Nicht nur nordamerikanische Baumwaldsänger machen sich zweimal im Jahr auf die Reise. Rund 40 Prozent aller Vogelarten weltweit begeben sich auf Wanderschaft und durchkreuzen dabei alle Kontinente in alle Richtungen. Etwa 50 Milliarden Migranten pendeln jährlich zwischen ihren Brut- und ihren Winterquartieren. Derzeit herrscht Hochsaison am Himmel.
Artenmix wandelt sich
"Der Vogelzug hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert", sagt Lukas Vendler vom Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel. Auch auf den burgenländischen Raststationen sind die Folgen von intensiver Landwirtschaft, Verbauung, naturfernen Gärten und dem Klimawandel sichtbar. "Es gibt Gewinner und Verlierer, die Zusammenhänge sind komplex", sagt der Ranger.
Rotfußfalken etwa zählen zu den Durchstartern; sie brüten mittlerweile wieder in Österreich. Der Bestand an Turteltauben dagegen nimmt rapide ab. Die Liste der bedrohten Vogelarten insgesamt wird länger – vor allem im Offenland; die Anzahl an Feld- und Wiesenvögeln hat sich in den vergangenen 24 Jahren laut Farmland Bird Index landesweit halbiert.
Nicht zuletzt befindet sich der Artenmix im Wandel. So manche Spezies siedelt sich im Norden an, während andere nachrücken, die ein Vierteljahrhundert zuvor noch südosteuropäische Feuchtlebensräume bevorzugten. Wie eine internationale Studie mit Schweizer Beteiligung heuer nachwies, erschweren Gebirge und Meere dem Federvieh die Flucht vor dem Klimawandel.
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"Manche Zugvögel wie Bienenfresser machen ihren Start von der Tageslänge abhängig, andere, darunter Graugänse, brechen spontan auf“, sagt Vendler. Die Hormone mischen mit. Wiener Wissenschaftler des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung täuschten kürzlich Wachteln Herbsttage vor, um einen Umzug zu simulieren.
Sie stellten fest, dass ein massiv gestiegener Spiegel des Appetitanregers Ghrelin die gefiederten Versuchskaninchen zur Nahrungsaufnahme beflügelte. Darüber hinaus versetzte der Hormonrausch die Überflieger in Aufbruchstimmung.
Zugvögel leiden unter dem Klimawandel
"Das Timing ist sehr wichtig – vor allem für die Aufzucht der Jungen. Viele Vögel kommen heute früher zurück, um sich der sich früher entwickelnden Vegetation anzupassen", sagt Matthias Schmidt von Birdlife Österreich. Langstreckenflieger bleiben dabei eher auf der Strecke; sie halten – anders als Kurzstreckenzieher – unflexibler an ihrem Flugplan fest.
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Norwegische Forscher berichteten in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins Pnas, dass Zugvögel häufiger unter dem Klimawandel leiden als Sesshafte. Der Grund: Die Brut- und Überwinterungsgebiete erwärmen sich ungleichmäßig.
Treffen Vögel nicht mehr rechtzeitig daheim ein, sind die Reviere bzw. Nester bereits von Konkurrenten mit kürzerer Heimreise okkupiert. Vor allem große Arten, die tendenziell weniger Nachwuchs produzieren, passen sich schwerer an als Spezies mit schnellem Generationenwechsel.
"Der Zug ist für einen Vogel eine große Kraftanstrengung und oft ein lebensgefährliches Unterfangen", sagt der Birdlife-Experte. Tatsächlich kehrt nur einer von drei Vögeln im Frühjahr wieder.
Wetterkapriolen, zerstörte Trittsteinbiotope, Nahrungsmangel auf zuvor üppigen Zwischenstationen, Bejagung oder Infrastrukturprojekte wie Windkraftanlagen bringen die Überflieger zu Fall. Schmidt resümiert: "Sinkt die Wintersterblichkeit bei uns, sind die Individuen, die dableiben, einfach besser dran."
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