Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen 96-jährig verstorben
aus Paris Simone Weiler
"Hinkelstein" nannten ihn seine Anhänger, deren Zahl zuletzt stark nachgelassen hatte, in Anspielung an seine bretonischen Wurzeln, den massigen Körperbau, seine außergewöhnliche Beständigkeit in der politischen Landschaft Frankreichs. Für seine Kritiker wiederum war er "der Teufel der Republik", der jahrzehntelang mit rassistischen und antisemitischen Provokationen schockierte, immer wieder verurteilt wurde, unter anderem wegen Aufstachelung zum Rassenhass oder Gewaltanwendung, und die extreme Rechte im Land dauerhaft etablierte.
Am Dienstag ist Jean-Marie Le Pen im Alter von 96 Jahren gestorben, der seit Monaten als stark geschwächt galt. Zum Prozess wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von EU-Geldern gegen mehrere Politiker seiner Partei im vergangenen Herbst war er, der unter richterlicher Vormundschaft stand, nicht erschienen. Seine Tochter Marine soll die Nachricht bei ihrer Rückkehr von der Insel Mayotte im Indischen Ozean erfahren haben. Mit ihr hatte er sich an seinem 90. Geburtstag, versöhnt.
Holocaust-Leugner
2015 war es zum Bruch gekommen, nachdem sie ihm vier Jahre zuvor an die Spitze der Partei Front National (FN) nachgefolgt war. Sie ließ ihn aus der Partei ausschließen, ihm die Ehrenpräsidentschaft aberkennen. Zu offensiv hatte er ihre Bemühungen um ein moderateres Image gestört, indem er Aussagen wiederholte, die ihm zuvor Verurteilungen eingebracht hatten – etwa die Behauptung, die Gaskammern der Nationalsozialisten seien doch nur ein "Detail der Geschichte".
Um den Neuanfang zu unterstreichen, nannte Marine Le Pen den FN 2018 in "Rassemblement National" ("Nationale Sammelbewegung") um – was für ihn einem "politischen Mord" gleichkam. Dabei änderte sich nichts an der nationalistischen, fremdenfeindlichen Ausrichtung.
Geboren wurde Jean-Marie Le Pen in Trinité-sur-Mer als Sohn eines bretonischen Fischers, der früh ums Leben kam, als er während des Zweiten Weltkriegs mit seinem Boot auf eine Mine lief. Als junger Mann ging er nach Paris, studierte Jura und Politik und näherte sich einer Studierendenvereinigung mit rechtsnationalem Gedankengut an. Im Anschluss begann er eine Offizierslaufbahn als Freiwilliger der französischen Fremdenlegion. Zum Einsatz kam er im Indochina-Krieg, bei der britisch-französisch-israelischen Militäraktion gegen Ägypten in der Suez-Krise und im Algerienkrieg. Spätere Vorwürfe, er habe sich dort an Folterungen von Aktivisten der "Nationalen Befreiungsfront" (FLN) beteiligt, bestritt er nicht.
Im Alter von 28 Jahren wurde er Abgeordneter in der Nationalversammlung für die Hauptstadtregion auf der Liste der kleinbürgerlichen Protestbewegung um Pierre Poujade. Mit der Zeit verschärfte er seine rechtsextremen Positionen, bis er 1972 mit Weggefährten – darunter ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS – den FN gründete, dessen Präsident er bis 2015 durchgehend blieb.
Von der Nischenpartei zur politischen Kraft
Nachdem ihm der wohlhabende Unternehmer Hubert Lambert nach seinem Tod einen Teil seines Vermögens sowie eine Villa im Vorort Saint-Cloud im reichen Pariser Westen vererbte, lebte Le Pen dort bis zuletzt mit seiner zweiten Frau Jany und zuvor mit Pierrette, der Mutter der drei gemeinsamen Töchter. Die Verbindung endete in einem in den Medien ausgetragenen Rosenkrieg. Als Pierrette, die die Familie für den Biographen Le Pens verlassen hatte, Unterhalt einforderte, gab ihr Le Pen öffentlich zurück, sie könne ja putzen gehen. Daraufhin posierte sie in aufreizender Putzfrauen-Kluft im US-Playboy. Eine Demütigung nicht nur für den Noch-Ehemann, sondern auch für die Töchter.
Dabei hatten die beiden durchaus ausgelassene Zeiten erlebt. Le Pen galt als mitreißender und charismatischer Gefährte, der mit seinen nationalistischen Tönen und Warnungen vor einer "Überfremdung" Frankreichs auch zunehmend politischen Erfolg hatte. Der erklärte EU-Gegner erhielt 1984 ein Abgeordnetenmandat im Europaparlament, das er bis zu seinem politischen Ruhestand 2019 hielt. Während er bei der Präsidentschaftswahl 1995 bereits 15 Prozent erzielte, gelang ihm 2002 der überraschende Einzug in die Stichwahl gegen Jacques Chirac. Millionen Franzosen machten daraufhin ihrer Empörung darüber auf der Straße Luft – ganz anders als bei Marine Le Pens Erreichen der Stichwahl 15 Jahre später, die sein Erbe fortführt. Sie hat aus einer einstigen Nischenpartei, seit Ende 2022 von Jordan Bardella, eine einflussreiche politische Kraft gemacht – Parteiname hin oder her.
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