Sandra Norak hat den Ausstieg geschafft. Die Juristin erklärt, warum es kaum „freiwillige“ Prostitution gibt und wieso die Arbeit im Bordell kein hipper Nebenjob sein kann.
Angekettet in einem dunklen Heizkeller, physisch der Freiheit beraubt. Dieses Bild von Zwangsprostitution geistert noch immer in vielen Köpfen herum. Dabei sieht die Realität meist anders aus.
„Ich hätte jederzeit auf die Straße gehen und wegrennen können.“ Warum der Ausstieg aus der Prostitution so schwer ist, erklärt eine, die es selbst erlebt hat. Kürzlich nahm Sandra Norak an einer Diskussionsrunde in Linz teil. Anlass war der Europäische Tag gegen Menschenhandel und der 10. Geburtstag der Initiative „Solwodi. Aktiv gegen Menschenhandel. Aktiv für Menschenwürde“, in der sich Ehrenamtliche für Frauen in der Prostitution einsetzen und ihnen beim Ausstieg helfen möchten.
Erfahrung mit Zwangsprostitution: Die Loverboy-Methode
Als Minderjährige lernte Sandra Norak einen 20 Jahre älteren Mann kennen, zu dem sie eine emotionale Bindung aufbaute, die dieser Stück für Stück missbrauchte und sie schließlich in Bordellen arbeiten ließ. Man spricht in so einem Fall von der „Loverboy-Methode“.
„Am Anfang habe ich mir noch gedacht, vielleicht ist das Liebe. Er war mein erster Freund.“ Sechs Jahre war Norak im Rotlichtmilieu, darunter auch in sogenannten „Flat-Rate-Bordellen“, in denen sie bis zu 20 Freier pro Tag hatte. „Selbst wenn Prostituierte sagen, dass sie das alles freiwillig machen, stimmt das sehr, sehr oft nicht. Da stecken Traumatisierung sowie emotionale, psychische und finanzielle Abhängigkeiten dahinter“, erklärt Norak.
Sie selbst habe mittendrin auch gedacht, sie mache das freiwillig. „Hätte mich damals jemand gefragt, ob ich ein Opfer bin, hätte ich Nein gesagt.“ Erst danach habe sie das System und seine Mechanismen erkannt. „Kein Mann, der für Sex bezahlt, kann ausschließen, dass die Frau nicht auf die eine oder andere Art und Weise dazu gezwungen wird, ihren Körper zu verkaufen.“
Anzahl Laut Statistik Austria waren 2023 in Österreich 5.078 Prostituierte registriert. Damit nahm die Anzahl gegenüber dem Vorjahr ab, nachdem sie zuvor jahrelang gestiegen war. Die Dunkelziffer ist jedoch viel höher
Begriffe Viele Frauen bezeichnen sich selbst als Sexarbeiterinnen, andere lehnen den Begriff strikt ab. Er verharmlose die Umstände, in denen sich die Frauen befinden
Nordisches Modell Gilt als innovativ, wird aber heiß diskutiert. Besteht aus drei Säulen: Entkriminalisierung der Frauen, Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber, Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für Prostituierte
Deswegen sieht Norak, die nach ihrem Ausstieg die Matura und ein Jus-Studium absolviert hat, einen derzeitigen Trend kritisch: Immer wieder ist von Frauen zu lesen, die auf sozialen Medien ihre Erfahrungen in der Prostitution teilen – als Nebenjob, um etwa ein Studium zu finanzieren.
Auf Plattformen, die als hip gelten und von vielen jungen Menschen rezipiert werden: „Das ist eine gefährliche Verharmlosung. Ich habe von Frauen gehört, die es ‚versuchen‘ wollten, bereits nach der ersten Vergewaltigung schwer traumatisiert waren und erst recht ins Milieu abgerutscht sind.“ Deswegen lehne sie auch den Begriff „Sexarbeit“ ab: „Durch diesen Begriff wird die Gewalt verschleiert, die in diesem Gewerbe an der Tagesordnung ist. Prostitution wird als normale Arbeit glorifiziert. Das ist sie nicht.“
Das nordische Modell
Die Legalisierung von Prostitution in Österreich und Deutschland sieht die Aussteigerin kritisch: „Sie ist der Grund, warum unter anderem Strafverfolgung so schwierig ist.“
Als Vorreiter in Sachen Regulierung gilt das nordische Modell: Das funktioniert so, dass nicht die Frau bestraft wird, sondern der Freier. Das Modell versucht, Prostitution einzudämmen, indem es die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu reduzieren versucht. Es wird kontroversiell diskutiert. Das Gegenargument: Prostitution würde so in den Untergrund wandern.
Sandra Norak kontert: „Diesen Untergrund gibt es bereits vor unseren Augen. Es kann aufgrund der Legalisierung und der gesetzlichen Bestimmungen nur zu wenig getan werden.“ Warum vielen Frauen der Ausstieg aus der Prostitution so schwerfällt, erklärt sie so: „Oft ist Gewalt im Spiel. Alles ist stark von Scham geprägt: Viele Frauen denken, sie verdienen dieses Leben und passen nicht in die Welt da draußen.“ Viele Prostituierten seien bereits in der Kindheit sexuell missbraucht worden: „Sie kennen nichts anderes und denken, das ist normal.“
Sandra Norak erzählt heute öffentlich von ihren Erfahrungen, weil ein Punkt sie besonders stört: „Stigmatisiert werden in diesem Gewerbe immer die Prostituierten. Die Männer gehen heim in ihr normales Leben und geben Kind und Frau einen Gute-Nacht-Kuss.“
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