Semmering-Basistunnel: Noch 400 Meter, die es in sich haben
98 Prozent des Tunnelsystems sind fertig gegraben. Die restlichen zwei Prozent führen durch Gesteinsschichten, die es in sich haben. Voran kommen die Mineure nur einen Meter pro Tag.
Erzherzog Johann wollte eine durchgehende Bahnverbindung von Wien nach Triest. Deshalb gab er in den 1840er-Jahren den Auftrag, die Lücke über den Semmering zu schließen. Ingenieur Carl Ritter von Ghega setzte sich mit dem Bau der ersten Hochgebirgsbahn Europas ein Denkmal. Heute ist sie UNESCO-Weltkulturerbe.
Was die technische Pionierleistung anbelangt, soll der Semmering-Basistunnel eine ähnliche Erfolgsgeschichte in den Geschichtsbüchern einnehmen. 400 Meter. So viel, oder besser gesagt so wenig, trennen die Mineure derzeit noch vor dem größten Etappenziel. Ist das geschafft, haben sie die beiden, insgesamt 27,3 Kilometer langen Tunnelröhren, zur Gänze gegraben, gesprengt und gebuddelt. 98 Prozent des Vortriebs sind bereits bewältigt, die restlichen zwei Prozent haben es aber in sich.
Denn die letzten 400 Meter des Tunnels führen laut ÖBB durch die „komplexeste geologisch-tektonische Struktur der Ostalpen“. Seit 2019 verlangt die sogenannte Grasberg-Nordrand-Störung den Ingenieuren alles ab. „Im Tunnelbau lebt man mit der Natur. Man wächst mit der Aufgabe“, erklären dazu die Projektleiter Gerhard Gobiet und Dieter Haas.
Injektionen wie Nadelstiche
Mit über 10 Bar drückt das Bergwasser in der Störungszone gegen das Gestein. Es macht den Bagger- und Sprengvortrieb zu einem aufreibenden Lotteriespiel. Um einen Einsturz des Tunnels zu verhindern, werden Zement-Injektionen wie Nadelstiche in den Karbonatstock getrieben. Für so einen „Injektionsschirm“ werden auf 20 Meter Tunnellänge 200.000 Liter Material in den Berg gepumpt.
Das behördlich vorgeschriebene Ziel ist, zum Erhalt des Naturhaushaltes so viel Wasser wie möglich im Bergmassiv zu belassen. „Deshalb machen wir das Gebirge dicht“, erklärt Gobiet.
Der Nachteil daran: Im Schnitt bewältigen die Mineure pro Tag gerade einmal einen Meter Vortrieb. Ein Jahr werden sie deshalb noch brauchen, bis nach elf Jahren alle Röhren und Querschläge fertig gegraben sind.
Der nächste Schritt ist der Bau einer durchgehenden Beton-Innenschale. In diese wird die für den Bahnbetrieb notwendige Tunnelausrüstung gelegt. Aktuell sind von insgesamt 55 Kilometer Röhrenlänge schon über 30 mit einer solchen Betonschale verkleidet.
Der nächste Meilenstein wird im heurigen Juni die Vergabe für den Einbau der Tunnelausrüstung sein. Um den Zeitplan einhalten zu können, muss Ende 2025 mit der Verkabelung der Technik begonnen und diese bis März 2027 abgeschlossen sein, erklären Haas und Gobiet. In der letzten großen Bauphase wird der Betonoberbau samt der Gleise bis längstens März 2028 verlegt.
200 Millionen Euro teurer durch den Krieg
Damit rechtzeitig zum Fahrplanwechsel 2029/2030 die ersten Züge mit 230 Sachen durch den Basistunnel brettern können, ist davor „ein intensives Programm an Test- und Einschulungsfahrten notwendig“. Bezogen ist bereits die neu errichtete Tunnelzentrale in Gloggnitz. In dem für seine Nachhaltigkeit ausgezeichneten Holzgebäude werden in Zukunft 100 Mitarbeiter für die Sicherheit und Instandhaltung des Tunnels verantwortlich sein.
Als bitterer Beigeschmack bei dem Projekt bleiben die Kosten. Die Komplikationen haben den Zeitplan um fast vier Jahre nach hinten geworfen, die Kosten sind von 3,5 auf 3,9 Milliarden Euro angewachsen. Alleine die Preissteigerung durch die Ukraine-Krise hat laut ÖBB etwa 200 Millionen Euro ausgemacht.
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