Die Politik: Die Parteien weichten die Entnazifizierungsmaßnahmen rasch auf, bis sie vollends keine Rolle mehr spielten. Das Nationalsozialistengesetz, das "Sühnepflicht" oder Berufsverbote vorsah, wurde nach seinem Beschluss 1947 kaum ein Jahr lang angewendet.
➤ Mehr zum Thema: Die NS-Vergangenheit
Schon 1949 bekamen die als "minderbelastet" eingestuften Mitläufer das Wahlrecht wieder – das brachte Hunderttausende Wählerstimmen auf den Markt. 1952 folgte die Amnestie für "Belastete" (aktive Nationalsozialisten), bis im Jahr 1957 die NS-Amnestie die Zeit zurückdrehte: Ehemalige Nazis bekamen ihre Jobs wieder – und Gehalts- oder Pensionsnachzahlungen, Verurteilungen wurden getilgt. Nazi gewesen zu sein, war in der Zweiten Republik kein Makel mehr.
Justiz: So lange die Sondergerichtsbarkeit während der Besatzungszeit tätig war, wurden reihenweise Nazis angeklagt und abgeurteilt. Doch im Dezember 1955 wurden die sogenannten Volksgerichte aufgehoben – NS-Gewaltverbrechen fielen ab sofort in die Zuständigkeit von Schwurgerichten oder Schöffensenaten.
Viele Freisprüche
Aber: Seit 1956 mussten sich bloß 46 Menschen wegen NS-Verbrechen vor Geschworenen verantworten. Es gab 39 Urteile – davon 21 Freisprüche. Das letzte Verfahren, das durchgezogen wurde, fand 1975 statt: Ein angeklagter Wärter des KZ Mauthausen wurde freigesprochen.
Diese Freisprüche waren, so ist die Forschung einig, skandalös und sorgten für Schlagzeilen, auch im benachbarten Deutschland, das bis in die Gegenwart NS-Verbrecher vor Gericht stellt. Österreich dagegen ließ die noch offenen Verfahren unter SPÖ-Justizminister Christian Broda Mitte der 1970er-Jahre einstellen.
"Schlechteste Bilanz"
Die „Operation letzte Chance“, 2003 vom Simon-Wiesenthal-Center gestartet, lief ins Leere: Aus einer Liste von 47 potenziellen NS-Verbrechern, die der Justiz übergeben wurde, wurden 328 Verdächtige – Anklagen wurden nie erhoben.
➤ Mehr zum Thema: Die "Operation letzte Chance"
"Es gibt keinen politischen Willen, Nazi-Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen", warf Efraim Zuroff, Leiter des Zentrums, dem Staat damals vor. Österreich habe, was die Verfolgung dieser Verbrecher betreffe, "eine der schlechtesten Bilanzen der westlichen Welt“.
Gesellschaft: Der über Jahrzehnte aufrechterhaltene Opfermythos, Österreich sei das erste Opfer Nazideutschlands gewesen. "Wir alle sind unschuldige Täter" titelte Ruth Wodak ihre Studie zum Nachkriegsantisemitismus treffend. Dieser Mythos brach mit der Erklärung des damaligen SPÖ-Bundeskanzlers Franz Vranitzky in sich zusammen, der für die von Österreichern begangenen NS-Verbrechen um Entschuldung bat.
Hitler-Tasse, Hitler-Wein
Verspätete Gedenkkultur: Hitler-Wein, Hitler-Aschenbecher, Hitler-Tasse – zweifelhafte Devotionalien, die in Braunau bis in die späten 1980er kaufen konnte, wer danach fragte. 1989 machte der damalige Bürgermeister, Gerhard Skiba, mit dem unrühmlichen Geschäft Schluss.
➤ Mehr zum Thema: Das Hitler-Haus in Braunau
Er ließ stattdessen einen mächtigen Gedenkstein an die Verbrechen der Nazis vor jenem Haus aufstellen, in dem Adolf Hitler geboren wurde – erstmals distanzierte sich die Stadt öffentlich von dem braunen historischen Erbe. Für das Gebäude selbst wurde erst 2019 überhaupt eine Lösung gefunden – nach einer Debatte, die 19 Jahre dauerte.
Kommentare