Unwetter über Österreich: "Starkregenereignisse werden zunehmen"
Bis zu 160 Liter Wasser pro Quadratmeter gingen im Westen Österreichs von Samstagmittag bis Sonntagmittag nieder. Die Bezirkshauptstädte Hallein in Salzburg und Kufstein in Tirol wurden überflutet. Die Einsatzkräfte hatten in vielen Teilen des Landes mit Muren, Hangrutschen und vollgelaufenen Kellern zu kämpfen.
Nach Deutschland wurde damit auch Österreich von einer Unwetterkatastrophe getroffen. Das Ausmaß ist glücklicherweise weitaus geringer. Auch gibt es keine Todesopfer oder Verletzte zu beklagen.
Die Einsatzkräfte hatten am Sonntag dennoch jede Menge zu tun, wie im Liveticker nachzulesen ist:
Unwetterkatastrophen, wie jene in Deutschland und in den Beneluxländern oder eben am Wochenende in Österreich können zwar nicht direkt mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden. Aber die Häufung solcher Extremwetterphänomene sehr wohl.
"Dass diese Starkregenereignisse in den vergangenen Jahren zugenommen haben und weiter zunehmen werden, ist bereits wissenschaftlich erwiesen", sagt Michele Salmi, Meteorologe beim privaten Wetterdienst Ubimet.
Denn die Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, wenn sie wärmer wird. Und die Erderwärmung ist längst ein Faktum. Der Unterschied von einer Starkregenfront zu klassischen Sommergewittern, bei denen lokal sehr große Regenmengen anfallen können: Die Niederschläge bringen – wie am Wochenende in Österreich – rekordverdächtige Mengen an Wasser auf einer großen Fläche.
170 Liter Wasser
pro Quadratmeter wurden laut Ubimet innerhalb von nur 48 Stunden in Melk registriert, entlang der Nordalpen gab es Niederschlagsmengen von 100 bis 150 Liter pro Quadratmeter
7.180 Kubikmeter
Wasser pro Sekunde flossen gegen 22.30 Uhr bei Korneuburg durch die Donau – das ist knapp unter der Definition für ein 10-jährliches Hochwasserereignis
636 Zentimeter
hoch stand die Donau um 23 Uhr bei Korneuburg
"Das macht einen großen Unterschied, was Pegelstände von Bächen und in der Folge an Flüssen betrifft", so Salmi. In Gegensatz zu einem punktuellen Ereignis würde sich dann eben 100 bis 1.000 Mal mehr Regenwasser in der Fläche verteilen.
In Tirol und Salzburg habe sich die Lage vermutlich zugespitzt, "weil die Temperaturen extrem hoch waren". Auch auf 3.000 Metern Höhe – Stichwort aufgeheizte Atmosphäre – habe es bei 3 bis 4 Grad plus geschüttet. Das sei höchst ungewöhnlich, so der Meteorologe.
Hallein
In Hallein setzten sintflutartige Regenfälle, die Samstagnacht über der Salzburger Bezirkshauptstadt niedergingen, eine unglückselige Kette in Gang, an deren Ende massive Verwüstungen standen. "Die Situation war sehr dramatisch. Das hat niemand voraussehen können. Innerhalb kürzester Zeit sind riesige Regenmengen auf uns runtergekommen", sagte Josef Tschematschar, Kommandant der Ortsfeuerwehr.
Die Wassermassen hätten ein Auto in den Kothbach gespült: "Dadurch ist zu einer Verklausung gekommen." Mit gewaltiger Wucht bahnte sich das Wasser daraufhin seinen Weg durch die Straßen der Innenstadt. Ein weiteres Fahrzeug wurde mitgerissen.
Mittersill
In Mittersill war der Pegel der Salzach den ganzen Sonntag über am Maximum. Überschwemmungen konnte die Feuerwehr vorerst aber mit dem Erhöhen von Dämmen mit Sandsäcken verhindern.
Neben Hallein war im Westen Österreichs die Tiroler Bezirkshauptstadt Kufstein das zweite große Krisengebiet der Unwetternacht. "Die Innenstadt steht in einer Form unter Wasser, wie wir es noch nie erlebt haben", sagte Kufsteins Bürgermeister Martin Krumschnabel (Die Parteifreien) am Sonntag.
Von Samstagmittag bis Sonntagmittag sind im gesamten Nordalpenbereich – vom Außerfern über das Tiroler Unterland bis ins Salzkammergut und ins Mariazellerland – innerhalb von 24 Stunden 70 bis 120 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen.
"Aber genau im Bereich zwischen den Kitzbüheler Alpen – also im Raum Kufstein bis zum Tennengau (Bezirk Hallein) – sind noch größere Regenmengen zusammengekommen. Und das vor allem Samstagabend und -nacht. Dort gab es Spitzenwerte von 150 bis 160 Liter pro Quadratmeter – in weniger als 24 Stunden", sagt Michele Salmi vom Wetterdienst Ubimet.
In Westösterreich waren die Einsatzkräfte nicht nur in Kufstein und Hallein gefordert. In Tirol und Salzburg gingen zahlreiche Muren ab. Keller und Tiefgaragen wurden überflutet.
Die Landeshauptleute von Salzburg und Tirol, Wilfried Haslauer und Günther Platter (beide ÖVP), sicherten den Hochwasseropfern Unterstützung zu. Hilfe versprachen auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein grüner Vize Werner Kogler.
In Oberösterreich war die Lage am Sonntag angespannt. Die Starkregenfälle in Bayern und in Westösterreich ließen die Pegel von Inn und Donau ansteigen. Sie führten, wie auch die Salzach in der Stadt Salzburg, Hochwasser.
Drei Robinson Crusoes von Insel in der Donau gerettet
Die Feuerwehr hat am Sonntag drei Personen von einer Insel in der Donau gegenüber des Zillenplatzes in Enns (OÖ) gerettet. Die Gruppe war dort vermutet worden, weil die Feuerwehr am Donau-Ufer zwei abgestellte Autos und am Inselufer eine Motorzille entdeckt hatte. Ein 40-Jähriger und eine 38-Jährige aus Linz sowie ein 37-Jähriger aus dem Bezirk Linz-Land wurden schließlich von der Insel geholt. Für den 40-Jährigen war es das Ende eines längeren Aufenthalts: Er hatte bereits drei Wochen auf der Insel campiert und gefischt.
Wienerin ignorierte Sperre und steckte im Schlamm fest
Nach einem Murenabgang wiesen mehrere Fahrverbotszeichen sowie Scherengitter auf der Salzkammergutstraße darauf hin, dass die Tunnelkette Traunkirchen (OÖ) für den Verkehr gesperrt ist. Eine 34-jährige Wienerin fühlte sich davon am Sonntag nicht angesprochen. Sie fuhr mit ihrem Gatten und zwei Kindern im Auto einfach Richtung Traunkirchen weiter und versuchte, den Abschnitt mit 50 km/h zu passieren. Das misslang gründlich: Zwölf Feuerwehrleute mussten das stecken gebliebene Auto bergen.
Mehr Regen an einem Tag als sonst im ganzen Juli
An der ZAMG-Wetterstation in Oberndorf an der Melk (NÖ) wurden von Samstag bis Sonntagmittag 140 Liter Regen pro Quadratmeter gemessen. Das ist mehr Niederschlag als es in Oberndorf normalerweise im ganzen Juli gibt. Durchschnittlich gibt es in diesem Monat 112 Liter Niederschlag pro Quadratmeter.
Keller und Straßen in der Obersteiermark überflutet
Verglichen mit dem Nordalpenbereich ist die Steiermark weitestgehend von großen Unwetterschäden verschont geblieben. In den Bezirken Liezen und Bruck-Mürzzuschlag gab es aber 16 Feuerwehreinsätze wegen kleinerer Überflutungen. Im Raum Graz wurden extrem viele Blitze registriert.
Im Osten wurde es am Sonntagabend – nach einer bereits unruhigen Nacht – richtig kritisch: Einige Pegelstände der Donau erreichten am Nachmittag beunruhigende Werte. Infolge des Starkregens stieg der Wasserstand im Bezirk Krems auf 750 Zentimeter. Genug, um die Hochwasseralarmstufe 1 auszulösen.
Die Hotspots in Ostösterreich waren zuvor aber vor allem entlang der Ybbs zu finden: Die Gemeinden Ferschnitz und Neuhofen (Bezirk Amstetten) wurden vom Hochwasser geradezu umschlossen, Bäche und kleinere Flüsse traten über die Ufer. In beiden Orten wurde der Zivilschutzalarm ausgelöst. Die Bevölkerung war dazu aufgerufen, sich in den oberen Stockwerken ihrer Häuser aufzuhalten.
Heftige Regenfälle gingen über den Bezirken Tulln, Scheibbs, St. Pölten, Mödling und Korneuburg nieder. Eine lokale Gewitterzelle hat am Nachmittag zudem zu Überflutungen im Raum Göttweig (Bezirk Krems) geführt. Punktuell wurden Niederschläge von bis zu 150 Litern pro Quadratmeter gemessen. Am Sonntagnachmittag waren in Niederösterreich 250 Feuerwehren im Einsatz.
In Wien verzeichnete die Feuerwehr von Samstag bis Sonntagabend "1.500 Einsätze in Zusammenhang mit dem Starkregenereignis", wie ein Sprecher sagte. Beschäftigt war man mit dem Auspumpen von Kellern, Tiefgaragen und Unterführungen. Im Süden traten in der Nacht auf Sonntag der Peters- und der Liesingbach stellenweise übers Ufer.
Bei der MA 45 schätzt man, dass die Überflutungen einem 30-jährlichen Hochwasser entsprechen. Laut Wiener Linien ist in einigen U-Bahn-Stationen Wasser eingedrungen, etwa bei Neulaa. Die U-Bahnen konnten aber ungestört fahren, so eine Sprecherin.
In der Neuen Donau gilt wegen des Hochwassers aus "wasserhygienischen Gründen" nun ein Badeverbot. Nach Absinken der Pegel dauert es zwei Wochen, bis sich die Wasserqualität normalisiert. Eine Alternative hätte man am Samstag theoretisch in der überschwemmten Kultdisco U4 gefunden. Man sei "zum Schwimmbad" geworden und bleibe geschlossen, teilte der Betreiber mit.
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