Kaum schwerer als ein Packerl Butter, gerade einmal drei Esslöffel Blut in seinem gesamten Körper: Das war Gabriel, als er geboren wurde - er wog exakt 273 Gramm.
Der Bub ist eines von rund 400 Frühchen, die jährlich an der Grazer Kinderklinik umsorgt werden. Ein Viertel von ihnen wiegt weniger als 1.500 Gramm, ein paar - wie Gabriel und seine Brüder Raphael und Michael - sind extreme Leichtgewichte mit nicht einmal einem Kilogramm Geburtsgewicht.
Klein, aber gut bei Stimme
Sie sind so klein und so früh geboren, dass weder Lunge, noch Darm, noch Muskeln vollständig ausgebildet sind. Ihre Haut ist manchmal so zart, dass sie die Elektroden eines EKG verletzten könnten. Und sie sind so winzig, dass sie zuweilen Puppenkleidung tragen und speziell für sie gefertigte Mini-Windeln. Aber nicht so klein, dass sie nicht bei Stimme wären - „und wie“, schmunzelt Berndt Urlesberger. „Auch wenn sie natürlich nicht ganz so laut schreien wie große Babys.“
Seit 2012 leitet Urlesberger die Neonatologie des Uni-Klinikums Graz, seit 1990 ist er spezialisiert auf die Behandlung von Frühgeburten. „Ich war schon im Studium fasziniert von der Kleinheit, Zartheit, aber auch Stärke dieser Babys“, beschreibt er. „Diese Zartheit gepaart mit Lebenswillen ist unglaublich.“
In diesen 30 Jahren hat sich die Medizin so massiv weiterentwickelt, dass Frühchen in der 23. Schwangerschaftswoche eine Chance haben: 1990 lag die „Grenze zur Lebensfähigkeit“ noch bei der 28. Woche. „Als ich in dem Bereich begonnen habe, waren Kinder unter 800 Gramm eine Riesenherausforderung“, erinnert sich Urlesberger. „Die meisten von ihnen haben nicht überlebt.“
Heute schaffen es Babys wie Gabriel, auch dank neuer Medikamente: Darunter ein Mittel, das jenen Lungenfilm nachbildet, der erst ganz am Ende einer Schwangerschaft gebildet wird. Das war ein Meilenstein, betont Urlesberger, denn damit konnten auch Leichtgewichte mit ein paar Hundert Gramm beatmet werden, ohne ihre Lunge zu zerstören. Davor war das eines der größten Probleme.
„Die Mauer, an der wir jetzt stehen, ist die 22., 23. Schwangerschaftswoche“, beschreibt Urlesberger. „Als ich begonnen habe, ist es nur um die Frage gegangen, wie können wir die Frühgeburten am Leben erhalten? Die Frage, wie es ihnen später gehen wird, war im Hintergrund.“ Mit sinkender Lebensfähigkeitsgrenze geriet diese auch ethische Frage immer mehr in den Vordergrund. „Man muss ehrlich sein: Es gibt Kinder, von denen wir wissen, wir können sie nicht betreuen. Zehn Prozent sterben“, gesteht Urlesberger ein.
Wachen am Bettchen
Rund 50 Betten hat die Neonatologie in Graz. Jedes Kind wird nicht nur von Technik überwacht, sondern auch von Menschen: Auf der Intensivstation hat sogar jedes Frühchen eine Pflegekraft, die es nicht aus den Augen lässt. Denn nicht nur Beatmung, Ernährung oder Verdauung sind Knackpunkte, auch pflegerisch ist großes Können nötig: Alle zwei bis drei Stunden muss ein Baby umgelagert, sprich, seine Position im Bettchen verändert werden. So sollen Druckstellen vermieden werden.
„Das Liegen ist eine Herausforderung“, beschreibt Professor Urlesberger. „So ein Frühgeborenes ist nicht für die Schwerkraft bestimmt. Ein Fötus schwimmt ja fast in Schwerelosigkeit.“
Treffen der Frühchen
Besonders früh geborene Kinder bleiben entsprechend lange auf der Neonatologie, Gabriel etwa sieben Monate. „Das ist dann fast schon wie Familie“, sagt Urlesberger. Apropos Familie: Ein Verein organisiert regelmäßige Treffen von Eltern und Frühchen. „Es ist spannend, mit einem 20-jährigen Frühchen zu reden“, erzählt Urlesberger. „Auch unter den Medizinstudenten haben wir immer wieder welche, die auf die Station kommen und sagen, ich bin da auch gelegen.“
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