Hochprozentige Verführung: Wie viel Verantwortung tragen Konzerne?

Hochprozentige Verführung: Wie viel Verantwortung tragen Konzerne?
Ausweichen unmöglich: Direkt vor den Supermarkt-Kassen wird noch immer Alkohol verkauft. Wie gefährlich ist das für Suchtkranke und trockene Alkoholiker?

Beim Weinregal hat es Herr S. erfolgreich vorbeigeschafft, nun möchte er seine Einkäufe bezahlen und den Supermarkt verlassen. Verlockend stehen die kleinen Flaschen im Regal direkt vor der Kassa. Ein dezenter Griff und schon liegt das Hochprozentige bei den anderen Waren auf dem Band. Nach dem Zahlen wird die erste Flasche geext, die gefährliche Suchtspirale beginnt sich wieder zu drehen.

Warum wird noch immer Alkohol in kleinen Gebinden direkt an der Supermarktkassa verkauft? Wollen Großkonzerne Geld mit Suchtkranken verdienen? Wo endet die gesellschaftliche und wo beginnt die Eigenverantwortung? Was halten Suchtmediziner von Hochprozentigem in kleinen Gebinden und wie geht es jemandem, der trockener Alkoholiker ist und bei der Kassa zahlen muss?

Der KURIER hat Antworten auf diese Fragen gesucht – und gefunden.

Entscheidung der Filiale

„Wir versuchen, mehr und mehr Gesünderes in den Kassaregalen anzubieten. Diese Empfehlung gibt es aus der Konzernleitung. Wie sie dann umgesetzt wird, liegt bei den Verantwortlichen in den einzelnen Filialen.“ Paul Pöttschacher ist Konzernsprecher der Rewe-Gruppe, zu der unter anderem Billa, Penny und Adeg gehören. Mittlerweile gebe es schon einige Filialen, die gar keinen Alkohol mehr vor den Kassen anböten.

Was sich positiv auswirkt: Dass immer mehr Selbstbedienungskassen entstehen, „dort gibt es sowieso keine zusätzlichen Produkte zu kaufen“, so Pöttschacher. Abgesehen davon wolle man nicht zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger agieren: „Österreich ist beim Wein- und Bierkonsum unter den Spitzenreitern in Europa. Es greift zu kurz, die Verantwortung dafür dem Handel aufzubürden. Wo sind die Kampagnen für einen verantwortungsvollen Alkoholkonsum? Die Bewusstseinsbildung muss viel früher passieren.“

Rainer Schmidbauer ist der Leiter des Instituts für Suchtprävention von pro mente in Oberösterreich. Er hat täglich mit Suchtkranken zu tun. „Das Bewusstsein dafür, dass Alkohol kein normales Konsumgut, sondern stark risikobehaftet ist, muss viel größer werden.“

In Österreich habe man sich gesellschaftlich darauf geeinigt, dass Alkohol zur Kultur gehöre, es gebe eine hohe, gesellschaftliche Akzeptanz. Das sei nicht selbstverständlich und in anderen Ländern ganz anders.

Die Platzierung von Alkoholika an den Supermarktkassen findet Schmidbauer „besonders problematisch. Es sind harte Getränke in kleinen Gebinden. Es gibt keinen einzigen Grund, warum das dort stehen sollte. Außer jemand will maximal verkaufen.“

Trend zu Alkoholfreiem

Abgesehen von der nach wie vor hohen gesellschaftlichen Akzeptanz sei aber auch ein Trend in die Gegenrichtung zu bemerken: In Betrieben ist es immer seltener Usus, gesellig Alkohol zu konsumieren, das Interesse an alkoholfreiem Sekt und Wein nimmt speziell unter jungen Menschen zu. „Das sehen wir auch in den Filialen, dass alkoholfreie Weine und Bier immer mehr nachgefragt werden“, sagt Paul Pöttschacher von der Rewe-Gruppe.

Wie rechtfertigen andere Ketten den Verkauf von Alkohol direkt an der Kassa? „Hofer verkauft im Kassenbereich praktische Artikel und kleine Produkte wie Gutscheine, Kaugummis oder auch Alkohol in kleinen Gebinden. Wir sind jedoch um eine dezente Platzierung bemüht, die im Kassenbereich nicht hervorsticht“, heißt es seitens der Hofer KG. Auf die Frage nach der gesellschaftlichen Nachhaltigkeit und Verantwortung als Konzern gab es keine Antwort, aber: „Die Vinothek befindet sich bewusst im hinteren Bereich der Filialen.“

Lidl macht es sich ganz leicht: „Wir haben das Angebot an alkoholischen Getränken im Kassabereich in den vergangenen Jahren bereits stark eingeschränkt. Aktuell ist nicht angedacht, die Verkaufspraxis zu ändern. Wir halten uns weiterhin an die gesetzlichen Vorgaben.“

Nicole Berkmann, Spar-Sprecherin, sagt: „Wir haben als Nahversorger viele verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen und möchten niemanden bevormunden. Für Menschen, die ein Problem mit Alkohol haben, ist der Einkauf von Lebensmitteln allgemein schwierig. Wenn wir im Supermarkt die kleinen Fläschchen an der Kassa weggeben, kaufen die Betroffenen eben eine Flasche anderen Alkohol aus dem Regal oder sie gehen ins nächste Wirtshaus.“

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