900 Hitze-Tote in Saudi-Arabien: "Viele Pilger halten sich nicht an Vorgaben"

900 Hitze-Tote in Saudi-Arabien: "Viele Pilger halten sich nicht an Vorgaben"
Schon mehr als 900 muslimische Pilger sind der extremen Hitzewelle in Saudi-Arabien zum Opfer gefallen. Ein Imam erzählt von den Risiken der Mekka-Reise.

Saudi-Arabien erlebt derzeit eine extreme Hitzewelle, die sich auf die diesjährige Pilgerfahrt, die Hadsch, drastisch auswirkt. In al-Masdschid al-Harām, der Großen Moschee in Mekka, wurden am Montagabend 51,8 Grad Celsius gemessen.

Ähnlich hohe Temperaturen herrschten auch an anderen für Pilger wichtigen Stätten wie dem Mina-Tal oder der Arafat-Ebene. Trotz zusätzlicher Maßnahmen der saudischen Behörden – wie klimatisierten Zelten und einem Nachschub an Wasservorräten – forderte die Hitze nach Angaben von Nachrichtenagenturen bereits über 900 Tote

"Die Verantwortung für diese Tragödie liegt nicht ausschließlich bei der saudischen Regierung oder beim saudischen Hadsch-Ministerium. Viele Pilger halten sich nicht an die Vorgaben", erklärt ein Wiener Hadsch-Guide und Imam, der anonym bleiben möchte, im Gespräch mit dem KURIER. Er begleitet seit mehr als zehn Jahren Pilger aus Österreich nach Mekka, wo er sich auch aktuell mit einer Gruppe aufhält.

Was er damit meint:

900 Hitze-Tote in Saudi-Arabien: "Viele Pilger halten sich nicht an Vorgaben"

Während der Pilgerfahrt müssen viele Rituale unter freien Himmel und zu Fuß vollzogen werden, was vor allem für ältere Menschen eine Herausforderung darstellt. Der Einschätzung des Wiener Imams nach würden viele Pilger Anweisungen missachten – etwa, sich bei hohen Temperaturen nicht ohne Sonnenschirm in der prallen Sonne zu bewegen. 

Trotz der tragischen Situation in Mekka seien die rund 700 österreichischen Pilger, die sich derzeit dort aufhalten, wohlauf. Bisher gab es weder Meldungen über Todesfälle noch über schwere Erkrankungen. "Die Österreicher halten sich an die Richtlinien der Guides und der Reiseveranstalter. Sie bleiben trotz der Ausnahmesituation ruhig", erklärt der Guide. 

Warum man sich als Pilger für die Hadsch bewerben muss

Dieses Jahr trafen etwa zwei Millionen Musliminnen und Muslime aus rund 180 Ländern in Saudi-Arabien ein. Wer allerdings die Hadsch-Reise antreten darf, hängt von strikten Vorgaben der saudischen Regierung ab. Im Allgemeinen gilt: Pro 1.000 Muslime in Ländern mit muslimischer Mehrheit darf ein Pilger nach Saudi-Arabien reisen. 

Sprich: Aus Pakistan, wo 95 Prozent der 208 Millionen Einwohner (Stand 2019) islamischen Glaubens sind, dürfen jährlich 197.600 Muslime an der Hadsch teilnehmen. Die einzelnen Länder regeln nach unterschiedlichen Verfahren, wer ein Hadsch-Visum bekommt – beispielsweise mittels Lotterien oder durch ein Qualifikationssystem

Länder ohne muslimische Mehrheit, wie beispielsweise Österreich, erhalten von den saudischen Behörden genaue Quotenangaben. "Heuer wurden 700 Visa für Österreich ausgestellt, beworben haben sich mehr als 3.000 Personen", sagt der Wiener Hadsch-Guide. 

Ähnlich ist die Situation in Deutschland, wo jährlich 4.000 bis 5.000 Pilger zugelassen werden, sich jedoch doppelt so viele für das Hadsch-Visum bewerben. 

900 Hitze-Tote in Saudi-Arabien: "Viele Pilger halten sich nicht an Vorgaben"

Die Kaaba, das wichtigste Heiligtum des Islam, inmitten der Großen Moschee in Mekka, im Hintergrund der 600 Meter hohe Luxushotel-Komplex Abraj al-Bait.

Die Anmeldung für ein Visum erfolgt über die Plattform Nusuk. "Man bewirbt sich individuell. Nach dem Ausfüllen der Anträge bekommt man das Visum relativ problemlos", erklärt der Imam. Von den örtlichen Reisebüros werden dann die sogenannten Hadsch-Reisepakete angeboten, die sich im preislichen Rahmen zwischen 6.500 und 15.000 Euro bewegen.

"Der Preis hängt vom Hotel und der Lage ab. Wenn man ganz nah an der Großen Moschee übernachten möchte, zahlt man mehr. Dafür erspart man sich aber den langen Fußweg bei der Hitze", so der Imam. 

Westeuropäische Pilger seien Hotels mit zentraler Lage und gutem Service gewohnt. "Künftig wollen die Reisebüros nur zwei Hadsch-Pakete anbieten: eine Luxus- und eine Economy-Variante", erklärt der Hadsch-Führer. 

Pilgerfahrt ist für Muslime einmal im Leben verpflichtend - und doch kommt es immer wieder zu Todesfällen

Doch ob Economy oder Premium – es handelt sich um viel Geld. Nicht jeder kann sich diese Säule des Islams leisten. Die Hadsch hat eine zentrale Bedeutung für Muslime weltweit: Sie ist für alle Gläubigen, die körperlich und finanziell dazu in der Lage sind, mindestens einmal im Leben verpflichtend. 

Die Pilgerreise umfasst eine Reihe ritueller Handlungen, darunter das Umrunden der Kaaba, das Stehen auf dem Berg Arafat und das symbolische Steinewerfen auf Säulen im Mina-Tal. Menschen sparen oft über Jahre hinweg, um die Reise absolvieren zu können. Dass es ihre letzte Reise sein könnte, damit rechnet keiner von ihnen. Und dennoch ist auch das die harte Realität.

Während in der Vergangenheit Massenpaniken in Mekka die meisten Todesopfer forderten, sind es nun die extremen Temperaturen, die den Menschen bei der Hadsch zusetzen. 1990 starben 1.426 Menschen in einem Tunnel zwischen Mekka und Mina, 2015 forderte eine Massenpanik in der Nähe von Mina 717 Todesopfer. 

"Es braucht mehr Aufklärung. Die Behörden und die Hadsch-Reiseleiter müssen den Leuten immer wieder klarmachen, dass extreme Verhältnisse herrschen und dss sich die Pilger schützen müssen", so der Wiener Hadsch-Führer. Sonst könnte sich die heurige Tragödie im nächsten Jahr wiederholen.

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