Von Berlin bis Graz: Wohnen wird zum Protestthema
Es sind nicht immer die großen allgemeinen Themen, die bei einer Wahl für einen Umsturz sorgen. Vielfach ist es der Alltag, der die Wähler die Parteifarbe wechseln lässt. Ein Thema, das da besonderen Sprengstoff birgt, ist die Frage des leistbaren Wohnens.
Das ist für die KPÖ in Graz immer an oberster Stelle gestanden, das zählt auch in der deutschen Hauptstadt Berlin derzeit zu den brennendsten Themen. In Graz war es mitentscheidend dafür, dass die KPÖ mit Elke Kahr an der Spitze am Sonntag die Wahl gewonnen hat. In Berlin hat eine Mehrheit von 56,4 Prozent dafür gestimmt, dass große Wohnkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet werden.
Dort regiert derzeit Rot-Grün-Rot. Neben der SPD, die sich bei Enteignungen zurückhält, mischt auch die Linke mit, die für so einen Schritt wäre. Und die Grünen schließen derartige Maßnahmen nicht aus. Zurück nach Graz: Da hat die dunkelrote KPÖ immer wieder gefordert, dass eine Mietzinsobergrenze eingeführt wird.
Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt spricht jedenfalls dafür, dass dieses Protestthema auch in anderen größeren Städten aufschlagen wird. Und dass jene Partei oder Gruppierung bei Wahlen punktet, die das Wohnungsproblem politisch am besten abdecken kann. Die Grazer KPÖ ist den Plänen nach Enteignungen, die laut Volksbefragung in Berlin bereits mehrheitsfähig sind, sicherlich nicht abgeneigt – auch wenn so ein Schritt in beiden Fällen (noch) nicht vorstellbar ist. Aber niemand weiß, was passiert, wenn der Wohnungsdruck weiter steigt.
Grazer Forderung nach Mietgrenze
Seit Jahren trommelt Elke Kahr eine Botschaft: Es müsse eine gesetzliche Mietzinsobergrenze geben, denn „Wohnen ist viel zu teuer geworden“. Diese Schranke soll auch im privaten Sektor einziehen.
Nun stieß Kahr am Sonntag mit ihrer KPÖ die ÖVP vom Sockel und ist auf dem besten Weg, erste kommunistische Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs zu werden. Entsprechend mehr Gewicht bekommen ihre Forderungen, sie bleibt dabei: „Wir halten Mietzinsobergrenzen für wichtig, das muss man in Angriff nehmen“, betont Kahr am Montag. „Für uns ist das eine Kernfrage.“ Als Grenze könnte sich Kahr den Wiener Richtwert von knapp sechs Euro/ vorstellen, das schütze vor „überbordenden Mieten. Das wäre ein Riesenschritt.“
Allerdings muss so ein Schritt im Nationalrat gesetzt werden, in Graz allein geht da gar nichts. Auch Berlin mit seiner Volksbefragung ist da kein Modell, da die deutsche Bundeshaupthauptstadt mehr gesetzgeberische Möglichkeiten.
Aber es zeigt, die KPÖ bleibt ihrem Stammthema treu: Obwohl die ÖVP-FPÖ-Koalition Kahr 2017 das Wohnungsressort abnahm, werden die Kommunisten dennoch als jene Partei wahrgenommen, die sich für leistbares Wohnen einsetzt. Das hat seine Geschichte, die mit dem KPÖ-„Mieternotruf“ von Kahrs Vorgänger Ernest Kaltenegger 1992 begann. Die Entwicklung setzte sich in der Sanierung von Gemeindewohnungen ab 1998 fort: Da war Kaltenegger bereits für den Gemeindewohnbau zuständiger Referent in der Stadtregierung im Kulturhauptstadtjahr 2003 ging diese Sanierung sogar als Kulturprojekt durch: „Eine Nasszelle für jede Gemeindewohnung“. Die Fliesen trugen dann das offizielle Logo von „Graz03“.
Doch längst ist das Wohnkostenproblem aus dem Gemeindebau hinaus gewachsen. Der private Sektor erlebt zwar einen nie da gewesenen Bauboom, doch Erhebungen aus 2020 zeigen: Graz gehört mit Mieten von durchschnittlich zehn Euro pro Quadratmeter zu den teureren Pflastern. In den vergangenen zehn Jahren zogen die Mieten um bis zu ein Fünftel an und das erklärt den Erfolg der KPÖ: Selbst die bekannt bürgerlichen Bezirke färbten sich am Sonntag tiefrot.
Berlin stimmt für Enteignungen
Im Rot-Grün-Roten regierten Berlin, wo die SPD die Grünen nur knapp geschlagen hat, haben 56,4 Prozent der Wähler dafür gestimmt, dass große, auf Profit ausgerichtete Wohnkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet werden dürfen.
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ als Initiator der Volksbefragung glaubt, mithilfe einer Vergesellschaftung von Wohnungen den Anstieg der Mietpreise stoppen und langfristig bezahlbare Mieten sichern zu können. Nur 39 Prozent lehnten diesen Vorstoß ab.
Das Votum ist für die Politik rechtlich nicht bindend. Denn abgestimmt wurde nicht über einen konkreten Gesetzentwurf. Der Berliner Senat ist allerdings aufgefordert „alle Maßnahmen einzuleiten“, die zur Überführung von Immobilien in Gemeindeeigentum erforderlich sind. SPD, CDU, AfD und FDP sind – wie die Wirtschaft – gegen Enteignungen. Die Linke ist ohne Wenn und Aber dafür, die Grünen halten einen solchen Schritt „als letztes Mittel“ für möglich.
Die Entschädigungskosten würden sich laut Prognosen des Senats auf 29 bis 36 Milliarden Euro belaufen. Die Enteignungsinitiative rechnet hingegen mit 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro.
Sie will Immobilienunternehmen wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius, Covivio, Heimstaden, Pears Global, TAG Immobilien, Grand City Properties, ADO Properties und noch einige weitere enteignen. Und nicht nur Wohnungen oberhalb der 3.000er-Grenze. Insgesamt geht es um mindestens 240.000 Wohnungen in Berlin. Statt mit Geld soll mit Schuldverschreibungen entschädigt werden. Diese sollten dann über 40 Jahre aus Mieteinnahmen getilgt werden, so die Vorstellungen der Enteignungsfreunde.
In jedem Fall dürfte ein solches Vorhaben vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Dort war Berlin zuletzt im April mit dem Mietendeckel gescheitert, also staatlich verordneten Obergrenzen für Mieten. Das Votum für die Enteignung droht Investoren zu verschrecken. Gegner der Enteignungsinitiative glauben, dass dadurch keine einzige Wohnung zusätzlich gebaut würde, weil Investoren dann den Berliner Markt weiträumig meiden werden.
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