Terror in Wien: "Großteil der Szene hält an den Überzeugungen fest"
Der Terroranschlag von Wien mit vier Todesopfern hat aufgezeigt, wie schlecht die Kommunikation zwischen Behörden und Organisationen im Vorfeld funktioniert hat. Ein Punkt, der so rasch wie möglich verbessert werden sollte, wie Politiker eilig versprachen. Ein halbes Jahr später hat der KURIER bei Moussa Al-Hassan Diaw, dem Leiter der Organisation Derad (auch Attentäter Kujtim F. wurde von Derad betreut) nachgefragt.
KURIER: Herr Diaw, der Terroranschlag liegt fast ein halbes Jahr zurück. Hat sich die Zusammenarbeit seither verbessert?
Moussa Al-Hassan Diaw: Nein, der Informationsfluss hat sich überhaupt nicht verbessert, positive Ausnahme ist die Polizei Wien. Abgesehen davon ist es eher schlechter geworden.
Wie meinen Sie das?
Es sind einige verwirrende Dinge passiert, wo wir selber noch nicht ganz verstehen können, was da läuft.
Nämlich?
Wir sind zum Beispiel am neuen Aussteigerprogramm Kompass nicht wirklich beteiligt. Wir haben auch durch Zufall erfahren, dass es Fallkonferenzen ohne uns gab (Vertreter von Behörden und Vereinen beraten über die Zukunft eines Klienten; Anm). Als wir nachgebohrt haben, hieß es: ,Diese Dinge werden von Neustart (Bewährungshilfeverein, Anm.) bearbeitet.‘ Die sind bei den Fallkonferenzen dabei, auch wenn es Klienten von uns betrifft. Und auch die Deradikalisierungsarbeit macht Neustart. Das hat mich sehr erstaunt. Oder ein anderes Beispiel: Wir haben auch mit all jenen zu tun, die als Beschuldigte in Terrorverfahren im Gefängnis sind. Einige davon wurden inzwischen enthaftet, sie könnten betreut werden. Eine Person aber zum Beispiel nun nicht mehr von uns.
Wer übernimmt die Deradikalisierungsarbeit?
Die Weisung hat die Beratungsstelle Extremismus bekommen, die eigentlich das Umfeld berät. Dabei ist Deradikalisierungsarbeit nichts, was man so nebenbei auch noch machen kann. Eine Person erhält jetzt sogar eine Doppelbetreuung.
Derad wurde eine Monopolstellung vorgeworfen. Ist das eine Reaktion darauf?
Wir haben keine Monopolstellung. Es wird immer den Fachdienst, den psychologischen Dienst, die Psychotherapeuten geben. Wir sind eine Draufgabe für den Bereich der extremistischen Ideologie, wir sind keine Sozialarbeiter.
Hat der Terroranschlag Einfluss auf Ihre alltägliche Arbeit mit den Klienten?
Die Situation hat sich für unsere Klienten verschärft. Sie spüren, dass Verfahren schärfer gehandhabt werden. Sie kommen schneller in U-Haft. Ich sehe das eigentlich positiv. Weil ein Teil das auf die leichte Schulter nimmt, wenn sie milde Strafen bekommen haben, dann auf Bewährung sind und alle möglichen sozialen Annehmlichkeiten bekommen, die für die Reintegration notwendig sind. Also Wohnung und Job. Da ist auch unsere Frage dann: ,Ihr hasst dieses System, aber die Annehmlichkeiten gehen schon?‘ Sobald sie die Sanktionen spüren, wollen sie sich ändern. Das klingt ungut, ist aber so.
Und Ihre Arbeit als Betreuer? Sind Sie kritischer, vorsichtiger geworden?
Personen, die nicht deradikalisiert sind, stellen grundsätzlich eine Gefahr dar. Das kommunizieren wir verstärkt. Nicht, weil diese Leute vielleicht einen Gewaltakt setzen, sondern weil sie die Ideologie weitergeben. Da sind wir in der Vergangenheit immer in die Schranken gewiesen worden. Jetzt haben wir das Gefühl, das wird ernst genommen. Es hat eine traurige Bestätigung gebraucht.
Was hat der Terroranschlag in der Szene ausgelöst? Ist sie noch radikaler geworden? Haben sich Anhänger distanziert?
Das ist unterschiedlich. Ein Teil hat versucht, das Attentat zu relativieren und positiv darzustellen. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die der Meinung ist: Das war haram (verboten) und ein Fehler, aber der Attentäter ist deswegen nicht vom Islam abgefallen. Meine Hoffnung war, dass die Leute zumindest teilweise erschrocken sind. Stattdessen aber war das für sie aufsehenerregend und interessant. Es gibt kein Schämen, das maximale Zugeständnis ist: Hilfreich war das nicht.
Kein Einziger, der gesagt hat: Mit so etwas will ich nichts zu tun haben?
Eine dritte Gruppe sagt, das war absolut falsch. Darunter auch solche, die jetzt Sanktionen spüren. Der Großteil hält an den Überzeugungen fest und verharmlost das Attentat. Das sind eher junge Männer, maximal 25 Jahre alt. Die machen uns Sorgen.
Wie viele sind denn jetzt tatsächlich gefährlich?
Gefährlich ist auf seine Weise jeder, der eine extremistische Einstellung hat. Wer von denen bereit ist, einen Terrorakt zu setzen? Wir haben einige Personen, die wir persönlich kennen, die aufgrund der Äußerungen extrem radikal sind und sehr aggressiv erscheinen. Spontan fallen mir zwei Personen ein, die sofort bereit wären, einen Akt zu setzen. Die braucht man nur zu kitzeln.
Sind diese Personen in Haft?
Nein. Aber man muss auch sagen: Das Gefängnis hat zwar Mauern, aber die elektronische Kommunikation ist manchmal grenzenlos. Wir hatten einen Klienten, der aus der Justizanstalt Videos für Youtube gemacht hat. Aber der Vollzug steuert mit Durchsuchungen dagegen.
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