Unfallbilanz: Corona hat zum (tödlichen) Rasen verleitet
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Das Verkehrsministerium bringt das Raser-Paket auf Schiene, das Innenministerium verschärft die Gangart im Kampf gegen illegale Straßenrennen massiv und stattet die Verkehrspolizei sogar mit getunten Golf GTI aus. Und der Verkehrsclub Österreich will die Tempobremse sogar mit einem flächendeckenden Limit von 80 km/h auf Freilandstraßen und 30 im Ortsgebiet anziehen.
Aber ist ein derart hartes Vorgehen auf Österreichs Straßen überhaupt gerechtfertigt?
Die Zahl der Verkehrstoten ist generell rückläufig; allerdings liegt Österreich im Europa-Vergleich im Hintertreffen, was die Unfallstatistik und die Zahl der Verkehrstoten anbelangt. Und die Corona-Zeit hat dieses Problem noch verschärft: Vor Beginn der Pandemie 2020 waren laut Aufzeichnungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) 21 Prozent aller tödlichen Verkehrsunfälle auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Diese Zahl hat sich mit Corona fast verdoppelt. „Heuer liegen wir bereits bei 39 Prozent. Gerade seit dem Ende der Corona-Beschränkungen ist eine deutliche Zunahme der schweren Unfälle wegen nicht angepasster Geschwindigkeit bemerkbar“, erklärt der Verkehrssicherheitsexperte des KFV, Klaus Robatsch.
Geht es nach den Unfallzahlen und der Analyse des Kuratoriums, so gibt es deshalb in Österreich dringenden Handlungsbedarf. Die leer gefegten Straßen und der gegen null zurückgegangene Reiseverkehr während der Lockdowns habe bei den Autolenkern eines bewirkt. „Es wurde deutlich schneller Auto gefahren als sonst; es gab ja quasi freie Fahrt“, sagt Robatsch. Das deckt sich auch mit Beobachtungen der nö. Landesverkehrsabteilung: Die Polizisten ahnden teilweise exorbitant hohe Geschwindigkeitsübertretungen.
147 Tote im ersten Halbjahr
In den Köpfen der Raser dürfte aber noch nicht angekommen sein, dass das Verkehrsaufkommen wieder in etwa auf das Niveau vor der Krise gestiegen ist. Und das verträgt sich nur schwer, meint man beim KFV. 147 Tote im ersten Halbjahr bedeuten zwar die niedrigste Zahl an Toten seit Beginn der Aufzeichnungen vor 60 Jahren – aber es sind auch nur um sechs weniger als im Vergleichszeitraum 2020. „Der Rückgang ist zwar erfreulich, aber großteils auf die Pandemie und das generell geringere Verkehrsaufkommen zurückzuführen“, sagt der Direktor des Kuratoriums, Othmar Tann. Für den Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hat man trotz Lockdowns schon 2020 das Verkehrssicherheitsziel – weniger als 312 Todesopfer – deutlich verfehlt. Es waren 338.
„Anstatt deutlich zu sinken, ist die Anzahl der Verkehrstoten auch heuer im ersten Halbjahr ähnlich hoch wie im Vorjahr. Die Unfallbilanz ist ein Auftrag an die Politik, verstärkte Maßnahmen zur Reduktion der schweren Verkehrsunfälle umzusetzen“, forderte VCÖ-Sprecher Christian Gratzer. Zu hohe Geschwindigkeit ist nach wie vor die häufigste Ursache bei tödlichen Unfällen.
Opferbilanz
Seit 1961 wird in Österreich eine Verkehrsunfallstatistik geführt. Laut dieser kamen seither bei 2,6 Millionen Verkehrsunfällen
3,5 Millionen Menschen zu Schaden. 85.426 verunglückten tödlich
2.948Todesopfer
gab es im schwärzesten Jahr der Geschichte (1972). Seither geht diese Zahl kontinuierlich zurück. 344 Todesopfer gab 2020.
Und das trotz Verfünffachung des
Kfz-Bestands von 1,4 Millionen Fahrzeugen 1961 auf 7,1 Millionen im Vorjahr
Nimmt man die Zahlen aus dem Jahr 2019 vor Corona (410 Todesopfer, 16 davon waren Kinder), liegt Österreich in der Unfallstatistik im Ländervergleich nur im Mittelfeld: Europaweit kamen in diesem Jahr auf eine Million Einwohner 49 Verkehrstote. In Österreich waren es 47 Getötete, in Deutschland 37 und in der Schweiz mit 23 weniger als die Hälfte im Vergleich zu Österreich. Wenn man das niedrige Niveau der Schweiz erreichen möchte, wären das maximal 200 Verkehrstote pro Jahr. Dafür würde es laut Kuratorium für Verkehrssicherheit aber an ähnlich drakonischen Strafen wie bei unseren Nachbarn mangeln.
Wer in der Schweiz beispielsweise bei einer 30er-Beschränkung mit 70 km/h erwischt wird, muss für zwei Jahre seinen Führerschein abgeben. Zurück bekommt man die Lenkerberechtigung nur mit einem positiven verkehrspsychologischen Gutachten.
Raserpaket beschlossen
Das sogenannte Raserpaket hat diese Woche den Verkehrsausschuss des Nationalrates passiert. Dagegen stimmte nur die FPÖ.
Im Wesentlichen wird es für Raser empfindlich teurer, die Entziehungszeiten für Führerscheine werden bei Vergehen länger und auch die Vormerkzeit verlängert sich. Der Strafrahmen für Rasen mit weit überhöhter Geschwindigkeit wird von knapp über 2.000 Euro auf 5.000 Euro erhöht. Geschwindigkeitsübertretungen ab 80 km/h innerorts und 90 km/h außerorts (statt bisher 90/100) „unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen“ haben einen sechsmonatigen Führerscheinentzug samt Nachschulung zur Folge.
Dasselbe gilt auch für illegale Straßenrennen. Nicht nur bei diesen gefährlichen Rennen, sondern generell wird in Zukunft bei Raserdelikten die Absolvierung einer Nachschulung vorgeschrieben, im Wiederholungsfall innerhalb von vier Jahren auch ein amtsärztliches Gutachten samt verkehrspsychologischer Untersuchung .
Die FPÖ wollte nicht mitgehen, weil sie bei der Festlegung des Strafmaßes ein Ungleichgewicht sieht. Die Geldstrafen würden bei eher geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen massiv erhöht, kritisierte Gerhard Deimek. Damit treffe man nicht die gewohnheitsmäßig Rasenden oder illegale Straßenrennen, sondern in erster Linie Personen, die zufällig einmal zu schnell unterwegs waren. Laut Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) reagiere man mit dem Gesetzespaket auf besonders tragische Fälle, die durch Raserei verursacht wurden. Was das Raserpaket anbelangt, haben vor allem die Bundesländer Niederösterreich, Salzburg und Kärnten intensiv Druck gemacht.
Noch keine Lösung gibt es in der Frage der Beschlagnahme von Fahrzeugen, die laut Gewessler derzeit von Juristen geprüft werde. Andere Länder hätten damit aber gute Erfahrungen gemacht.
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