Wie Opa Sepp (79) und Enkerl Matteo (29) TikTok erobern
Sepp Treitler zeigt auf zwei in Holz gerahmte Bilder, deren Farben schon leicht verblichen sind, im Esszimmer. Die zeigen ihn als Mitglied eines Quintetts, in welchem er Anfang der 60er-Jahre Zieh- beziehungsweise Klavierharmonika gespielt hat. Fünf junge Männer in einheitlichem Trachtenanzug, die mit ihrem Instrument in den Händen für das Bild posieren.
Damals hat der gelernte Maschinenschlosser selbst Lieder komponiert und aufgeführt – inklusive Schmäh führen auf der Bühne. „Wenn‘s im Gasthaus Sperrstund„ ghabt ham, hams mi ans Mikrofon g‘lassen – da sind die Leut von selber gangen“, erzählt der Weststeirer mit einem Augenzwinkern.
Das ist nur eine von vielen Anekdoten, die Sepp Treitler an diesem Nachmittag mit einem Schmunzeln erzählt. Mit seinem charakteristischen weißen Unterhemd und dem charmanten schwarzen Humor hat er es zu Berühmtheit auf der Kurzvideo-Plattform TikTok gebracht. 70.000 Menschen folgen ihm dort bereits.
„Was ist Demenz“
„Hey Opa, weißt du, was das Lustige an der Demenz ist?“, fragt ihn sein ältestes Enkelkind Matteo. „Na, weiß ich nicht“, antwortet der 79-Jährige im tiefsten weststeirischen Dialekt. Matteo daraufhin: „Ich kann dir jeden Tag den gleichen Witz erzählen und du lachst!“ Der Opa lacht.
In der Videobeschreibung steht: Opa lacht – schon wieder. Dank solcher Schmähs – dieser wurde 3,7 Millionen Mal aufgerufen – hat sich um den „Opa“ eine vor allem junge Fangemeinde entwickelt. Familienprojekt „Blödsinnigerweise“ sei das alles entstanden, sagt der 79-Jährige. Schuld daran ist Enkerl Matteo. Der 29-Jährige hat in der Corona-Zeit begonnen, seinen Opa beim Witze-Erzählen zu filmen. Passenderweise heißt ihr Account „opaundenkelat“.
Bis heute sind 150 Kurzvideos entstanden. „Opaundenkelat“ ist aber auch zu einem richtigen Familienprojekt gewachsen. Dazu gehören Oma Traude (76) und das jüngere Enkelkind Laura. Wenn sie sich auf der Eckbank um den massiven Holz-Esstisch versammeln – „das Filmset“, wie Traude erklärt – rennt der Schmäh auch abseits der Kamera. „Das Unterleiberl vom Opa könnten wir als Arbeitskleidung von der Steuer absetzen“, witzelt Matteo über das Gewand, das Opa Sepp in jedem seiner Videos trägt.
Da verwundert es auch nicht, dass er Dutzende weiße Unterhemden besitzt. Während Sepp gern direkt in die Kamera spricht, ist Oma Traude lieber im Hintergrund. Das hält sie aber nicht davon ab, auf ihre Art mitzuwirken: „Schatz, wo steht denn mein Essen?“, fragt Sepp in einem Video, das eine Million Mal gesehen wurde. „Im Kochbuch, Seite 12!“, antwortet Traude daraufhin resolut aus dem Off.
„Ohne Oma geht nix“
Traude nimmt manchmal auch die Rolle der Fans ein, indem sie schon einmal nachfragt, wenn länger kein Video entsteht. „Ohne die Oma geht gar nix, ohne die Oma wär ma nicht hier“, sagt Matteo. Sie ist auch die moralische Instanz, die ab und an Einspruch erhebt, wenn ein Witz zu weit geht. Der schwarze Humor des Duos kann nämlich auch etwas Makabres an sich haben: In einem Video, das 1,8 Millionen Mal gesehen wurde, steht Sepp neben seinem Fahrrad. „Opa, wo fährst denn du hin?“, fragt Matteo. – „Zum Friedhof!“ – „Und wer bringt das Rad zurück?“
Alleinunterhalter
Der vielbeschäftigte Alleinunterhalter Sepp war schon immer der Alleinunterhalter in der Familie. Traude hat ihn schon zu Beginn ihrer mittlerweile 54 Ehejahre als großen Witze-Erzähler kennengelernt. Humor spielt eine wichtige Rolle in ihrer Beziehung, „aber jeder auf seine Art“, meint Traude. Sepp, der im November 80 Jahre alt wird, hat in seiner Pension ein ausgefülltes Leben abseits der TikTok-Karriere.
Er fotografiert leidenschaftlich gern die Dutzenden Eichhörnchen, die vor dem Panoramafenster in seinem Arbeitszimmer die Sonnenblumenkerne, die vom Vogelhäuschen fallen, schnabulieren. Die Tierbilder, die in der hügeligen weststeirischen Landschaft entstehen, hat er bereits in einer Ausstellung gezeigt. Er hat sich in Eigenregie ein kleines Tonstudio mit Keyboard eingerichtet, wo er wie anno dazumal eigene Lieder komponiert und aufnimmt – das Keyboardspielen und das Zusammenfügen der Musik und auf CD brennen auf seinem Laptop hat er sich vor kurzem selbst beigebracht.
Nachdem er auch noch gern Rad fährt – was er mit „einen Vogl hob i“ beschreibt – und zwei Enkelkinder hat – „aber die reichen eh“ – hat er „erst am Abend Zeit für mich“, verrät Traude. Beim Zusammensitzen wird klar: Die Kommunikation in der Familie Treitler ist sehr direkt und ehrlich, aber nicht weniger liebevoll.
Konkurrenz im Haus
Das liegt vielleicht auch daran, dass die Enkelkinder zum größten Teil im Haus der Großeltern aufgewachsen sind. Die Beziehung zu seinem Opa ist dennoch „rein geschäftlich“, sagt Matteo, der dem Alleinunterhalter in der Familie mit seinem Humor durchaus Konkurrenz macht. Wenn er selbst einmal Enkerl hat, will er auch so ein Opa sein, sagt Matteo. „Hat mir mein Opa ja vorgemacht“. Fangemeinde Viel Überzeugungsarbeit von Matteo für den Schritt, die Videos zu veröffentlichen, hat es nicht gebraucht: „Es wird zu wenig gelacht in der Welt“, erklären Sepp und Matteo übereinstimmend die Intention hinter ihrem Account.
Der Plan, die Welt mit mehr Witz zu versorgen, ist dank ihres Erfolgs auf TikTok aufgegangen – auch wenn die „Welt“ wohl Schwierigkeiten hat, dem tiefen weststeirischen Dialekt vom Opa zu folgen: „Sie verstehen mi net, aber is ja wurscht.“ Matteo fügt sicherheitshalber trotzdem in den Untertiteln die Übersetzung des Gesagten in Hochdeutsch ein. Weststeirer verstehen ihn allerdings problemlos, und von diesen wird er auch auf der Straße erkannt.
Fans erkennen Opa
Beim Frühshoppen im Dorf zum Beispiel, da sind junge Frauen zu ihm gekommen und haben um ein Foto gebeten, erinnert sich Traude. Auch der Bürgermeister aus der Nachbargemeinde wollte schon ein Video mit ihm aufnehmen. Das Projekt wird in der Familie jedenfalls ernstgenommen.
Die Reaktionen zu seinen Videos verfolgt Sepp Treitler auch selbst, ein paar lustige Kommentare seien dabei. Für die „netten Leute, die das Anschauen“, wie es Sepp formuliert, überlegt Enkerl Laura laut, eine kollektive Fan-Bezeichnung zu finden. Vielleicht „Opa-Ultras“? Und für die braucht es dann natürlich auch Merchandise. Was das sein soll? Für Familie Treitler ganz klar: weiße Unterhemden.
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