, ich kaufe, was ich brauche und spaziere zurück in meine Quarantänestätte.
Zurück bei uns im Haus tut sich auch einiges. Yuly, meine Vermieterin, ist Künstlerin. Sie arbeitet mit allen möglichen recycelten Materialien. Tagsüber schneidet Señor Reni im Hinterhof Holz für sie zurecht. Seine Frau, Señora Ale, kocht, wascht die Wäsche und putzt Innenhof und Haus. Beide kommen jeden Tag – trotz Ausgangssperre. Auch sie hätten unter Einhaltung der Maßnahmen momentan keine Arbeit. Letzte Woche wurde Señor Reni sogar von der Polizei aufgehalten. Mit einem kleinem „Trinkgeld“ war die Sache allerdings geregelt. Er und seine Frau kommen also weiterhin, und somit sitzen wir dann manchmal zu sechst in unserem Innenhof, und essen gemeinsam zu Mittag.
Social Distancing? Für Kinder und Jugendliche schwierig
Gegen 18 Uhr verstärkt sich das Stimmengemenge vor der Haustür. Auf der Straße versammeln sich die Kinder und Jugendlichen aus dem Viertel und spielen Fußball. Für sie ist Social Distancing nicht denkbar. Keine Schule, keine Freizeitaktivitäten, irgendwie müssen sie sich beschäftigen. Um 19 Uhr kommt dann aber doch die Polizei und fordert alle auf, nach Hause zu gehen. Ich höre sie kichernd die Straße hinauflaufen. Ob sie wirklich nach Hause gehen?
Dann wird es langsam ruhig. Die Abendstimmung verlagert sich bei uns in den Innenhof. Zeit für ein Bier. Unser Haus ist nicht groß, wir müssen darauf achten, uns gegenseitig genug Raum zu geben. Aber am Abend kommen wir gerne zusammen, erzählen uns von den Ereignissen des Tages, geben uns ein kurzes Corona-Update und genießen die hier doch eher seltene Stille. Wir stoßen an, auf einen weiteren geschafften Tag in Quarantäne.
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