Streitgespräch zum Wolf: "Nicht immer sofort zur Flinte greifen"
Das Thema Wolf emotionalisiert. Der KURIER bat Christian Pichler, Experte des WWF, und Sepp Obweger, Obmann des Almwirtschaftsvereins, zum Interview.
KURIER: Ist ein Zusammenleben zwischen Wolf und Mensch im Jahr 2022 möglich?
Sepp Obweger: Ja, aber nur, wenn klare Grenzen aufgezeigt werden. Zwischen Wolf und Almwirtschaft ist das anders. Besonders heuer fällt auf, dass einige Bauern ihr Vieh nicht mehr auf die Alm auftreiben beziehungsweise vorzeitig abtreiben. Das hatten wir vorher nie.
Christian Pichler: Ich glaube sehr wohl, dass ein Zusammenleben möglich ist. Mit den Großarten gibt es auf der ganzen Welt Konflikte, wenn man etwa an den Tiger in Indien denkt. Aber überall ist der Ansatz des WWF, dass es möglich sein muss, diese Arten zu erhalten. Der Wolf sorgt für Konflikte. Aber er ist geschützt, weil er wichtig für die Biodiversität ist. Darum muss man Lösungen finden, die funktionieren. Was nicht funktioniert, ist der Abschuss. Und wenn, dann maximal als Ausnahme. Dass diese Situation für den einzelnen Bauern schwierig ist, steht außer Frage. Aber wir brauchen eine Vorwärtsstrategie. Man darf sich nicht herbeisehnen, dass alles wie in den Neunzigerjahren ist, als es noch keinen Wolf gab.
Eigentlich gäbe es einen österreichweiten Managementplan, der das Zusammenleben regelt. Wird dieser nicht eingehalten?
Pichler: Der letzte Plan wurde 2021 erarbeitet, dort hat man sich geeinigt, wie man vorgeht. Doch speziell in Kärnten hält sich die Politik nicht daran. Das kritisieren wir ganz klar.
Obweger: Beim ersten Managementplan im Jahr 2012 war die Almwirtschaft nicht einmal eingebunden. 2021 haben wir angeregt, nochmals darüber zu diskutieren, doch berücksichtigt wurde von den Ideen so gut wie nichts. Das ist nicht der Managementplan, hinter dem wir stehen.
Die Wiederansiedlung des Wolfes ist für die Almwirtschaft weiterhin tabu?
Obweger: Wir wollen den Wolf nicht ausrotten. Aber es gibt keine Lösung für kleinstrukturierte Almen. In Kärnten sind das zwei Drittel der 1.800 Almen. Über 1.300 haben weniger als 20 Hektar Futterfläche, wenn man das in Tieren umrechnet, sind das maximal 20 bis 25 Tiere.
Pichler: Dass jeder seine 20 Schafe auftreibt, ist einfach unwirtschaftlich. Es wird nicht ohne Behirtung, nicht ohne Herdenzusammenlegung gehen.
In Kärnten gibt es aber gerade einmal 630 Hirten. Ist die Logik „mehr Hirten bedeuten weniger Risse“ zulässig?
Obweger: Ein Hirt ist immer gut für eine Alm. Aber es ist nicht realistisch, auf eine Alm mit zehn Tieren einen Hirten zu stellen. Und weil gerade das Wort Herdenzusammenlegung fiel: Dies hätte zur Folge, dass die kleinen Almen verschwinden, weil sie nicht mehr bewirtschaftet werden und zuwachsen. Gerade bei diesen kleinen Almen steht für mich zu viel auf dem Spiel.
Pichler: Es werden doch bereits jetzt aus ganz anderen Gründen Almen aufgegeben. Der Wolf beschleunigt das maximal. Darum muss man die aktuelle Situation als Chance sehen, um die Almwirtschaft zukunftsfit zu machen. Wenn kein Wolf da wäre, hätten wir dieselbe Entwicklung und darum muss man etwas ändern.
Wir sitzen in Kärnten, einem Bundesland, das per Verordnung den Wolfsabschuss erlaubt. Ein probates Mittel?
Obweger: Es war eine wichtige Maßnahme, auch wenn damit das Problem nicht ausreichend gelöst ist. Experten sagen uns ständig, man kann den Wolf mit Abschlüssen eh nicht mehr ausrotten. Aber warum wehrt man sich so dagegen, dass sich auf EU-Ebene etwas tut? Damit würde man ganz viel Aggression aus dem Thema nehmen. Hier verstehe ich nicht, warum es keine Unterstützung vom WWF auf europäischer Ebene gibt. Vielmehr habe ich das gegenteilige Gefühl.
Pichler: Von uns wird oft erwartet, dass wir ein Auge zudrücken. Doch der WWF will Gesetze einhalten und der strenge Schutz des Wolfes kommt nicht von irgendwo. Natürlich ist es ein legitimes Mittel, dass man den Schutzstatus des Wolfes aufweichen will. Und ja, die Betroffenen dürfen etwas tun. Aber man kann nicht immer als erstes Mittel zum Gewehr, zur Büchse oder zur Flinte greifen. Solche Regeln wie in Kärnten gibt es sonst nirgends in Europa. Man kann ja nicht ständig auf der Lauer liegen und jeden Wolf, der aus Italien kommt, abschießen. Aus unserer Sicht ist die Wolfsverordnung rechtswidrig. Und wenn sie so bestehen bleibt, dann wird es wohl früher oder später Strafzahlungen geben. Daran ist aber nicht der WWF schuld.
Obweger: Aber ist der WWF überhaupt für eine flächendeckende Bewirtschaftung der Almen?
Pichler: Almwirtschaft ist nicht generell super, da gibt es kein Blankolabel. Aber wenn sie extensiv betrieben wird, ist sie positiv. Wir wollen die Almwirtschaft nicht zurückdrängen.
Aber wie kann dann eine Zukunft mit Wolf und Almwirtschaft gelingen?
Pichler: Anders als jetzt. Mit mehr Hirten, Herdenzusammenlegungen, Herdenschutzhunden und mehr Geld aus Bundes- und EU-Mitteln. Man muss ehrlicherweise sagen, dass Herdenschutz nicht die Zahl der Risse auf null reduziert. Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz. Vor allem kommen ja immer neue Wölfe nach. 2019 gab es zwei Wölfe in Kärnten, 2020 war es einer, 2021 waren es neun, heuer sind es elf. Es sind mehr Wölfe da, als je zuvor.
Obweger: Das stimmt mich nachdenklich, weil dann genau diese Klein-Almen, die zwei Drittel in Kärnten ausmachen, auf der Strecke bleiben. Wenn Abschüsse nicht erleichtert werden, dann fehlt bei den Betroffenen die Bereitschaft, etwas zu tun. Das kann nicht die einzige Lösung sein, das ist klar, aber es ist ein gutes Ventil.
Warum ist gerade das Thema Wolf so emotionalisiert?
Pichler: Das frage ich mich auch. Besonders, weil immer mit Gefährlichkeit argumentiert wird, aber es gibt so gut wie keine Attacken. Alleine in der Toskana gibt es 1.000 Wölfe und niemand fürchtet sich, wenn er nach Florenz fährt. Vielleicht fehlt uns auch die Erfahrung mit dem Wolf, der jetzt 150 Jahre lang weg war. Vielleicht müssen wir uns erst wieder an seinen Anblick gewöhnen und Erfahrungen mit ihm sammeln.
Der WWF wird beim Thema Wolf besonders angefeindet. Wie geht man damit um?
Pichler: Für die Betroffenen ist das ein schwieriges Thema. Aber ich würde mir wünschen, dass erkannt wird, dass daran nicht der WWF schuld ist, sondern eindeutig die Politik. Man weiß seit 20 Jahren, dass Wölfe nach Österreich zurückkehren werden, aber die Politik lässt die Bauern im Stich und gaukelt ihnen Lösungen vor.
Obweger: Im Stich gelassen fühlen wir uns in erster Linie von europäischer Ebene. Weil ein Schutzstatus nur Sinn macht, wenn eine Tierart gefährdet ist. Und der Wolf ist nicht mehr gefährdet. Warum man auf diesen Umstand nicht reagiert, ist mir schleierhaft. Wir geben nicht auf, der unverständliche Schutzstatus muss geändert werden.
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