Schlimme Finger: Wie Ermittler Fingerabdrücke zur Verbrecherjagd nutzen
Ein weißes Blatt Papier, auf einem Schreibtisch, für den Laien völlig unverdächtig. Augenblicke später kommen jedoch die Umrisse einer Hand zum Vorschein. Ein über den A4-Zettel gebeugter Kriminalist streut Magnetpulver nach. Gekonnt verteilt er es mit gleichmäßigen Pinselbewegungen. Nach und nach bilden sich jetzt Fingerkuppen ab. Zufrieden betrachtet der Ermittler sein Beweisstück: „Auf Papier haften Fingerabdrücke recht gut“, erklärt er. So habe man schon Bankräuber überführt, die beim Überfall Anweisungen auf Zettel geschrieben hatten.
Der Kriminalpolizist muss es wissen, denn er ist einer jener Experten, die sich im Bundeskriminalamt in Wien mit der Untersuchung und Identifizierung von Fingerabdrücken beschäftigen. Tausende daktyloskopische Spuren aus allen Bundesländern landen jährlich auf dem Tisch der speziell ausgebildeten Polizisten.
Wien als Vorreiter
Die Ermittlungsmethode hat in Österreich Tradition. Nach London waren die heimischen Kriminalisten 1902 die europaweit zweiten, die Fingerabdrücke systematisch erfassten. Die Folie, die zum Sichern der Spuren verwendet wird, wurde von einem Wiener Agenten entwickelt und ist bis heute im Einsatz.
Für die Polizei handelte es sich um einen forensischen Quantensprung: „Ein Fingerabdruck ist zu 100 Prozent einmalig, was bei DNA oder der Gesichtserkennung nicht der Fall ist“, betont Reinhard Schmid, Büroleiter im Erkennungsdienst. Selbst Verletzungen oder Narben würden eine Zuordnung nicht verunmöglichen, erklärt er.
Bei entsprechender Vergrößerung werden auf der Innenseite des abgebildeten Zeigefingers Muster erkennbar. Feine Linien, sogenannte Papillarleisten, verlaufen eng aneinander und erinnern an die Altersringe eines Baums. Unterbrochen werden sie von Minutien, also Gabelungen oder Endungen – und diese sind bei jedem Menschen einzigartig.
Kein Mörder ist sicher
Das gilt auch für Verbrecher, die versuchen, den Strafverfolgungsbehörden mit falschen Identitäten zu entkommen – selbst wenn das zunächst gelingt. „Wir haben ein Tötungsdelikt nach über 20 Jahren geklärt, weil an dem Plastikmaterial, in dem die Leiche verpackt war, Spuren gesichert werden konnten“, erinnert sich Schmid.
Dass solche Fälle Jahre nach dem eigentlichen Delikt geklärt werden, liegt an einer umfassenden Datenbank, in der allein in Österreich die „Prints“ von 680.000 Kriminellen gespeichert sind. In der Fachsprache ist die Rede von automatisierten Fingerabdruck-Identifikationssystemen (AFIS).
Daktyloskopie
ist die Wissenschaft, die sich mit der Untersuchung und Identifizierung von Fingerabdrücken auseinandersetzt – das österreichische Bundeskriminalamt verfügt über ausgebildete Daktyloskopen
Papillarleisten
Linien auf den Fingerkuppen mit einmaligem Muster, das eine hundertprozentige Zuordnung zur jeweiligen Person ermöglicht
1.437.949 Fingerabdrücke
befanden sich Ende 2023 im österreichischen „Automated Fingerprint Identification System“ (AFIS), einer Datenbank für Tatortspuren. Neben der Polizei nutzen auch Grenzschutz-, Migrations- und Zivilbehörden die Datenbank. Es sind also nicht nur die Fingerabdrücke Krimineller im AFIS
Da der österreichische Ermittlungsdienst auch Abgleiche mit EU-Ländern, Großbritannien, Norwegen und den USA durchführt, können per Knopfdruck innerhalb von Minuten Hunderte Millionen Abdrücke durchforstet werden.
Speziell bei Tätern, die schwere Delikte begehen, zeigt die Statistik die hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese erneut mit dem Gesetz in Konflikt geraten. In Frankreich etwa flog ein Mörder auf, weil er an der Tankstelle nicht bezahlt hatte. Bis dahin war er mit gefälschtem Ausweis erfolgreich untergetaucht.
Wenn die Datenbank wie im oben beschriebenen Fall einen Treffer ausspuckt, sind die Kriminalisten erneut gefragt. „Künstliche Intelligenz hilft uns, Übereinstimmungen zu identifizieren. Bestätigt werden die Treffer aber von mindestens zwei Daktyloskopen. Ein echter Knochenjob“, weiß Schmid. Ein Knochenjob, der sich auszahlt. Schließlich erlaubt es kaum eine andere Ermittlungsmethode, derart präzise über Schuld oder Unschuld zu entscheiden.
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