Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe

Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Eltern und ihre Kinder, die unreif zur Welt kommen, haben einen harten Start. Dafür müssen Ärzte üben.

Die fröhliche Mila setzt zur Herzmassage an. Unter der Anweisung zweier Mitarbeiterinnen des Vereins "Puls - Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes" drückt sie mit ganzer Kraft in den Brustkorb. Sie lacht dabei und es wirkt: Ihr Teddybär überlebt.

Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Tag der Frühgeborenen, Wiener AKH, Neonatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, 17. November. Fest für Frühgeborene mit Programm und Vorstellung Frühgeborenen-Simulator "Paul"
Die Kuscheltier-Reanimation ist eine der Spiel-Stationen für die Besucher. Und die Hunderten Kinder bei diesem "Fest für Frühgeborene" im Wiener AKH haben sicht- und hörbar Spaß in den Gängen der Neonatologie, Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Viele von ihnen haben hier schon schwere Stunden, Wochen und Monate verbracht und freuen sich schlicht darüber, dass es sie gibt.

Brenzlige Situtionen bei Geburt

Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Tag der Frühgeborenen, Wiener AKH, Neonatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, 17. November. Fest für Frühgeborene mit Programm und Vorstellung Frühgeborenen-Simulator "Paul"
Wenn Alexandra Aigmüller die medizinische Geschichte ihres Sohnes Matthias erzählt, spürt man diese Demut. Er strahlt dazu. Der Dreijährige kam in der 31. Schwangerschaftswoche zur Welt. Aufgrund einer Grunderkrankung der Mutter war das absehbar, schlussendlich aber doch brenzlig. Es folgte eine Woche Intensivstation, bis zum vierten Monat ein Überwachungsapparat für Herz- und Lunge inklusive Fehlalarmen, wenn Matthias sich beim Schreien zu stark aufregte. Alexandra: "Es war keine leichte Zeit. Obwohl Ärzte und Schwestern immer für uns da waren, ist alles so schwer einzuschätzen, das macht einem Angst. Aber wir hatten unendlich viel Glück." Sagt eine Mutter, deren Sohn drei Monate mit beidseitigem Leistenbruch leben musste und keine Besuche haben durfte. Der bis zum neunten Monate kaum Essen behalten hat. Die weiß, dass man wirkliche Defizite bei Frühgeborenen erst in der Volksschule erkennt. "Besonders die Betreuung durch die mobile Krankenschwester vom Verein "Moki" hat geholfen. Viele Familien hatten bei weitem nicht so viel Glück." Das ist ihr bewusst.

Tag der Frühgeborenen

Der 17. November ist "Welttag der Frühgeborenen" und wird an der MedUni/AKH Wien mit diesem bunten Fest des Lebens begangen. Die frühe Geburt ist häufiger als man denkt, jedes zehnte Kind ist ein "Frühchen", in Österreich etwa 8000 pro Jahr. Im AKH werden jährlich etwa 200 Kinder versorgt, die vor der 32. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren wurden, die Hälfte davon zwischen 23. und 27. SSW. Weltweit überleben nur 35 Prozent dieser Babys, am AKH doppelt so viele. Diese erfolgreiche Versorgung extrem unreifer Frühgeborener liegt vor allem in der Schulung des medizinischen Personals begründet, die im Simulationslabor der Kinderklinik stattfindet.

Simulator "Paul" wimmert und schreit wie echtes Baby

Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Tag der Frühgeborenen, Wiener AKH, Neonatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, 17. November. Fest für Frühgeborene mit Programm und Vorstellung Frühgeborenen-Simulator "Paul"
In dem gibt es jetzt auch "Paul". Im Rahmen des Festes bekam die Neonatologie nämlich selbst ein spektakuläres Baby: "Paul" sieht aus wie ein Bub in der 27. SSW und ist ein einzigartig realitätsnaher Frühgeborenensimulator. Er atmet, wimmert und schreit, hat Herzstillstände, eine winzige Luftröhre und alle Komplikationen eines Frühchens im Repertoire. Als die 50.000-Euro-Hightechpuppe von Sponsor "Chiesi Pharmaceuticals" übergeben wurde, waren die frischen Eltern sichtbar stolz:
Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Tag der Frühgeborenen, Wiener AKH, Neonatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, 17. November. Fest für Frühgeborene mit Programm und Vorstellung Frühgeborenen-Simulator "Paul"
Angelika Berger, Leiterin der Klinischen Abteilung für Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie, erklärt die Bedeutung eines solchen Simulators: "Die Gesamtbehandlung eines Kindes ist natürlich immer individuell. Aber wir haben in der Neonatologie spezifische Notfallsituationen, die eine vorgegebene Folge standardisierter Maßnahmen verlangen. Die muss man intensiv trainieren."
Frühgeburt: Ärzte üben an 50.000-Euro-Puppe
Tag der Frühgeborenen, Wiener AKH, Neonatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, 17. November. Fest für Frühgeborene mit Programm und Vorstellung Frühgeborenen-Simulator "Paul"
Die Eltern der Zwillinge Maximilian und Benedikt werden dem zustimmen. Ihre Geburt in der 29. SSW wurde zur Notsituation, beide hatten knapp über ein Kilo, die Mutter war in Narkose, der Vater bei den Kindern in der wahrscheinlich härtesten Situation eines Lebens: "Ich habe plötzlich erst ein, dann ein zweites Kind schreien gehört. Das war einfach nur großartig. Wir hatten Riesenglück, dass die Lungen aufgegangen sind. " Seitdem haben sich beide gut entwickelt, verlangen aber auch besonders intensive Betreuung.

Elterninstinkt zurückgeben

Für Eltern von Frühgeborenen ist daher Unterstützung wichtig, betonen auch Ergotherapeutin Kristina und Logopädin Martina. "Sie haben oft nicht mehr das Vertrauen in ihre Kompetenz. Wissen gar nicht, wie sie das eigene Baby nehmen sollen und schauen mehr auf den Monitor als auf das Kind. Diese Sicherheit versuchen wir ihnen zurückzugeben." Die Bedeutung dieser Souveränität im Umgang mit dem frühgeborenen Kind unterstreicht auch Johannes. Der heute 20-Jährige kam zehn Wochen zu früh zur Welt und merkte als Kind oft körperliche Einschränkungen. "Wichtig ist, dass Eltern einen guten Kompromiss aus Schützen und Fordern finden. Ich habe als Kind beides gebraucht, immer zur richtigen Zeit."

Herzmasseurin Mila hat jetzt die medizinischen Sorgen hinter sich, aber einen harten Start gehabt. Sie kam in der 24. SSW nach unbemerkter Schwangerschaft zur Welt. Nach ein paar Wochen wurde erstmals ihr Darm operiert, sie verbrachte die ersten sechs Monate im Krankenhaus. "Mit drei Jahren waren die Sorgen vorbei", sagt ihr Vater Patrick. Wie bei allen Eltern hier sieht man große Dankbarkeit in seinen Augen.

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