Ein Bär tötet in Italien einen Jogger. Wolfsrudel treiben ihr Unwesen auf Almen und reißen Schafe und Kälber. Das Thema dominiert nicht nur die Schlagzeilen, sondern ist auch ein reales Problem.
Auf zwei Arten: Für die Almwirtschaft, die immer stärker damit konfrontiert ist, dass Tiere verschwinden, getötet werden oder ängstlich bis traumatisiert sind. Oder psychologisch: Im Waldviertel etwa hat die Sorge vor dem Raubwild mittlerweile Auswirkungen auf den Alltag
Dennoch: Die öffentliche Debatte pendelt zwischen Verharmlosung und Panikmache. Ein guter Anlass, das Gespräch mit einem Experten zu suchen: Leopold Obermair ist Wildbiologe beim Niederösterreichischen Jagdverband. Im Interview mit dem KURIER erklärt er, wie gefährlich die Wälder in Österreich tatsächlich sind und wie man mit den großen Beutegreifern am Nachhaltigsten umgehen kann.
Diese Themen sind im Interview zu finden:
Wieviele Wölfe und Bären es in Österreich gibt
Warum die ausgerotteten Raubtiere wieder angesiedelt werden
Herr Obermair: Nach dem tödlichen Angriff in Italien ist der Bär wieder im Bewusstsein der Menschen auftgetaucht. Braunbären waren ausgerottet. Wieviele Tiere gibt es aktuell in Österreich?
Leopold Obermair: Letztes Jahr waren es vier bestätigte Bären auf österreichischem Staatsgebiet.
Für mehr Schlagzeilen sorgen Wolfsrudel, die für Risse auf Almen verantwortlich gemacht werden. Wie groß sind die Populationen in Österreich?
Beim Wolf sind die Zahlen stark steigend. 60 Tiere sind per Genetik, durch Risse oder Fotos bestätigt. Die Dunkelziffer ist aber höher. Primär verbreitet sind sie im Waldviertel, Mühlviertel sowie in Kärnten und Tirol.
Die beiden großen Beutegreifer waren ausgerottet. Warum siedelt man das Raubwild wie Wolf und Bär eigentlich wieder an?
Grundsätzlich entspricht das dem Wunsch nach möglichst ursprünglicher Natur. Wolf, Bär, aber auch Luchs sind Teil des natürlichen Ökosystems und Teil der Nahrungskette.
Die Natur ist jahrzehntelang ohne Wolf und Bär ausgekommen. Ist es aus Sicht des Naturschutzes notwendig, sie wieder anzusiedeln? Oder romantisiert man hier die Natur?
Vereinfacht gesagt: Viele Arten, viele Gene, viele Lebensräume. Je mehr Arten es gibt, desto besser ist es. Wobei es natürlich auch zu Wechselwirkungen kommt: Wenn ich einen Wolf einbürgere, wird dadurch möglicherweise die Almwirtschaft zurückgedrängt. Die Almwirtschaft selbst kann sich wiederum ebenfalls positiv auf die Biodiversität auswirken. Hier werden Grenzlinien zwischen Wald und Wiese geschaffen, die in der natürlichen Baumgrenze so nicht vorkommen. Das wiederum ist zum Beispiel Lebensraum für bestimmte Raufußhühner.
Die Wölfe sind in der öffentlichen Wahrnehmung ein immer größeres Thema. In Kärnten waren sie sogar ein Wahlmotiv in der letzten Landtagswahl. Wie schwer wiegt die Wiederansiedelung wirklich?
Für die Natur ist das in Ordnung. Wenn der Beutegreifer ein Reh frisst, ist das ein natürlicher Vorgang.
Worüber streiten wir dann?
Das Problem tritt auf, wenn menschliche Ziele beeinträchtigt werden, primär in der Almwirtschaft. Oder aber: Ein Mensch wird tatsächlich attackiert. Und das ist eine psychologische Sache: Allein, wenn ich weiß, etwas könnte passieren, schränkt mich das ein. Ein Beispiel: Im Waldviertel lassen manche Leute die Kinder nicht mehr zur Bushaltestelle gehen. Das zeigt: Das Risiko mag gering sein, aber das hilft mir als Betroffener auch nicht, sollte wirklich etwas passieren.
Wie berechtigt ist die Sorge von Angriffen auf Menschen?
Zu Angriffen auf Menschen kommt es sehr, sehr selten: Das ist meistens der Fall, wenn Tiere krank oder verletzt sind, wie sich aus Fällen im Ausland zeigt. Oder aber regelmäßig gefüttert werden: Es kann sein, dass ein Wolf regelmäßig Nahrung in einer Siedlung findet, etwa auf einem Komposthaufen. An das gewöhnt er sich. Das nächste Mal wird er ein bisschen frecher und holt sich ein Haustier.
Italien: Im Juni 2020 wurde ein zutraulicher Wolf in der Ortschaft Otranto (Apulien) beobachtet. Er soll versucht haben, eine Sechsjährige zu beißen und er verwundete einen Jogger. Das Tier wurde gefangen. Bei der Untersuchung zeigte sich, dass das Tier davor in Gefangenschaft gelebt hatte, worauf man die Zutraulichkeit zurückführte.
Kosovo: Im Juli 2019 gab es Medienberichte über Wolfattacken in der Region Hani i Elezit im Süden des Kosovo. Demnach musste eine Fünfjährige mit Bisswunden im Spital behandelt werden. Einige Wochen später wehrten zwei Kinder erfolgreich einen Angriff ab.
Polen: Im Juni 2018 wurden drei Personen von einem Wolf gebissen. Der Vorfall ereignete sich in Wetlina im Südosten des Landes. Betroffen waren eine erwachsene Person sowie zwei Kinder im Alter von acht und zehn Jahren. Es gab zwei Attacken, danach wurde das Tier erlegt. Der Wolf war nicht tollwütig, aber wie sich zeigte, hatte er schon in der Vergangenheit die Scheu vor Menschen abgelegt. Ebenfalls in Polen gab es im August 2018 Berichte von einem Wolf, der eine Person im Naherholungsgebiet Notecka Wald gebissen hat. Die Attacke ereignete sich beim Girllen. Das Tier hatte die Örtlichkeit seit März frequentiert und war von den Dorfbewohnern gefüttert worden. Der Wolf wurde erschossen. Er war nicht krank.
Nord Mazedonien: Im Jänner 2016 traf ein 58-Jähriger in seinem Schafstall auf einen Wolf. Er packte das Tier beim Schwanz, woraufhin der Wolf angriff. Gemeinsam mit seiner Frau tötet er das Tier mit einer Axt. Der Mann wurde im Spital behandelt.
Kroatien: Im März 2009 wurde ein 67-Jähriger in seinem Hof im Nordosten des Landes attackiert. Er erlitt dabei schwerste Verletzungen an Armen, Händen, Beinen und im Gesicht. Der Wolf wurde von einem Polizisten erschossen, den er am selben Tag attackierte. Das Tier hatte Tollwut.
Wie oft werden Haustiere von Wölfen attackiert?
Bei uns nicht. Aber aus anderen Ländern weiß man, wenn es die Übergriffe gibt, dann kommt es von dieser Futterkonditionierung. Deswegen darf man in manchen Bundesländern die Wölfe vergrämen. (Mittels Wanrnschuss, Anm.).
Wie oft kam so eine Vergrämung bei uns schon vor?
In Niederösterreich gab es beispielsweise bisher einen Vergrämungsbefehl. Hier hat sich ein Wolf vor einen Jäger gestellt und ihn und den Hund angeknurrt.
Wohin wendet man sich, wenn sich ein Wolf dem Wohngebiet nähert?
Jäger, die Polizei oder die Bezirkshauptmannschaft kontaktieren. Es gibt auch eine Hotline (Unterschiedlich für jedes Bundesland, Anm.).
Sind Wölfe gebietstreu? Es gab kürzlich einen Wolf, der von der Schweiz durch ganz Österreich wanderte.
Ein Rudel ist relativ gebietstreu auf einem Gebiet von 10.000 Hektar bis 40.000 Hektar. Aber: Die Jungtiere müssen irgendwann aus dem Territorium und gehen auf sehr lange Wanderschaft. Das hat genetische Gründe. Insofern macht es auch wenig Sinn, die Wolfspopulationen nur auf dem eigenen Staatsgebiet zu betrachten.
Hier wird davon ausgegangen, dass es eine begrenzte Population gibt. Es gibt aber grenzübergreifend viel weitere Verbreitung. Wölfe, die in Österreich auftauchen, sind Teil von zwei größeren Populationen: Der Alpenpopulation, die von Frankreich bis Slowenien reicht. Und der mitteleuropäischen Population, die Teile Deutschlands und Polens umfasst. Es macht einen Unterschied, ob ich den Wolfsbestand national reguliere oder das gesamte Verbreitungsgebiet betrachte.
Das Thema hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. Wie stark vermehren sich die Wölfe?
Eine Population nimmt von Jahr zu Jahr um 30 Prozent zu. Ich gehe davon aus, dass sie sich stark vermehren werden, sich das dann aber einpendelt, auch wegen der zu erwartenden Gegenmaßnahmen.
Stichwort Gegenmaßnahmen: Soll man Wölfe bejagen?
Man merkt momentan, dass diese Tiere momentan relativ wenig Scheu von Menschen haben. Deshalb dringen sie oft in Siedlungen und zu den Menschen vor. Grundsätzlich gilt: Wir haben in Österreich viele Wildtiere und sehr viele werden jagdlich reguliert. Ein Beispiel ist das Rotwild, wo es in manchen Bundesländern eine wildökologische Raumplanung gibt. Es gibt Zonen, in denen man den Hirsch haben will und in anderen nicht. Ähnlich sollte man das mit dem Wolf betrachten. Das ist zum Teil schon in der Diskussion.
Das klingt nach wenig Problembewusstsein in der öffentlichen Debatte. Muss sich erst ein Zwischenfall ereignen, bis hier Schritte gesetzt werden?
Ich glaube, dass damit eine konfliktfreiere Einbindung in unsere Kulturlandschaft möglich wäre. Das Thema ist Ländersache, derzeit haben hier vor allem in den betroffenen Bundesländern mit starker Almwirtschaft wie Kärnten und Tirol hohes Bewusstsein.
Kommentare