Dritte Fahrspur für die A9: "Alternativlos" oder überholt?

Autobahn in der Nacht
Während Ministerin Gewessler Ausbau südlich von Graz auf Eis legte, fordert ihn die steirische Landesregierung weiter vehement. Was Experten dazu sagen.

Derzeit werden pro Jahr 138 sogenannte Staustunden auf der Pyhrnautobahn (A9) von Graz in Richtung Süden registriert – jeder Autolenker steht dort wöchentlich im Schnitt zwei Stunden im Stau. Die Auslastung der A9 liegt bei 103 Prozent, sie ist also überlastet.

Die Prognose für 2040 sagt voraus, dass sich diese Stehzeit mehr als verdoppeln wird, auf 370 Staustunden. Das liegt an der stetig wachsenden Region als Wohn-, aber auch Gewerbegebiet: bis 2040 sollen dort um 12 Prozent mehr Menschen wohnen und die Anzahl der Arbeitsplätze wird um rund sieben Prozent wachsen.

Das ergibt mehr Verkehr, die Auslastung der A9 würde auf 108 Prozent steigen. Deshalb gab die ÖVP-SPÖ-Landesregierung eine Studie in Auftrag: Der Ausbau der A9 von Graz-West bis Wildon auf je drei Spuren in jede Fahrtrichtung sei "alternativlos", obwohl Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Projekt auf Eis gelegt hat. Frühestens 2032 könnte er fertig sein, machte die Landesregierung aber Druck.

Eine breitere Diskussion soll in Gang kommen

Doch reichen Prognosen von Verkehrsentwicklungen alleine für eine solche Entscheidung? Nein, befinden die steirischen Grünen und luden am Freitag zu einer Runde mit Expertinnen und Experten aus dem Bereich Klimaschutz, Raumplanung, Verkehrsplanung und Verkehrstechnik. "Wir wollen so die Breite der Diskussion anziehen, die bisher gefehlt hat", begründet Landessprecherin Sandra Krautwaschl.

Tatsächlich sind die Experten wesentlich zurückhaltender als die Politik mit ihrem Fazit und fordern Alternativen abseits eines Autobahnausbaus. Martin Fellendorf, Uni-Professor an der TU Graz und Co-Autor der Studie, betont: "Rein von der Verkehrstechnik her sehe ich, dass wir den dritten Streifen benötigen. Aber dass der Schluss 'alternativlos‘ heißt, ist eine andere Sache."

Allerdings würde sich ohne Maßnahmen der zunehmende Kfz-Verkehr noch mehr auf parallel liegenden Landesstraßen und in Ortsgebiete verlagern.

Eine neue Masse an Kfz

Karl Steiniger vom "Wegener Center für Klima und globalen Wandel“ wirft ein, dass in der Studie zudem ein Faktor nicht einkalkuliert wurde – der sekundär induzierte Verkehr: Das ist jene Masse an Kfz, die überhaupt erst entsteht, weil sich wegen einer verbesserten Autobahn neue Betriebe entlang der Strecke ansiedeln oder neue Wohngebiete in der Region entstehen.

Weitere Fahrstreifen machen zwar den Verkehr auf der Autobahn vorübergehend flüssiger, die Belastung auf den umliegenden Straßen wird aber nicht verringert.

von Sandra Krautwaschl

Grüne

Dazu käme der induzierte Verkehr. Jener, der wegen wieder flüssigeren Fahrbedingungen zurück auf die Autobahn wechselt: Steiniger geht von einer Zunahme von zehn bis 15 Prozent auf einer ausgebauten A9 aus.

Werner Prutsch, Leiter des Umweltamtes Graz, drückt das so aus: "Die Leute fahren dort, wo sie zeitlich am schnellsten sind. Derzeit wählen viel noch den öffentlichen Verkehr, weil die Stausituation auf der A9 so ist, wie sie ist. Aber wenn sich die Stausituation auflöst, werde Tausende sagen, ich fahre wieder mit dem Auto. Und der Verkehr nimmt wieder zu." Schon jetzt sind auf der A9 pro Werktag durchschnittlich 78.600 Kfz unterwegs, 15 Prozent davon Schwerverkehr.

Flüssiger, aber nicht weniger Verkehr

Die Expertenrunde fordert deshalb am Freitag den Ausbau der A9 nicht gleich als "alternativlos" politisch einzubetonieren. "Eine reine Verkehrsdebatte ist auf jeden Fall zu wenig“, resümiert Sandra Krautwaschl. "Weitere Fahrstreifen machen zwar den Verkehr auf der Autobahn vorübergehend flüssiger, die Belastung auf den umliegenden Straßen wird nicht verringert.“ 

Runter vom Gas

Es brauche ein "Maßnahmenbündel": Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Geschwindigkeitsbeschränkungen, flächendeckende Lkw-Maut auf Landesstraßen, fordert die Grüne.

Studienautor Felldendorf spricht sich ebenfalls für einen umfassenderen Blick auf das Ganze aus: Es brauche auch eine "drastische Parkplatzreduktion“, doch für "drastische restriktive Maßnahmen im Straßenverkehr ist ein hohes Maß an politischem Rückgrat erforderlich“. 

Graz, der "Wasserkopf" - und die Pflicht der Politik

Uni-Professorin Gerlind Weber, Raumplanerin von der Boku Wien, nimmt auch die Bürgermeister in die Pflicht: "Sie haben sich vieles selbst mit maßlosen Entwicklungsbeschlüssen eingebrockt.“ Sie fordert vom Land Steiermark, das einen "Wasserkopf Graz“ gezüchtet habe, mehr Verantwortung in der Koordination – und von Politikern, sich im Bereich Raumplanung mehr zu bilden.

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