Biker-Treffen in Sturgis: Bier, Barbecue und halb nackte Frauen
Nimmt man Ron Merwin zum Maßstab, dann kann das weltgrößte Biker-Treffen im 7.000-Einwohner-Nest Sturgis/South Dakota in die Geschichte eingehen – als die bislang größte Coronavirus-Schleuder-Veranstaltung auf amerikanischem Boden.
Der Sheriff des zuständigen Landkreises Mead ist seit drei Jahrzehnten mit dem Aufgalopp von vornehmlich an Bier, Barbecue, Booze (Sauferei), Rockmusik und spärlich bekleideten Frauen interessierten Motorrad-Fans in den idyllischen Black Hills vertraut. „So viele Leute wie diesmal habe ich noch nie gesehen“, sagt Merwin.
Bis zum Schluss-Akkord am Sonntagabend werden 700.000 Biker aus allen Teilen der USA die Gelegenheit zum rustikalen Beisammensein haben, erwartet Bürgermeister Mark Carstensen.
Der Republikaner glaubt im Gegensatz zu den meisten Medizinern, dass die neuntägige Sause „sicher ist“. Dabei gibt es kaum Vorschriften. Anders als etwa Ende August beim großen New-York-Konzertfestival im Central Park muss niemand geimpft sein, um in der Kneipe zum „Einäugigen Jack“ oder im „Full Throttle Saloon“ mit einem eisgekühlten Bier an der Bar zu hocken. Auch verlangt die größte Konzertbühne von Sturgis am Campingplatz „Buffalo Chip“ den Zuschauern kein Maskentragen ab, bevor sie zum Sound von Stars wie Kid Rock, Stone Temple Pilots, Anthrax, REO Speedwagon oder ZZ Top die meist lichte, ergraute Haar-Matte schwenken.
Dr. Shankar Kurra, Vizepräsident vom Gesundheitszentrum „Monumental Health“ ist darum nervös. „Sturgis und die Delta-Variante zusammen, das erhöht das Risiko einer starken Virusverbreitung enorm.“
South Dakota biete eine ideale Angriffsfläche. Nur 46 % der Bevölkerung sind geimpft – gegenüber 60 % im Landesdurchschnitt. Die Zahl der Infektionen stieg erst in der vergangenen Woche um 70 %. Kritiker bis hin zu Präsident Joe Bidens Chef-Epidemiologen Anthony Fauci sagen durch die Blume, dass Sturgis aus dem vergangenen Jahr wenig gelernt hat. Die Jubiläums-Rallye zum 80-jährigen Bestehen der legendären Veranstaltung wurde damals abgesagt. Trotzdem kamen 460.000 Leute. 60 % der Bewohner waren strikt dagegen. „Leck mich, Corona. Ich war in Sturgis“-T-Shirts waren der Renner.
Am Ende, so hatte es die US-Gesundheitsbehörde CDC nachvollzogen, wurden mindestens 650 Corona-Infektionen in 29 Bundesstaaten auf die Teilnahme in Sturgis zurückgeführt; darunter etliche Todesfälle. Berechnungen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn kamen auf rund 260.000 Neu-Infektionen. Aber das wurde als Fiktion und Panikmache diffamiert.
Kristi Noem, die republikanische Gouverneurin des Bundesstaates, ein glühender Fan von Donald Trump, widersetzt sich bis heute allen restriktiven Corona-Maßnahmen. „Willkommen in der Freiheit“, begrüßte sie am Montag die Gäste. Noem ritt mit Cowboy-Hut auf dem Pferd in die Stadt ein und stieg später auf ein schweres Zweirad um. Ihre Botschaft: „Amüsiert euch, Leute.“
800 Millionen Dollar soll die „Sturgis Motorcycle Rally“ in diesem Jahr nach Kalkulation des Tourismus-Ministeriums nach South Dakota spülen.
Irgendwas, eh egal
Viele Biker, die sich in diesen Tagen auf der Main Street lässig auf ihren „Böcken“ interviewen lassen, sehen die Sache so wie Jenny McKinney. Die Mittsechzigerin, von Beruf Schulbusfahrerin, ist Mitglied der religiösen Motorrad-Gruppe „Bikers for Christ“. Mit ihrem Mann ist sie – ungeimpft und ohne Maske – auf einer Harley Davidson unterwegs. Ihr Credo: „Ein Motorrad kann viel gefährlicher sein als Corona. Irgendwas erwischt dich immer.“
Um die Biker aus den Bars zu locken, hat die Stadtverwaltung diesmal den Alkohol-Konsum unter freiem Himmel gestattet. Nur Bier und Wein. Kein hartes Zeug. Wer im Freien zechen will, muss ein durchsichtiges Souvenir-Glas aus Plastik und ein grünes Handgelenksband kaufen. Darauf steht: „Über 21“. Ab diesem Alter darf man in South Dakota trinken.
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