Steirische Grünen-Chefin: "Regierungsbeteiligung ist kein Selbstzweck"
Sandra Krautwaschl, knapp 53, tritt im November zum zweiten Mal als Spitzenkandidatin der Grünen bei Landtagswahlen in der Steiermark an.
Welche Lehren zieht sie aus dem Ergebnis der Nationalratswahlen? Und sieht sie Werner Kogler, ebenfalls Steirer, weiterhin als Bundesparteivorsitzenden?
KURIER: Die Lehre aus dem vergangenen Sonntag: Was nehmen Sie mit für Ihren eigenen Wahlkampf?
Sandra Krautwaschl: Es ist kein österreichisches Phänomen, dass Regierungsparteien in Krisenzeiten nicht gerade belohnt werden, egal, was sie tun. Es ist viel leichter, Krisen mit Propaganda zu beantworten und, vor allem wie es die FPÖ macht, sehr viele Ängste zu schüren, anstatt die Lösungen an die Menschen zu bringen.
Und die Menschen da auch beim Gefühl zu erreichen. Das ist bis zu einem gewissen Grad das, was man als Preis des Regierens bezeichnen kann. Im Positiven nehme ich mit, dass wir eine Wahlbewegung gehabt haben wie noch nie. Wir hatten ganz, ganz viele Menschen, die mit uns gelaufen sind, wir haben ganz viel Zuspruch bekommen. Deshalb war das ein schmerzlicher Wahlabend, ich hätte mir schon gedacht, dass das Ergebnis eine Spur besser ist, auf jeden Fall zweistellig.
Sie müssten ja dann in der Steiermark eine bessere Ausgangsbasis haben als Ihre Kollegen im Bund, Sie regieren nicht in der Steiermark.
Auf Bundesebene ist es sicher nicht gelungen, den Menschen all das, was wir erreicht haben, so nahezubringen, dass sie emotional davon bewegt waren, uns auch zu wählen. Nennen Sie mir beispielsweise eine Regierung in den vergangenen 20 Jahren, die es geschafft hat, Sozialleistungen für die, die es wirklich brauchen, an die Teuerung anzupassen? Das gibt es nur wegen der Grünen. Wir haben viele Dinge umgesetzt, die das Leben der Menschen leistbarer machen: Wir haben das Klimaticket umgesetzt, das alle für unmöglich hielten. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energie wird Leben langfristig leistbarer machen, aber das ist nichts, was auf die Schnelle wirkt. Da sind viele Versäumnisse aus der Vergangenheit, die nicht in einer Regierung in fünf Jahren aufgeholt werden können.
Aber in der Steiermark haben Sie den Regierungsmalus eben nicht.
Ja, wir sind in Opposition. Aber auch aus dieser Rolle heraus haben wir über viele Jahre sehr viele Dinge erarbeitet und Pläne erstellt, auf die die Landesregierung schielt. Pläne für alle wichtigen Lebensbereiche, für die das Land zuständig ist, von Kinderbildung und -betreuung über Bodenschutz und Pflege. Es ist motivierend, dass viele unserer Konzepte, die wir seit über zehn Jahren verfolgen, nun von anderen Parteien entdeckt werden. Unser Auftrag im Wahlkampf ist, das den Menschen noch einmal näher zu bringen.
2019 hatten Sie ein gutes Ergebnis für die Grünen in der Steiermark und waren fast enttäuscht, dass es für eine Regierungsbeteiligung nicht gereicht hat.
Für mich ist das Ziel, eine starke grüne Stimme in diesem Land zu haben, egal, aus welcher Rolle heraus. Jetzt ist es Zeit, den Steirerinnen und Steirern ein Angebot zu machen: Wer will, dass wir wirklich weiterbringen, was in dem Land notwendig ist, ein echtes Bodenschutzgesetz zum Beispiel, muss uns auch wählen. Es ist eine Richtungswahl. Wenn wir nicht dabei sind, werden Rot, Schwarz, Blau, in welcher Konstellation auch immer, weiter wurschteln wie bisher. Wir wollen im Gegensatz zu den drei Altparteien wirklich etwas verändern und besser machen. Das können wir aus der Opposition heraus, aber auch sehr gerne, wenn wir entsprechend gestärkt werden, in einer Regierung.
Sie müssten beim Wahlergebnis ziemlich zulegen, um in die Landesregierung zu kommen.
Wie auf Bundesebene wäre es dann realistischerweise eine Dreierkoalition. Für mich ist eine Regierungsbeteiligung aber kein Selbstzweck.
Das Hauptkampfgebiet in der Steiermark ist grundsätzlich Graz, dort ist das Grundmandat zu holen. Aber hier kämpfen die Grünen, die Neos, die KPÖ: Graz ist also keine g’mahte Wiesen, auf gut steirisch.
Das ist es nie. Graz hat den Ruf, unberechenbar zu wählen. Aber gerade darin sehe ich eine riesengroße Chance. Wir haben bei der Nationalratswahl gesehen, dass in den Städten die Stimmen teilweise zur SPÖ gewandert sind, in vielen Fällen offenbar als eine Folge des taktischen Wählens. Ich glaube, die Leute unterscheiden sehr wohl zwischen einer Landtags- und Nationalratswahl. Sie sehen, dass gerade in der Konstellation Schwarz-Rot, die wir seit Jahrzehnten haben, in den wesentlichen Zukunftsfragen nichts weiter geht. ÖVP und SPÖ sind sich ja sehr gewogen, der Herr Landeshauptmann erklärt bei jeder sich ihm nur bietenden Gelegenheit, welch vertrauensvolle Zusammenarbeit er mit der SPÖ hat. Schön für ihn, aber für die Menschen in der Steiermark bringt das in genau den wichtigen Bereichen – Pflege, Bodenschutz, Kinderbildung – gar nichts. Es braucht in der Steiermark eine positive, pro-aktive, zukunftsgewandte Kraft wie uns Grüne, die hier mithilft.
- Privat: Sandra Krautwaschl (*1971), verheiratet, drei Kinder. Sie ist mit Diözesanbischof von Graz-Seckau, Wilhelm Krautwaschl, verwandt
- Beruf: Krautwaschl ist Physiotherapeutin; 2009 startete sie mit ihrer Familie den Versuch, vollkommen plastikfrei zu leben - aus einem Monat wurden Jahre und ein Buch über diese Erfahrungen
- Politik: Seit 2010 Gemeinderätin in Eisbach bzw. Gratwein-Straßengel (Graz-Umgebung), ab Juni 2015 im Landtag, bei den Landtagswahlen 2019 erstmals Spitzenkandidatin: Im November 2019 erzielten die Grünen in der Steiermark 12,1 Prozent, das war ihr bisher bestes Ergebnis bei Landtagswahlen. Seit September 2020 ist Krautwaschl Landessprecherin der Grünen
Gibt es hier Beispiele?
Wenn man schon von der Steiermark als grünes Herz spricht, ist es wichtig, dass man endlich aufhört, das Land zuzubetonieren. Ein weiteres Beispiel ist die PV-Pflicht auf Parkplätzen: Das haben wir x-mal im Landtag eingebracht, es spricht nichts dagegen, die Leute wollen das auch – das ist eines der meistnachgefragten Dinge. Warum macht man das nicht? Warum kann man weiterhin ein Einkaufszentrum nach dem anderen auf die grüne Wiese stellen, ohne dass dort wenigstens PV-Anlagen über die Parkplätze kommen müssen? Das und andere wichtige Anliegen werden wir trommeln bis zum 24. November und darüber hinaus. Das ist eine Frage des politischen Willens, das umzusetzen, aber weder die ÖVP noch die SPÖ - und die FPÖ schon gar nicht - würde das tun.
Eine Dreikoalition hieße dann ÖVP-SPÖ-Grüne. Aber mit ÖVP und SPÖ gehen die Grünen in einigen Punkten diametral auseinander, Stichworte A9-Ausbau und Leitspital Liezen. Wie würden Sie denn da drüber steigen?
Das sind zwei sehr unterschiedlich gelagerte Themen. Der Ausbau der A9 ist auf Bundesebene zu entscheiden, das weiß auch der Herr Landeshauptmann ganz genau. Wir alle sollten uns um Themen kümmern, die wir direkt im Land zu entscheiden haben.
Also das Leitspital Liezen.
Da haben wir seit Jahren eine sehr klare Position. Wir erkennen an, dass sich auch Strukturen verändern müssen. Aber dann müssen wir den Menschen zuerst etwas geben, wo sie einen Mehrwert bekommen: Das heißt, wir müssen zuerst die sogenannte Primärversorgung ausbauen und sichtbar machen, das ist ein Mehrwert, da hat man tagsüber und bis in die Abendstunden alle Gesundheitsberufe unter einem Dach. Und danach wird man auch die Akzeptanz schaffen können, es braucht ein Leitspital mit einem entsprechenden Portfolio an Leistungen, damit man dort die nötigen Fallzahlen zusammen bekommt. Aber das ist halt leider nicht passiert, das merken die Menschen. Und jetzt fühlen sie sich benachteiligt, berechtigterweise.
Sie sind also nach wie vor gegen den Bau in Stainach-Pürgg?
Absolut, ja.
Dann wäre das eine Koalitionsbedingung.
Nein, überhaupt nicht. Für mich ist essenziell, dass dort die Gesundheitsversorgung ganzheitlich gut aufgestellt ist. Ich finde nach wie vor, dass man das LKH Rottenmann ausbauen sollte, denn das, was in Stainach-Pürgg geplant ist, hat von Anfang an nie Hand und Fuß gehabt. Ich sehe auch den Mehrwert im Vergleich zu dem großen Spital in Rottenmann nicht, das man gut aufwerten könnte.
Wird Werner Kogler am 24. November noch Ihr Bundesparteivorsitzender sein?
Ja, davon gehe ich aus.
Trotz dieses Misserfolgs bei den Nationalratswahlen?
Werner Kogler ist bis 2025 mit einer großen Mehrheit gewählt worden. In schwierigen Zeiten der Republik in fünf Jahren Dauerkrise von Pandemie über Krieg, Energiepreisexplosion und Teuerung hat er bewiesen, dass er ein unglaublich guter Teamplayer ist, der uns trotzdem ganz, ganz viel Umsetzung ermöglicht hat, bei 14 Prozent für die Grünen mit dieser ÖVP. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Kogler weiter Vorsitzender bleibt.
Sehen Sie die Grünen im Bund wieder in der Regierung? Und mit wem?
Es hat da ja schon ein sehr deutliches Signal gegeben, das nehme ich ernst. Ich finde es wichtig, dass man sich nach so einem Wahlergebnis, das uns alle erschüttert hat, sehr klar positioniert, wofür man steht und fünf Jahre gekämpft hat. Dass man auch sagt, wir nehmen uns nicht aus dem Spiel. Aber ich gehe jetzt einmal nicht davon aus, dass eine Regierungsbeteiligung eine realistische Variante ist.
Jetzt könnte man sagen, das grüne Experiment ist gescheitert.
Da ist gar nichts gescheitert. All diese Dinge, die gelungen sind, Anpassungen der Sozialleistungen an die Teuerung – das hat keine SPÖ mit der ÖVP umgesetzt, eine FPÖ würde das nicht einmal wollen. Aber wir haben das umgesetzt, in schwierigsten Zeiten. Wir haben eine ökosoziale Steuerreform, die 80 Prozent der Menschen mehr Geld ins Geldtascherl spült. Trotzdem sind massive Lügen über das verbreitet worden, was ein CO2-Preis macht und was der Klimabonus macht und dass alles ein Blödsinn ist. Man kann uns gerne vorwerfen, dass wir es kommunikativ nicht geschafft haben, gegenzuhalten. Aber die Tatsache, dass viel Positives für das Land gelungen ist, darauf bin ich unglaublich stolz.
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