Kein Geschenk
Als das österreichische Parlament 2019 einstimmig eine Novelle zum Staatsbürgerschaftsgesetz beschloss, ermöglichte dies einem erweiterten Kreis von Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialismus, die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Seither haben mehr als 26.000 Menschen den österreichischen Pass (wieder) erhalten. Und das Interesse ist ungebrochen: Jedes Monat gehen im Außenministerium 400 weitere Anträge ein.
Ein Vertrauensbeweis
Unter den neuen Österreicherinnen und Österreichern ist auch Evelyn Konrad. Es war nicht nur eine leichte Entscheidung, sie hatte wegen der komplexen und schmerzhaften Beziehung zu Österreich lange „Hemmungen und Zweifel“, wie sie sagt. Unvergessen ist das Schicksal der geliebten „Omutti“, die Wien nicht mehr verlassen konnte und 1942 beim Transport in ein Konzentrationslager ums Leben kam. „Das war unmenschlich“, sagt Konrad, „aber die, die das getan haben, sind schon lange nicht mehr da. Und die neue Generation finde ich sympathisch.“
Es ist dieser Vertrauensbeweis in die Republik Österreich und ihre Menschen, für die Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in seiner Ansprache klare Worte findet: „Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich bin für dieses Vertrauen dankbar.“
Dass die Staatsbürgerschaft „kein Geschenk“ sei, sondern eine Restitution, betont auch Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in seiner Rede: „Recht, nicht Rache“, zitiert er Simon Wiesenthal, „hier wird Recht geschaffen“.
Auf den Spuren der Familie Mendl
So sieht es auch Daniel Murphy. „Das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Es ist nicht perfekt, aber so ist nun einmal das Leben.“ Der 50-Jährige hat an diesem Tag die weiteste Anreise hinter sich, er und sein 27-jähriger Sohn Ethan sind erst am Vortag aus Australien angekommen. Sie sind zum ersten Mal in Wien.
Die beiden leben in dritter und vierter Generation in New South Wales. Großmutter Bettina aber war eine geborene Mendl, deren Vater und Onkel 1891 in Wien die spätere Ankerbrotfabrik gründeten. Ein altes Emailleschild der Fabrik hat der Jurist Daniel Murphy heute in seinem Büro stehen.
Neues altes Band
Seit zwei Monaten ist er Österreicher. Für ihn ist die Staatsbürgerschaft ein Zeichen des Respekts eines Landes, das das Leben seiner Vorfahren so traumatisch verändert hat. „Meine Mutter wäre nie als Gast nach Österreich gekommen“, sagt er. Sie ist im Vorjahr gestorben. Dass ihr Sohn nun als Österreicher einreisen kann, hätte sie mit großer Freude erfüllt, sagt Murphy.
Vier Tage haben Vater und Sohn für ihre erste Österreichreise eingeplant, sie machen eine Reise in die Vergangenheit: zu den in der Nazizeit „arisierten“ Liegenschaften der Villa Mendl in Döbling und der Ankerbrotfabrik sowie zum Schloss Itter in Tirol, das einst Großmutter Bettina gehörte.
Doch dies soll nur der erste von vielen Besuchen sein. „Die Staatsbürgerschaft festigt die Beziehung meiner Familie zu Österreich“, sagt Sohn Ethan. „Das Band war zerrissen, aber jetzt fühlt es sich real an.“
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