Frei wie ein Vogel im Denken
Der Schimpanse steckte einen Grashalm in einen Termitenbau und zog ihn wieder heraus. An ihm krabbelten dutzende wütende Tiere, die der Affe mit Genuss verspeist. Die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall war eine der ersten, die Werkzeuggebrauch von Tieren dokumentierte. Heute sind unzählige Formen bekannt. „Im Tierreich haben sich verschiedene Adaptionen entwickelt, um an Nahrung zu gelangen, die nicht frei zugänglich ist“, erklärt Dr. Barbara Klump von der Universität Wien.
„Als Beispiel für die morphologische Anpassung möchte ich den Specht erwähnen, der mit seinem speziellen Schnabel Löcher in Bäume hämmern kann, um Larven aus dem Holz zu holen.“ Für die Forschung interessant sind aber Verhaltensanpassungen, deren bekannteste eben der Werkzeuggebrauch ist. „In der Wissenschaft wird allgemein angenommen, dass dazu hohe kognitive Leistungen benötigt werden“, so Klump. „Laut Definition verwendet ein Tier dafür einen Gegenstand aus der Umwelt, um ein Ziel zu erreichen, also zum Beispiel einen Stein, um eine Nuss aufzuschlagen.“
Grauzone
Es gibt aber auch andere Verhaltensanpassungen. So nehmen etwa Krähen eine Walnuss in den Schnabel, fliegen hoch auf und lassen diese fallen. So knacken die Vögel die Nuss. „Das gilt allgemein nicht als Werkzeuggebrauch“, so die Verhaltensforscherin. „Und ich habe mich immer gefragt, warum dieser Lösungsansatz eine weniger hohe kognitive Leistung darstellen sollte.“
In ihrem vom WWTF geförderten Forschungsprojekt geht die Verhaltensforscherin nun der Frage nach, welche kognitiven Leistungen nötig sind, um an Nahrung zu gelangen, die nicht frei verfügbar ist. „Als Wissenschafter*innen haben wir ja immer eine Hypothese“, sagt Barbara Klump und lacht. „Ich kann mir vorstellen, dass neben einer genetische Prädisposition auch die soziale Komponente eine Rolle spielt.“
Nicht nur der Werkzeuggebrauch, auch andere Verhaltensweisen sind kognitive Leistungen
Vergleichsweise
Um die verschiedenen Blickwinkel erfassen zu können, wird das Forschungsprojekt „The interplay between cognition and ecology in extractive foraging behaviours“ an zwei Schauplätzen stattfinden. Einerseits beobachtet das Team um Barbara Klump das Verhalten von Gelbhaubenkakadus in Australien. Diese zeigen verschiedene Techniken, um Samen mit ihrem Schnabel zu öffnen. „Das ist eine gute Vergleichsgruppe zu den Krähen in Wien, die Verhaltensanpassungen zeigen.“ Generell seien beide Arten interessant, da sie „langlebig und sehr sozial sind sowie im Vergleich zu ihrer Körpergröße große Gehirne haben“, so die Forscherin weiter, Eigenschaften, die in der Wissenschaft als Merkmale für eine hohe kognitive Leistung gelten.
Neue Lösungsansätze
Über acht Jahre werden sowohl wild lebende Kakadus und Krähen sowie Jungtiere in Volieren beobachtet. Dabei wird erfasst, welche Verhaltensweisen die Tiere zeigen. „Die wild lebenden Vögel werden markiert und mit einem Sender an den Schwanzfedern ausgestattet“, so Klump. „Diese zeichnen genau auf, welche Krähen Nüsse aus großer Höhe fallen lassen, um an den Kern zu kommen.“ So erhofft sich die Forscherin genaue Daten, ob alle Tiere diese Verhaltensweise an den Tag legen oder etwa nur ranghöhere Vögel. „Ich kann mir vorstellen, dass eher kleinere Krähen Nüsse fallen lassen, wohingegen größere diese mit dem Schnabel aufpicken.“ Auch der Jahrgang spielt möglicherweise eine Rolle: „In einem Jahr, in dem die Walnussbäume reich tragen, könnten mehr Vögel diese Verhaltensweise an den Tag legen.“
Ein ganz neuer Ansatz des Forschungsprojektes ist die Bürger*innenbeteiligung. Im Sinne von Citizen Science sollen auch die Beobachtungen der Wienerinnen und Wiener in die Forschung einfließen. „Die Universität Wien hat vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Tiergarten Schönbrunn die App KraMobil entwickelt, die wir dafür neu adaptieren“, erklärt Barbara Klump. Die User*innen werden aufgerufen, ihre Beobachtungen, wie Krähen Nüsse knacken, mitzuteilen. „Durch die Summe all dieser Daten erhoffen wir, dann ein klareres Bild der Verhaltensweisen von Vögeln zu bekommen“, fasst Barbara Klump zusammen.