Blutiger Krieg: Ein Stamm kämpft gegen den "schwarzen Magier"
Stammesbrüder binden die zwei Toten an dicke Holzstecken und tragen sie auf eine Anhöhe. Umringt von trauernden Frauen, umwickeln die Angehörigen die Leichen mit Planen. Sie heben Gräber aus, betten ihre "Brüder" im rotbraunen Lehmboden, bedecken die Körper mit Holzplatten und Erde. Zum Zeremoniell tragen sie Farne als Kopfschmuck.
Das zeigen Fotos von Nick Embia, der das Begräbnis in allen Einzelheiten schildert. Er ist Offizier von Papua-Neuguineas Armee. Das Militär sei hier, um die Ordnung wiederherzustellen, meint Embia. Hier, im Hochlanddorf Tetia, wo es weder Strom, noch fließend Wasser gibt. Embia war nicht grundlos auf der Beerdigung. In Tetia wird gekämpft: Die Toten sind das Resultat eines Stammeskriegs.
Die Menschen in Papua-Neuguineas Hochland sind gastfreundlich, redselig. Als Ausländer hat man kaum eine ruhige Minute, muss im Minutentakt Hände schütteln. Vor allem die Dörfer erscheinen als halbe Märchenwelt, in der steinzeitliche Hütten zwischen Engelstrompeten, Bananenbäumen und Obstgärten sanft auf der hügeligen Landschaft ruhen.
Fast unbefleckt vom Massentourismus Südostasiens, in unerforschter Wildnis, mit Bewohnern, die für ihre Bräuche und Tradition töten würden. Und genau das machen sie auch, in Stammeskriegen, die immer brutaler werden. Sie stehen in Papuas Hochland-Provinzen an der Tagesordnung.
Frauen trauern um einen gefallenen Krieger
Die Gräber werden ausgehoben
Die Leichen werden mit Holzplatten bedeckt
Der Begräbniszug
Stammeskrieger streiten um Frauen, Schweine oder Land. Oft geht es auch um Hexerei. Selbst Polizisten kämpfen mit, wenn der eigene Stamm betroffen ist. Stamm und Brauchtum stehen hier über allem. Wie auch in Tetia – gelegen in der Provinz Southern Highlands – wo Ende Jänner die zwei Toten des Stammeskriegs beerdigt wurden.
Eskalation zu Silvester
Der Weg in das Dorf Tetia ist beschwerlich. Der überfüllte Bus kracht von Schlagloch zu Schlagloch. Staubschwaden ziehen durch das offene Fenster. Endlich kündigt ein verwaister Flughafen die 17.000-Einwohner-Stadt Mendi an, in deren Umkreis das umkämpfte Gebiet liegt.
Tetia ruht im hügeligen Speckgürtel Mendis und ist nur über eine schmale Holzbrücke einfahrbar. Der blutige Kleinkrieg begann etwa so: Koni, vom Stamm der Olus und Albert, vom Stamm der Yeits, waren zu Silvester 2008 erheblich alkoholisiert. „Er hat zu mir gesagt, dass ich seinen Penis essen soll“, erzählt Albert entrüstet, der Koni deshalb beschimpfte.
Der Auslöser des Stammeskrieges
Infolgedessen schlug Koni mit einer Glasflasche auf Albert ein, bis dieser bewusstlos wurde. Als Albert in einer Latrine wieder erwachte, war er rasend, sann auf Rache, griff zu seinem Messer und stach es Koni ins Gesicht. Die Folgen: ein kaputtes, linkes Auge – und ein Stammeskrieg.
Im Dorf Tetia lebten damals vier Stämme: Olus, Yeits, Sekiwalls und Suk Murumbus. „Chief“ More Kyiu, Anführer der Olus hat mit zwölf Ehefrauen mindestens 27 Kinder. Eines davon ist Koni.
Es kursieren verschiedene Thesen, weshalb die Kämpfe eskalierten: Kiyu brauchte neuen Lebensraum für seine Kinder und nutzte den Streit als Anlass, um sich das Land der Yeits zu nehmen – behaupten die Yeits. Es gab schon zuvor kleinere Konflikte, aber „als dieser Kerl meinen Sohn schnitt, brach der Kampf endgültig aus“, sagt Kiyu.
Geld und Schweine für Lebensraum
Chief Kiyu führt durch sein Dorf, hin zu einer größeren Lehmhütte mit Strohdach – die Grundschule. Eine neue Schule wolle er bauen, dafür fehle das Geld, meint der Stammesführer. Er hofft auf eine EU-Förderung. Die EU spendete bereits einmal rund 70.000 Euro für eine Wasseraufbereitungsanlage in Tetia.
Etwa ein Dutzend Krieger begleitet Kiyu auf bloßen Sohlen. Sie tragen Second-Hand-Kleidung, in der Regel zerschlissen. Die Männer sparen nicht mit misstrauischen Blicken. Erst als einer der ihrigen seine Kampftracht anlegt und mit Pfeil und Bogen einen Tanz vollführt, umringt von lachenden Kindern, wird die Stimmung lockerer.
Über die Kompensationszahlung für eine Auge
Mit den Yeits machten die Olus nach dem Streit zu Silvester 2008 kurzen Prozess. Sie brannten ihre Hütten nieder, töteten mehrere Krieger und verjagten den Stamm tief in den Regenwald. Sie stellten eine hohe Forderung. Gegen die Zahlung von 250.000 Kina (etwa 66.000 Euro) und 250 Schweinen durften die Yeits zurück nach Tetia. Ein dickes Schwein ist etwa 1.000 Kina wert.
Schweine sind in Papua eine Art Gegenwährung und Fixpunkt bei jeder Mitgift. Im Hochland kostet eine Ehefrau ohne Schulabschluss den Bräutigam 5.000 Kina und fünf Schweine. Je gebildeter oder "hübscher" die Dame ist, desto höher ihr Preis. Einheimische versichern: Nur in seltenen Fällen entscheidet die Frau selbst, wen sie heiratet.
Die Rache des Einäugigen
Stanley, Chief der Yeits, kennt die 250-Schweine-Forderung der Olus. Sie sei nie ernst gemeint gewesen. Den Olus sei es immer nur um das Land gegangen.
Derzeit leben über 900 Yeits außerhalb Tetias, in provisorischen Baracken, bei Verwandten, viele auf der Straße, im Gebüsch. Im größten, provisorischen Lager der Yeits hat Stanley zirka 300 geflohene Menschen versammelt. Krieger, Frauen und Kinder sitzen zwischen vier Hütten. Ein Dorfältester starrt ins Leere. Dann beginnt er zu schluchzen. Einer der kürzlich verstorbenen Krieger ist sein Sohn.
In der Mitte des Lagers stehen Sessel für die bleichen Besucher. Ringsum hocken verzweifelte Menschen im Schneidersitz. Schnell wird klar: Sie erwarten sich etwas mehr, als einen Zeitungsbericht. Als sie hören, dass die Besucher Journalisten sind, macht sich enttäuschtes Schweigen breit. Sie haben mit einer Hilfsorganisation gerechnet.
Ein Junge vom Olu-Stamm
Ein Mädchen vom Olu-Stamm
Die Rivalen Albert (links) und Kes Koni (rechts)
Olu-Krieger samt Ehefrau
Niedergebrannte Olu-Hütte
Niedergebrannte Olu-Hütte
Ein tanzender Olu-Krieger
Olu-Krieger
Olus
Frauen der Yeits
Yeits
Yeits-Krieger
Älterer Yeit
Yeits-Krieger
Leere Stühle für die Besucher
Die Situation ist akut, Hilfe wäre dringend nötig: Die Kämpfe zwischen Olus und Yeits sind im Jänner 2019 wieder aufgeflammt. Die Yeits erzählen, dass sie die 250-Schweine-Forderung erfüllen wollten. Die Olus hätten das abgelehnt und pro forma vier Yeits getötet.
Vor allem Koni, der Einäugige, soll seine Rachegelüste ausgelebt haben. Er gibt offen zu, in den vergangenen Jahren vier Yeits umgebracht zu haben. „Ja, Rache“, murmelt er, nickt, das vernarbte Lid zuckt.
"Er benutzt schwarze Magie"
Die Olus lamentieren wiederum, dass die Yeits nie vorgehabt hätten, die Forderung zu begleichen. Im Gegenteil, die Yeits sollen Schuld an den neuerlichen Kämpfen sein: „Sie haben eine schwangere Frau vergewaltigt, mehrere unserer Hütten abgefackelt und acht meiner Männer angeschossen“, poltert More Kiyu. „Deshalb haben wir vier ihrer Leute getötet.“
Tatsächlich sind zumindest drei Hütten im Territorium der Olus niedergebrannt. Die Yeits sprechen von einem "Inside-Job". „Das haben sie selbst gemacht, um einen Grund zu haben, meine Leute zu töten und ihr Land zu behalten“, meint Chief Stanley.
Und er geht noch weiter: „More Kiyu benutzt schwarze Magie.“ Ein Yeit spezifiziert das: „Er macht uns müde, er macht uns schläfrig.“ Er beschreibt die besondere Fähigkeit des vermeintlichen Magiers mit seltsamen Handzeichen. Chief Stanley präzisiert: „Kiyu hat Zugriff auf sehr viel Geld, um diese unsichtbaren Dinge zu kaufen, mit denen er uns davon abhält, uns zu bewegen. Er hält uns davon ab, Geld für unsere Schweine zu sammeln. Er hält uns davon ab, ihn zu töten.“
Der Glaube an Magie ist in Papua weit verbreitet. Zauberer können für Missernten, Buschfeuer, Todesfälle und grundsätzlich alles verantwortlich gemacht werden, was schlecht ist. Nicht zuletzt ist die Hexenjagd ein landesweit verbreitetes Phänomen.
Chief Kiyu lässt sich die Vorwürfe jedenfalls nicht gefallen: „Das ist ein Lügner. Was soll das mit der schwarzen Magie? Dort drüben sind zwei Kirchen“, meint er und zeigt auf eine kleine, windschiefe Holzkapelle. „Ich bin kein Magier. Ich bin ein guter Vertreter Gottes!“
Unfaire Kampfmethoden mit Schwarzer Magie
Groteske Friedensverhandlungen
Die Fronten sind also verhärtet. Eine nachhaltige Lösung ist nicht in Sicht. Genau deshalb wurde im Gebäude der Stadtverwaltung von Mendi eine Friedenskonferenz für den Kleinkrieg in Tetia einberufen. Die Wände sind fahlgelb, der Verputz bröckelt ab, ein kleiner Teil der Decke ist wegen eines Erdbebens eingestürzt.
Müde Militärs, Polizisten und ein Weisenrat sollen besprechen, wie "langfristiger Frieden" gesichert werden kann. Wer muss wem Kompensation bezahlen? Wenn ja, wie viel? Haben die Yeits ein Recht, ins Dorf zurückzukehren? Offizier Nick Embia führt den Vorsitz für das Militär. Vertreter der Kriegsparteien verweigern die Verhandlungen.
Die meiste Zeit sprechen die Vorsitzenden. Die betagten Weisen nutzen die Monologe für ein Nachmittagsschläfchen. Die meisten von ihnen sind hart arbeitende Bauern aus der Gegend. Erst als das Thema „schwarze Magie“ zur Sprache kommt, wachen sie wortwörtlich auf, zeigen sich empört und unterbrechen den Redner. Auch die Weisen glauben, dass More Kiyu übernatürliche Kräfte besitzt. Viel mehr haben sie nicht zu sagen.
Bevor eine Lösung auf dem Tisch liegen könnte, ist der Tag längst vorbei. Schlauer geworden ist niemand.
Das Wort Gottes hilft nicht immer
Das Militär besucht Tetia derzeit regelmäßig. Bis auf Pfeil und Bogen verstecken die Olus deshalb ihre Waffen. Sie hätten sowieso nur selbstgebaute Gewehre, simple Einzellader, behaupten sie.
Das Militär ist nicht primär wegen Tetia in der Gegend. Konflikte wie diesen gibt es beinahe überall in den Southern Highlands. Das Militär war bereits hier und bewacht in erster Linie die Stadt Mendi, weil sie nach der Governeurswahl - Mitte 2018 - von Söldnergruppen heimgesucht wurde. Wer die Söldner bezahlt hat, ist unklar. Die Einheimischen vermuten, dass es einer der beiden Spitzenkandidaten war. Sowas sei völlig normal, heißt es.
Die Söldner liefen mit Maschinengewehren durch die Straßen Mendis, zündeten das Gerichtsgebäude und ein Passagierflugzeug an. Wütende Anrainer beteiligten sich an dem Mob. Seitdem ist in den Southern Highlands Alkohol verboten.
360-Grad-Foto: Zerstörtes Gerichtsgebäude in Mendi
Wegen der Ausschreitungen besetzte das Militär die Stadt, patrouillierte gemeinsam mit der lokalen Polizei. Die Söldner hatten sich aus dem Staub gemacht. Das war ein politischer Konflikt.
Auch bei "normalen" Stammeskriegen wird in Papua immer häufiger schweres Geschütz eingesetzt. In der Nachbarprovinz der Southern Highlands wütet der aktuell größte Stammeskrieg im Land. Die betroffene Stadt ist Tari. Maschinengewehre seien dort Standard, erzählt ein Pastor in Mendi.
Er reiste mehrmals nach Tari, um die Gegend mit „dem Wort Gottes“ zu befrieden – bisher erfolglos. Im vergangenen Jahr starben etwa 200 Menschen bei den Kämpfen, sagt der Pastor. Im Dorf Tetia sollen es seit 2008 zirka 20 gewesen sein.
Das Massaker von Karida
Wie stark sich Stammeskriege verändert haben, zeigen jüngste Vorfälle im Dorf Karida. Die Waffen sind schärfer und tödlicher als vor 20 Jahren, die Sitten rauer und rücksichtsloser.
Karida zählt noch zum Umkreis von Tari, liegt etwa 25 Kilometer entfernt. Bei Kämpfen zwischen zwei rivalisierenden Familienclans wurden am 9. Juli mindestens 24 Menschen getötet, darunter 18 Frauen und Kinder. Eine derart heftige Attacke auf wehrlose Personen widerspricht selbst in Papua den kulturellen Gepflogenheiten.
Premierminister James Marape kündigte daraufhin an, mit der vollen Härte des Gesetzes gegen die Täter vorgehen zu wollen. In Papua wäre das die Todesstrafe. Sie wurde zuletzt 1950 vollstreckt. Immerhin erkannte Marape auch gewisse Fehler im System: "Wie kann eine Provinz mit 400.000 Einwohnern funktionieren, wenn es nur 60 Polizisten und manchmal ein paar Soldaten dort gibt?"
Das landesweit agierende Medium EMTV berichtete, dass vor allem die "ältere Generation Papuas" über die Vorfälle empört sei. Wer Frauen und Kinder töte, breche die traditionellen Protokolle des Stammeskriegs. "So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Das ist etwas Neues", sagte ein betroffener Stammesführer EMTV. Sein Herz sei gebrochen: "Ich bin mit diesen Frauen und Kindern gestorben."
Karida wurde mittlerweile zu einem Kriegsgebiet erklärt. 40 Polizisten und Militärs sind vor Ort, um weitere Bluttaten zu verhindern.
Tetia hält sich an Traditionen
In Tetia wurde wenigstens die eine Faustregel beachtet: Nur "Krieger", beziehungsweise Männer mussten sterben. Deshalb will More Kiyu auch für keinen der getöteten Yeits Schadenersatz zahlen. "Warum sollte ich? Das ist ein Krieg."
Tanz mit dem Bogen
Mittlerweile heißt es, dass im Dorf „dauerhafter Frieden gesichert werden konnte“. Diese Information beruht auf Angaben von Offizier Nick Embia, der als militärischer Vertreter bei den Friedensverhandlungen zugegen war.
Ein Einheimischer berichtet, dass die Situation weiterhin angespannt sei. Er arbeitet im Verwaltungsgebäude von Mendi und hat gute Kontakte nach Tetia.
More Kiyu besteht offenbar immer noch auf seine Forderung nach Geld und 250 Schweinen, für die er im Gegenzug die Yeits zurückkehren lassen würde. Zum Abschied sagte er recht doppeldeutig: „Die Yeits werden bezahlen.“
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