Drei Jahre war Willi Resetarits alt, als die Familie beschloss, in Wien ein neues Leben zu beginnen. Als Kunstfigur Kurt Ostbahn beliebt und berühmt geworden, ist er ein Original geblieben, eines, das „seine Wurzeln nie vergessen und immer gepflegt hat.“ Regelmäßig sei der Willi in Stinatz gewesen. Als Besucher, als Künstler. Erstmals mit den „Schmetterlingen“ am Kirtag 1977. Beim letzten Mal, im September 2021, war der Anlass ein trauriger. Die Tante wurde begraben.
Dauerregen aus tief liegender Wolkendecke untermalt die Wiederentdeckung totaler Abgeschiedenheit, abgenabelt vom hysterischen Getriebe der restlichen Welt. Stinatz im südlichen Burgenland, begrüßt auch als Stinjaki am Ortseingang.
Eine typische Siedlung in dieser Region, die in ihrer Hauptsache aus einer Straße besteht, die dementsprechend Hauptstraße heißt. Hier ticken die Uhren noch anders. Die Grundstückspreise auch: Zwischen 22 und 40 Euro ist der Quadratmeter zu haben.
Begonnen hat die Geschichte vor fast 500 Jahren. Familien aus Kroatien – die Legende überliefert die Zahl 12 – haben sich angesiedelt, als der Landstrich nach dem Ersten Türkenkrieg leer gefegt worden war. „Menschlichen Nachschub“ konnte man der damaligen Nüchternheit zufolge gut gebrauchen.
Heute zählt die Gemeinde 1.200 Einwohner, zwei Drittel fühlen und reden kroatisch. Ziemlich zäh war im Laufe der Jahrhunderte das Ringen, Tradition zu bewahren. Erfolgreich abgewehrt wurden die Versuche gewaltsamer Zerstörung. Selbst der Anschlag eines wahnsinnigen Bombenbauers im Jahr 1995 scheint längst verarbeitet zu sein, habe das Zusammengehörigkeitsgefühl nur gestärkt und werde „halt alle fünf Jahre von den Medien hochgekocht“, meint Andreas Grandits. Nur kurz überlegt der Bürgermeister, um der Aufforderung nachzukommen, ein typisches Stinatzer Wesensmuster zu skizzieren: „Fleißig, strebsam, heimatverbunden, traditionell katholisch geprägt, auch stolz.“ Und „hilfsbereit“. 50 Flüchtlinge aus der Ukraine sind
im Ort untergebracht. Was noch? „Wir sprechen Dinge offen an.“
275 Mal steht der Familiennamen Grandits im Einwohnerregister. „Mit Inzucht hat das nichts zu tun“, entlarvt Andreas Grandits umgehend die bösartige Verdächtigung, bevor man selbige überhaupt aussprechen kann. Die Entwicklung des Zuzugs mache dies nachvollziehbar. Lang ist die Liste jener Menschen mit Stinatzer Hintergrund, die es zu grenzüberschreitender Bekanntheit gebracht haben. Wie die Resetarits-Brüder, die Politikerinnen Terezija Stoisits und Marijana Grandits, der Maler Florian Lang oder Kabarettist und Buchautor Thomas Stipsits ...
„Da ist das Geburtshaus. Es schaut jetzt ganz anders aus.“ Der Bürgermeister zeigt auf ein Gebäude, das sichtlich renoviert nicht mehr Stinatz 13, sondern als Nummer 67 Teil der Hauptstraße ist. Dann öffnet sich die gegenüberliegende Tür und plötzlich erscheint sie. Die Stipsits-Oma. Für Aufsehen hat sie gesorgt, mit der ortsspezifischen Kunst des österlichen „Eierkratzens“ und als Hauptperson im neuesten Roman des Enkelsohns. „Kummt’s eina“, sagt sie freundlich, akzeptiert aber eigentlich keine Widerrede. Die 83-Jährige erzählt vom Willi, dessen Familie gegenüber zur Miete wohnte, vom Benefizkonzert, das er 2006 gemeinsam mit ihrem Thomas gegeben hat. „1.000 Leut’ sind da gekommen. Acht Tag’ lang habe ich vorher nur gebacken.“
Der Achtziger-Look der Wirtsstube im „Stinatzer Hof“ zwingt in die Nostalgie. An der Wand hängt ein Bild vom „Ostbahn Kurti“, 1998, neben dem Chef des Hauses sitzend. Nicht zum ersten Mal hört man: Unverwechselbar sei sein Humor, seine Musikalität, vorbildlich sein soziales Engagement gewesen.
Zurück auf der Straße, hebt der Bürgermeister die linke Hand, an der jetzt ein mit Grammeln gefülltes Plastikküberl baumelt. „Das haben sie mir grad g’schenkt. So sind sie halt, die Leut hier.“
Na dann. Auf Wiedersehen. Dovidjenja.
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