Wie realistisch ein Lockdown für Ungeimpfte ist
Spät, aber doch verschärft die Regierung die Corona-Maßnahmen. Mittlerweile liegt die Zahl der Neuinfektionen mit mehr als 3.700 klar über den Werten des Oktober 2020, als es letztlich auf Werte von mehr als 5.000 Neuinfektionen hinauf ging. Ähnliches wird jetzt befürchtet, regierungsintern wird von einer „hochdynamischen“ Situation gesprochen. Eine „systemgefährdende Entwicklung“ sei nicht auszuschließen.
Der neue, am Freitagabend vorgestellte Stufenplan sieht eine 2-G-Regel ab Stufe 4 (500 belegte Intensivbetten, 25 Prozent Auslastung) und einen Lockdown für Ungeimpfte ab Stufe 5 vor (600 belegte Intensivbetten, 30 Prozent Auslastung).
Die jüngsten Prognosen gehen davon aus, dass Niederösterreich mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent schon am 3. November den Schwellenwert von 30 Prozent übersteigt, Salzburg und Vorarlberg mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 %, Wien mit einer von zehn Prozent. Auf Basis solcher Daten des Prognose-Konsortiums im Auftrag des Gesundheitsministeriums fielen die Entscheidungen am Freitag.
Die 7-Tages-Inzidenz liegt derzeit österreichweit bei 240. Bis Anfang November könnte sie auf 290 Fälle steigen. In manchen Bundesländern liegt sie schon jetzt deutlich darüber. Unrühmlicher Spitzenreiter ist Oberösterreich mit einer 7-Tages-Inzidenz von aktuell 354.
Wie bewerten Mediziner die Maßnahmen?
Zwiespältig fällt das Urteil von Umweltmediziner Hans-Peter Hutter aus. Die mit Stufe 4 in Kraft tretenden Maßnahmen (2-G-Regel in weiten Bereichen des Alltags) sieht er als durchaus sinnvolle Maßnahme an, um auf Ungeimpfte sanften Druck auszuüben. „Auch mit Rücksicht auf die Kollegen, die in den Spitälern arbeiten. Viele sind schon massiv verärgert darüber, dass sie immer noch unter überfüllten Intensivstationen zu leiden haben, weil sich viele Menschen nicht impfen lassen wollen.“ Wobei die Maßnahmen laut Hutter möglicherweise schon bei einem niedrigeren Schwellenwert gesetzt werden müssten, um Wirkung zu zeigen. Wenig hält er von der Stufe 6 – also dem Lockdown für Ungeimpfte. „In der Praxis wird das nur schwer umzusetzen und zu kontrollieren sein. Das wird für enorme Querelen sorgen.“
Wie realistisch ist es überhaupt, dass der Lockdown für Ungeimpfte kommt?
Nach jetzigem Ermessen nicht sehr. Als Schwellenwert ist dafür eine Belegung von 600 Intensivbetten festgelegt. Ein Wert, der im Laufe der Pandemie erst zwei Mal erreicht bzw. überschritten wurde. Im Spätherbst 2020 und dann noch einmal kurzfristig Mitte April. Damals wurde aber noch nicht bzw. erst in einem geringen Ausmaß geimpft.
Wie soll die Einhaltung eines Lockdowns für Ungeimpfte kontrolliert werden?
Umweltmediziner Hutter stellt sich dies in der Praxis sehr schwer vor und verweist auf die vor einigen Monaten beschlossenen unterschiedlichen Masken-Regeln für Geimpfte und Ungeimpfte im Handel. Wie die Kontrolle organisiert wird, werde demnächst in Rahmen einer Verordnung festgelegt, heißt es im Gesundheitsministerium.
Ist ein Lockdown für Ungeimpfte überhaupt rechtmäßig?
Hier scheiden sich die Gemüter: Für den Verfassungsjuristen Heinz Mayer sind die Beschränkungen zulässig. „Jetzt geht man davon aus, dass Ungeimpfte eine wesentlich größere Gefahr darstellen als Geimpfte. Der Staat ist verpflichtet, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.“
Ein anonym bleiben wollender Jurist fragt hingegen: „Wie viel tragen auch Geimpfte zum Anstieg der Infektionszahlen bei und ist es gerechtfertigt, sie völlig aus der Testpflicht zu entlassen?“ Anwälte haben bereits Klagen gegen die 2-G-Regel in der Nachtgastronomie eingebracht, die in Wien schon gilt. Sie argumentieren damit, dass eine Schlechterstellung Getesteter gegenüber Geimpften oder Genesenen medizinisch nicht begründbar ist.
Warum wurden – angesichts der Lage in manchen Bundesländern – nicht Verschärfungen beschlossen, die gleich in Kraft treten?
Mit der 3-G-Regel für den Arbeitsplatz habe man kürzlich eine Maßnahme beschlossen, die demnächst in Kraft tritt, argumentiert eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums und spricht im Zusammenhang mit dem neuen Stufenplan von einem vorausschauenden Vorgehen: „Wichtig ist es, dass die Menschen jetzt schon wissen, wo die Reise hingehen kann, sollte sich die Pandemie entsprechend der Hochrechnungen weiterentwickeln.“ Zudem hätten die Bundesländer weiterhin die Möglichkeit, von sich aus strengere Regeln zu beschließen.
Wie lief das erste Bund-Länder-Coronagespräch unter dem neuen Bundeskanzler Alexander Schallenberg atmosphärisch ab?
Auf den ersten Blick wie immer. Die Bundesregierung präsentierte ihr fertiges Maßnahmenpaket, das bereits nach außen durchsickerte, noch ehe sich alle Länder-Vertreter zu Wort gemeldet hatten. Was auffiel: Im Vorfeld der Sitzung hatten einige ÖVP-Landeshauptleute (etwa Günther Platter) wesentlich deutlicher ihre Vorstellungen medial geäußert als das bisher der Fall war.
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