1827 hatte die schweizerische evangelische Kirche das Grundstück gekauft und dort einen Friedhof, vornehmlich für ausländische Protestanten, errichten lassen. Und um diesen kümmert sich Schwester Julia seit 21 Jahren.
„Ich weiß, beim Wort Eremit denkt man sofort an jemanden, der sich von der Gesellschaft verabschiedet hat“, sagt sie dem KURIER. „Das stimmt aber nicht ganz. Im Mittelalter war es auch Aufgabe eines Eremiten, sich der Gemeinschaft anzunehmen, ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Anders gesagt, es war ein Geben und Nehmen.“ Und das ist auch die Bestimmung von Schwester Julia.
Ihr Tag beginnt um 4.30 Uhr, wenn die Stadt noch schläft. Zuerst betet sie in ihrer Kammer, danach fährt sie mit dem Fahrrad zur nahe gelegenen Basilica dell‘ Annunziata und wohnt der Morgenmesse bei. Wenn sie dann zurückkommt, kümmert sie sich um ihre Nächsten. Vor allem über ihr Roma-Projekt. „Mit der Florentiner Hilfsorganisation Agata Smeralda, die uns jährlich mit 10.000 Euro unterstützt, helfen wir zwölf Roma-Familien in Rumänien“, erzählt sie. Auch Schulbücher schickt sie ihnen, damit die Frauen lesen und schreiben lernen und es ihren Kindern beibringen. „Wenn diese dann bei Schulbeginn schon etwas können, fällt der Anschluss zu den anderen leichter.“
Immer wieder steuert sie auch etwas von ihrer Rente bei. Unlängst waren es 1.000 Euro, damit die Familien Holz zum Heizen kaufen können. Roma wiederum, die auch im Friedhofsgebäude leben, helfen ihr beim Instandhalten der Gräber.
Nicht nur deswegen ist Schwester Julia eine bemerkenswerte Frau. Wenn man ihren Lebenslauf betrachtet, wäre dieser ein Buch wert. Mit vollem Namen heißt sie Julia Bolton Holloway. In London geboren, wuchs sie in Sussex auf. Den britischen Akzent hat sie, trotz vieler Jahre in den USA, nicht verloren. Dort studierte sie an der Colorado University und in Berkeley, Kalifornien, mit Fokus auf das Mittelalter. Danach lehrte sie, als eine der ersten Frauen, auch an der Princeton University in New Jersey.
Sie heiratete, hatte drei Söhne und ist mittlerweile Urgroßmutter. „Acht Enkelkinder habe ich, die mich hier bereits besucht haben, auch das Urenkelkind war schon zu Besuch“, betont sie lächelnd.
Mit 53 Jahren, die Ehe war in die Brüche gegangen, beschloss sie, sich im anglikanischen Kloster, wo sie einst zur Schule gegangen war, zurückzuziehen.
Anders als erwartet, war es eine schwere Zeit, man erlaubte ihr nicht, das Gelübde abzulegen, und außerdem wollte der Bischof das Kloster kaufen.
„Das war für mich sehr schmerzhaft, denn gerade in jenem Ort hatte ich den Weg zur Religion gefunden.“
Also packte sie wieder ihre Sachen und landete in Motebeni, einem über Florenz gelegenen Ort. Dort lebte sie in einer ungeheizten Kammer, arbeitete als Haushilfe und an den Schriften der Mystikerin und Heiligen Juliane von Norwich, die zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert gelebt hatte. „Und je mehr ich mich in ihre Texte vertiefte, umso besser ging es mir“, sagt sie. „Ich empfand es wie eine göttliche Fügung.“
Dann kam das Angebot, sich des Cimitero degli Inglesi, dem Friedhof der Engländer, anzunehmen. Sie sagte zu, stellte aber die Bedingung, eine Bibliothek einrichten zu können. „Das steht sogar im Vertrag.“ Gebaut hat sie diese zusammen mit den Roma. Der Zutritt ist frei, dienen soll sie aber besonders denen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Geben und Nehmen, das ist Schwester Julias Devise.
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