"Josef, der Österreicher", wegen Freiheitsberaubung in Haft
Jeden Tag ist sie ihm begegnet. Neun Jahre lang kam er täglich zum Hof, erledigte Reparaturarbeiten und verließ oft erst gegen Abend das gut versteckte Areal. Mehrfach versuchte sie mit „Josef, dem Österreicher“ in Kontakt zu kommen, aber es gelang ihr nicht. „Er hielt immer ein paar Meter Abstand zu uns. Irgendwann winkt man sich nur mehr zu und gibt auf“, erzählt Claudia.
So weiß die zweifache Mutter nicht einmal, ob der Österreicher gut Niederländisch spricht. Seit 12 Jahren wohnt sie als einzige Nachbarin vis à vis jenes Bauernhofes, auf dem am Montag sechs Menschen (darunter fünf junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren) von der Polizei, isoliert von der Außenwelt, gefunden wurden. Seither wird der Österreicher Josef B. von der niederländischen Staatsanwaltschaft der Freiheitsberaubung verdächtigt und ist inhaftiert. Am Donnerstag soll er dem Haftrichter vorgeführt werden.
Österreicher und mehrere Jugendliche warteten auf Armageddon
Täter lebte nicht am Hof
Der Bauernhof wird von den Medien belagert, so manche deutsche TV-Station bietet der Nachbarin bis zu 2.000 Euro an, damit sie vor der TV-Kamera ein Interview gibt. Aber Claudia lehnte bisher ab.
Oft in den vergangenen neun Jahren sei die Nachbarin mit ihren Hunden am Hof vorbeispaziert. Aufgefallen ist Claudia nichts, außer ein bellender Hund und der 1,78 Meter große kontaktscheue Österreicher. „Allerdings lebte er nicht am Hof, sondern kam nur täglich vorbei. Wir haben nie Kinder wahrgenommen. Es ist eine Tragödie, was hier passiert ist und dass man neun Jahre lang nichts bemerkt hat.“ Claudia ist sichtlich geschockt.
So wie viele im kleinen Ort Ruinerwold, 90 Minuten Autofahrt von Amsterdam entfernt. Hier erscheint alles so putzig und idyllisch. Ein kleines rotes Backsteinhaus inklusive Schilfdach reiht sich an das nächste. Schafe, Pferde und Kühe weiden auf den Wiesen. Hier schien die Welt noch in Ordnung zu sein – bis Montag.
Einen kleinen Wasserkanal muss man überqueren, bevor man auf den von hohen Bäumen und Gebüsch gut abgeschirmten Bauernhof gelangt. Hier lebte die Familie neun Jahre unbemerkt mit Tieren und zahlreichen Gemüsebeeten als Selbstversorger.
Der Fall, der auf den ersten Blick frappant an den Fall Fritzl in Amstetten erinnerte, entwickelt sich von Tag zu Tag mysteriöser.
Selbst für die Polizei wirft die Causa viele Fragen auf. „So was haben wir auch noch nicht erlebt“, sagt Polizeisprecherin Grietje Hartstra im KURIER-Gespräch.
Task Force gebildet
Es wurde eine Taskforce mit 25 Beamten gebildet, um alle offenen Fragen zu klären. Und davon gibt es eine Menge. Nach Angaben der Polizei will der Verdächtige Josef B., der Mieter des abgelegenen Bauernhofes, nach wie vor nicht mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Auch die Unterstützung der österreichischen Botschaft lehnt der Verdächtige konsequent ab.
Was weiß man also von Josef B.? Der Wiener lebte zuletzt im oberösterreichischen Perg, bevor er vor rund neun Jahren nach Holland übersiedelte. Dort arbeitete er in der Holzbranche, fertigte auf Auftrag Möbel an und gilt als Inhaber eines Holzunternehmens. Wie er in Kontakt zur Familie kam, ist den Ermittlern noch ein Rätsel.
Nicht im Keller
Detto undurchsichtig ist die Rolle des 25-jährigen Jan, der am Montag im Cafe de kastelein in Ruinerwold sichtlich verwahrlost auftauchte und den Wirt um Hilfe bat. Dadurch kam der Fall ins Rollen. Gestern tauchten dann diverse Social-Media-Konten von Jan auf, die neun Jahre lang nicht aktiv waren. Erst im Mai 2019 postete Jan auf Facebook und Instagram Fotos.
In den sozialen Medien gibt er an, im Team des Holzunternehmens des Verdächtigen Josef B. zu sein. Auch diverse Fotos zeigen, dass Jan in den vergangenen Wochen im Dorf unterwegs war. Das wirft die Frage auf: Waren die jungen Erwachsenen nun freiwillig am Hof? War es ein Gefängnis für die Kinder oder nicht?
Was man jedoch jetzt schon ausschließen kann, ist, dass die Familie („Wir wissen noch nicht eindeutig, ob sie tatsächlich verwandt sind. Aber die Personen behaupten es“, so die Polizeisprecherin) im Keller lebte. Die Polizei fand den bettlägrigen Vater und die Kinder in einem isolierten Raum. „Er war einfach, aber sauber. Die Kinder waren gut genährt und machten äußerlich einen guten Eindruck“, so Hartstra von der Polizei in Gröningen.
Behördlich registriert wurden die Kinder allerdings nie und haben daher auch nie eine Schule besucht. Die Mutter der heute 14- bis 25-jährigen Kinder soll vor etwa neun bis zehn Jahren verstorben sein.
Das Gerücht, dass Josef B. das Oberhaupt einer Sekte sei, die isoliert auf den Weltuntergang wartete, wollen die Ermittler offiziell nicht bestätigen. „Wir gehen derzeit allen Spuren nach“, so die Polizei. Gestern wurden dann noch Forensik-Spezialisten und eine Hundestaffel in den Bauernhof geschickt, um den rätselhaften Fall zu lösen. Aber das kann lange dauern, kündigt die Polizei jetzt schon an.
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