Ex-Miss-World löst Kopftuch-Streit aus

Die Jüdisch-orthodoxe Moderatorin Linor Abargil bedeckte im Fernsehen ihr Haar, seither gehen in Israel die Wogen hoch.

Linor Abargil zieht die Blicke auf sich. In jeder Hinsicht. So wurde sie 1998 zur Miss World gewählt. Und nach der anschließenden Model-Karriere moderiert sie bis heute im israelischen Fernsehen.

Sie, ausgerechnet sie, war in den letzten Wochen der Auslöser einer Debatte, die in Israel sonst kaum Thema ist – weder am Stammtisch noch am Regierungstisch: Die dunkle Schönheit trägt Kopftuch.

Ex-Miss-World löst Kopftuch-Streit aus

Mit dem niederländischen König Willem Alexander und Premier Rutte (2016)

Auch am Nationalfeiertag, den Israel in diesem Monat feierte. Abargil moderierte das feierliche Abendzeremoniell mit dem Anzünden der Ehrenfackeln durch verdiente Bürger. Dabei erregte ihr auffallender Kopfschmuck die Gemüter. Waren die doch durch die Hetze aus dem Wahlkampf im Februar ohnehin gespalten.

Hätte Abargil ihren Kopfturban als Hingucker zum feierlichen Abend-Outfit getragen, die Reaktionen „zum vielstöckigen Turban“ wären wohl nicht so giftig durch Israels ohnehin scharf schießende Netzwerke gespritzt.

Linor Abargil aber verärgerte nicht durch ein falsch gewähltes Accessoire, sondern durch ihre Unabhängigkeit. Die sich in den letzten Jahren durch eine immer sichtbarer werdende Einhaltung religiöser Gebote zeigte.

Interessant: Die Kritiker sind vor allem solche, die sich selbst ohne Zögern als liberal, weltoffen und tolerant bezeichnen würden. Auch interessant: Nicht nur, aber vor allem Männer twittern oder facebooken ihren Frust über den Verlust einer einst säkularen und jetzt frommen Seele.

Fromme gegen Säkulare

Dabei war der alte Streit zwischen frommen und weltlichen Israelis im Wahlkampf nur Randthema. Doch brodelte er weiter, auch unter den am Ende gescheiterten Versuchen, eine Regierung zu bilden. Andere verärgerte das Pathos der Moderatorin am Mikrofon. Als gäbe es Alternativen für Staatszeremonien – ohne Klischees und Pathos.

Einer der furiosesten Kritiker war der Bezirksrichter im Ruhestand Oded Al-Yagon. Er wertete die „Vielstöckigkeit“ des Turbans als vieldeutig: „Wie es sich für fromme Frauen dieser Tage geziemt … andrerseits betonte ihr hautenges Kleid bestens ihre Brüste, die forsch zum Ruhme des Staates wallten, wohl um auch unsere säkularen Brüder zu erfreuen.“ Mit anderen Worten: Nicht was Abargil auf, sondern im Kopf hat, verärgert.

Vorzeigepersönlichkeit

War die dunkle Schönheit doch nicht nur als Model auf dem Laufsteg und Miss World eine Vorzeigepersönlichkeit. Nach einer schnell geschiedenen Ehe mit einem Basketball-Star beendete sie noch ihr Jura-Studium und wurde erfolgreich als Anwältin.

Ex-Miss-World löst Kopftuch-Streit aus

Als Miss World 1998

Seitdem vertritt sie vor allem Opfer sexueller Gewalt vor Gericht. In dieser Zeit fand sie auch ihren eigenen Weg in ein religiöses Leben. Heute ist sie neu verheiratet und Mutter dreier Kinder. Unabhängig – weltlich wie religiös.

Gleich zwei (nicht religiöse) Abgeordnete aus Regierung und Opposition zeigten weibliche Solidarität. Scharan Hescell von der Regierungspartei Likud kritisiert jeden Kleiderzwang für Frauen.

Auch Pnina Tamano-Schatta von der Opposition ist aufgebracht. Sie selbst trägt meist Blazer. Auf Facebook aber zeigte sie sich mit Schwester und Mutter, beide in traditioneller äthiopischer Tracht. Mit Kopfturban.

Hescell und Tamano-Schatta trugen bis letzte Woche demonstrativ Kopftuch. Tausende Frauen machten es ihnen nach. Zumindest virtuell auf Facebook und Twitter.

Israels Kulturministerin Miri Regev zeigte erst zwei Tage nach Ausbruch der Gefühle in den Netzwerken weibliche Solidarität. Das war ihre Rettung, denn ohne Shit-Storm wäre ein weiterer Zwischenfall während des Zeremoniells noch peinlicher geworden.

Auch Araber und Drusen

Die 93-jährige Holocaust-Überlebende Marie Nachmias, die als Pflegemutter in Israel 52 behinderte Kinder annahm, hielt sich bei ihrer Ehrung nicht ganz an den vorgeschriebenen Text. Sie segnete den Staat Israel und seine Bewohner. Wie erwünscht. Dann aber wurde sie unerwartet konkreter:„Alle, wirklich alle: Juden, Araber, Christen und auch die Drusen.“

Es ist kein Jahr her, dass das stark kritisierte Nationalstaatsgesetz erlassen wurde, in dem nur die Juden erwähnt werden. Die Zuschauer erhoben sich unter tosendem Jubel von ihren Plätzen. Premier Benjamin Netanyahu und Gattin zögerten – und erhoben sich.

Auch Marie Nachmias hält die religiösen Gesetze ein. Sie trug einen Hut.

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