Strategiewechsel in Migrationspolitik: Mehr Charterflüge für Illegale vom Westbalkan
Stolz wirkt es. Wie Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) vor dem Grenzschutzzaun an der Grenze zwischen Nordmazedonien und Serbien steht. Links und rechts von ihm erstrecken sich zehn Kilometer Hochsicherheitstechnik.
Auf 28 Kilometer soll der Zaun in Zukunft anwachsen. Mit Kameras. „Dieser Grenzzaun bietet auch Sicherheit für die österreichische Grenze“, sagt Nehammer, den seine dreitägige Westbalkan-Reise am Mittwoch neben Serbien auch nach Bosnien-Herzegowina führte. Das Bild der Festung Europas wird hier mit Stacheldrahtverstärkung, zweifacher Zaunausführung und Patroullienstraße in der Mitte zur Realität.
Noch ein Wort fällt, egal ob am Grenzzaun oder bei den anderen Stationen am Westbalkan, bei dieser Reise immer wieder: Rückführungsplan. Bereits im Juli 2020 hatte man bei der Westbalkan-Konferenz das vielsagende Arbeitspaket „return“ (Rückkehr) beschlossen. Das Ziel: Die Steigerung der Außerlandesbringung von Migranten „ohne Bleibewahrscheinlichkeit“ aus den Westbalkan-Ländern. Freiwillig, oder zwangsweise.
Kritik
Bereits die Ankündigung einzelner Maßnahmen, wie etwa ein eigener Charter-Flug, der illegale Migranten ohne Aussicht auf Bleiberecht direkt von Bosnien und Herzegowina zurück in ihre Herkunftsländer bringen soll, hatte für heftige Kritik bei der Opposition gesorgt. Am Mittwoch entschied sich am Westbalkan, dass es diese Charter künftig auch direkt aus Serbien und aus Nordmazedonien geben soll. „Das ist ein klares Zeichen an die Schlepper, dass sie sich erst gar nicht auf den Weg machen brauchen, weil es für illegale Migranten keine Chance gibt“, sagt Nehammer.
Es ist ein Strategiewechsel den Österreich damit vollzieht: Wurde im Jahr 2015 die Balkanroute noch dichtgemacht, will man nun Länder wie Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien oder Serbien massiv unterstützen. Die Erklärung findet sich in der Asylstatistik: Während die Asylantragszahlen in Europa im Pandemiejahr 2020 gesunken sind (um gut ein Drittel), sind jene in Österreich im Steigen begriffen. Oder wie es Innenminister Nehammer auf seiner Westbalkan-Tour formuliert: „Der Grenzschutz am Balkan, ist der Schutz unserer eigenen Grenze.“
Die Erklärung findet sich aber vor allem auch an der Grenze zu Bosnien und Herzegowina. Hier, wo tausende Migranten vor den Toren Kroatiens an der längsten Außengrenze der EU zu Lande auf ihren Einlass in die Europäische Union warten. Besonders angespannt ist die Lage im Norden Bosniens im Kanton Una-Sana mit der Hauptstadt.
Laut Schätzungen der bosnischen Polizei befinden sich derzeit zwischen 6.000 und 7.000 Migranten in Bosnien, nur 4.500 davon sind in Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Hilfsorganisationen machen regelmäßig auf die schwierige humanitäre Situation für die Schutzsuchenden in Bosnien aufmerksam.
Training in Österreich
Der rot-weiß-rote Plan für diese Menschen ist ein klarer: Bereits im Mai/Juni sollen bosnische Vertreter für Trainings zum Thema „Rückführung illegaler Migranten“ in Wien eintreffen. Geschult werden in einem ersten Schritt 50 Personen aus Bosnien von der Spezialeinheit Cobra etwa dafür, wie man bei Rückführungsflügen die Sicherheit gewährleistet. In weiteren Modulen geht es dann um Workshops zur Rückkehrvorbereitung, Dokumentenbeschaffung oder einen Workshop über die Organisation eines Charters.
Apropos Charter: Wie Charterflüge in Realität ablaufen, sollen die Bosnier ebenfalls bei ihrem Besuch in Wien lernen. Indem sie zunächst beobachten und dann vor Ort selbst in die Realität umsetzen. Alles abhängig davon, wie sich die Corona-Lage entwickelt und wann wieder Abschiebeflüge stattfinden werden.
Koordiniert sollen alle Maßnahmen, wie auch die geplanten Rückführungen, über die „Plattform gegen illegale Migration“ werden. In die Koordinierungsplattform sind mehrerer EU-Länder - darunter Deutschland – und auch die EU-Kommission miteinbezogen. Als Leiter ist seit 1. Jänner 2021 der stellvertretende Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, der österreichische Spitzenbeamte Berndt Körner, im Amt. „Es geht bei der Plattform um Vernetzung“, sagt Körner, der sich mit dem Thema seit 1990 beschäftigt. Damals noch als Referent in Neusiedl am See. Es folgten Stationen in Brüssel, Albanien, Warschau und nun Wien. „Früher haben sich fünf Beamte am Flughafen getroffen und besprochen, wie es mit den irregulären Migranten weitergeht, heute haben wir fünf Länder, die diese Entscheidungen treffen.“
Finanzielle Unterstützung
Und da diese Länder finanzielle Unterstützung brauchen, schießt Österreich durch ein Programm der Internationalen Organisation für Migration (IOM) rund 300.000 Euro zu. Zusätzlich ist ein eigenes Unterstützungspaket für Bosnien geplant. 500.000 Euro sollen dabei in das Camp Lipa investiert werden, um es winterfest zu machen. Das Camp war in die Schlagzeilen geraten, als es im Dezember in Brand geraten war.
Bei einer Pressekonferenz zwischen Innenminister Nehammer und dem Sicherheitsminister von Bosnien-Herzgewonia Selma Cikotic am Mittwochnachmittag fiel dann noch ein Wort: Rückführungsplan. Der Strategiewechsel ist am Balkan angekommen.
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