Wenn Antisemitismus ins Klassenzimmer dringt

Wenn Antisemitismus ins Klassenzimmer dringt
An Wiener Schulen werden jüdische Kinder von Gleichaltrigen drangsaliert, auf TikTok Videos der Hamas geteilt, Wände mit Parolen beschmiert. Wie Schulen sich wappnen.

"Wenn ich 21 bin, fahr’ ich nach Palästina und bring’ alle Juden um“, sagte ein Schüler an einer Wiener Schule. Diese Aussage ist einer von 165 antisemitischen Vorfällen, die seit dem 7. Oktober bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG)gemeldet wurden, mehrere Dutzend Fälle werden noch bearbeitet.

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„Wir hatten in drei Wochen so viele Meldungen wie in drei Monaten im vergangenen Jahr“, sagt Benjamin Nägele, Generalsekretär der IKG. Drohungen gegenüber jüdischen Kindern, körperliche Attacken und „antisemitisches Mobbing“ sind derzeit an manchen Schulen ein Problem und bringen Lehrkräfte an ihre Grenzen.

„Ich kann gut verstehen, dass sich viele Lehrer überfordert und verunsichert fühlen. Es gibt zwar Materialien von der Bildungsdirektion, aber es liegt trotzdem am jeweiligen Lehrer, wie man den Schülern das Thema näher bringt“, berichtet Arian (Name geändert, Anm.), der an einer Mittelschule im 20. Wiener Gemeindebezirk Geschichte unterrichtet.

"Wer, wenn nicht wir?"

Aber es liege schließlich auch in der Verantwortung der Pädagogen, den Kindern Themen wie den Nahost-Konflikt zu vermitteln. „Wer, wenn nicht wir? Die Kinder haben ein starkes Redebedürfnis und bekommen von zuhause verschiedene Informationen vermittelt oder eben auch nicht“, sagt Arian.

Eine Schulklasse mit Kindern mit Migrationshintergrund.

Die Dunkelziffer, wie viele Antisemitismus-Fälle an Schulen passieren, ist laut Israelitischer Kultusgemeinde hoch. Betroffene  melden sich speziell wegen Gehässigkeiten im Internet oder Drangsalierungen. (Symbolbild)

Eine Seite der Medaille

Wie ein KURIER-Rundruf zeigt, ist der mit dem Konflikt teils einhergehende Antisemitismus vor allem in Wien ein Thema. Markus Ratz, Direktor in der Sportmittelschule Wendstattgasse in Wien-Favoriten, hat deshalb mit seinen Schülern über den Israel-Konflikt gesprochen.

Dabei ist ihm eines aufgefallen: „Die jungen Menschen haben ihre Informationen über TikTok und andere sozialen Medien und kennen nur eine Seite der Medaille. Sie wussten zum Beispiel nicht, dass die Hamas bei einem Konzert 260 junge Menschen umgebracht hat.“

Wenn Antisemitismus ins Klassenzimmer dringt

Markus Ratz, Direktor in der Sportmittelschule Wendstattgasse in Wien-Favoriten, hat mit seinen Schülern viel über den Israel-Konflikt gesprochen. 

Herr Lehrer, sind Sie Jude?

Antisemitische Äußerungen seien an seiner Schule zwar selten, an einen Vorfall in der Fachmittelschule erinnert er sich aber noch gut: „Zwei Jugendliche haben einen Lehrer gefragt, ob er Jude sei. Darauf hab’ ich sie gefragt, warum sie das wissen wollen. Ob die Juden für sie die Bösen seien.“

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Eine offizielle Zahl, wie viele Antisemitismus-Vorfälle an Schulen passieren, gibt es nicht. Die IKG meldete im Schulbereich für den Zeitraum zwischen 7. und 29. Oktober 2023 „eine Zahl im zweistelligen Bereich“.

Hohe Dunkelziffer

„Die Dunkelziffer ist sicher höher, viele Schüler trauen sich nicht, Erlebnisse zu melden. Bei uns werden vor allem Gehässigkeiten im Internet gemeldet, auf Sozialen Medien werden oft uralte Vorurteile gegen Juden aufgegriffen“, sagt Nägele.

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Wie viele Vorfälle es insgesamt gibt, ist auch den Schulen nicht bekannt – es gibt keine Meldepflicht. „Die Schulen regeln solche Vorkommnisse meistens selbst, bei bedenklichen Fällen werden die Behörden eingeschaltet“, sagt Patrick Wolf, der in der Bildungsdirektion für Radikalisierung zuständig ist.

Was tut man aber, wenn ein junger Mensch ins Radikale abgleitet? Die Schulen können Schüler für vier Wochen suspendieren. „Das soll nicht als Strafe verstanden werden. In der Zeit geht es darum, eine Gefahr in der Schule zu entschärfen und zu entscheiden, wie man mit dem Rückkehrer umgeht“, so Wolf.

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Damit es nicht soweit kommt, organisieren Beratungsstellen Workshops für Lehrer und Schüler. Es geht dabei um die Frage, woran man Extremismus erkennt. „Das können Zeichen, Symbole, Kleidung und Aussagen sein“, sagt Direktor Markus Ratz. „Oft ist es auch reine Provokation der Schüler.“

Aber eben nicht immer.

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