Das Benko-Beben hinter dem Brenner: Eine Spurensuche in Italien
Italienische Behörden vermuten ein mafiaartiges Netzwerk mit dem Ex-Milliardär an der Spitze. Benkos Verbindungen zum Raum Oberitalien rund um den Gardasee sind mannigfaltig.
Die Palmen in Riva del Garda tragen Lichterketten. Auf die Fassaden der Häuser im historischen Kern des Städtchens am Nordufer des Gardasees werden kitschige Weihnachtsmotive projiziert. Im Winter läuft der Tourismusort mit angezogener Handbremse. Von Beschaulichkeit kann mitten im Advent dennoch keine Rede sein.
Bürgermeisterin Cristina Santi ist in den Strudel der Ermittlungen durch die Staatsanwälte in Trient geraten, die in Italien eine „mafiaartige kriminelle Vereinigung“ mit René Benko an der Spitze vermuten. Vergangene Woche wurde die Lokalpolitikerin zunächst – wie sieben weitere Personen – unter Hausarrest gestellt. Das bekämpfte sie erfolgreich. Ihre Gemeinde darf Santi vorerst aber nicht verlassen. Für sie gilt, wie für alle der insgesamt 77 Verdächtigen in dem Fall, die Unschuldsvermutung.
"Alle Politiker sind korrupt"
Mit der ist es in einer der raren Bars, die um diese Jahreszeit in Riva geöffnet haben, nicht weit her. Einer der Einheimischen, die hier am Tresen stehen, hat sein Urteil bereits gefällt: „Sie ist sicher schuldig.“ Der aus Neapel stammende Wirt ist zwar überzeugt: „Alle Politiker sind korrupt.“ Aber im Falle von Santi will er noch abwarten: „Bis jetzt sind es nur Ermittlungen.“
Die haben südlich des Brenners die gesamte Region rund um den Gardasee – vor allem die Provinzen Südtirol und Trentino – in helle Aufregung versetzt. Am Dienstag vergangener Woche haben hier unter anderem in Bozen, Trient, Rovereto, Riva del Garda, aber auch in Verona oder Brescia an die 100 Hausdurchsuchungen stattgefunden.
Die Italien-Connection
Die Verbindungen der Signa und von Benko persönlich zum Raum Oberitalien sind mannigfaltig – nicht nur wegen zahlreicher Immobilienprojekte, die nun im Fokus der Ermittler stehen und bei deren Realisierung es mitunter – so der Verdacht – nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll.
Sirmione am Südufer des Gardasees. Das Örtchen liegt auf einer schmalen Landzunge. Wer hier nach René Benko fragt, erhält schnell Antworten. „Das dort mit dem Turm ist seine Villa“, sagt ein Bootsführer, der am Eingang zur Altstadt Touren auf den See anbietet. „Immer wenn ein Hubschrauber gekommen ist, wusste man, dass Benko, seine Familie oder Freunde von ihm da sind“, erzählt der Mann. Das sei in den vergangenen Jahren oft der Fall gewesen, aber auch heuer noch.
Dabei ist der gescheiterte Immobilien-Tycoon nach dem Kollaps seines Signa-Reichs seit dem Frühjahr auch persönlich pleite. Das Anwesen, das der 47-Jährige offenkundig dennoch weiter nutzte, ist die historische Villa Ansaldi, die über einen eigenen Heli-Landeplatz verfügt. „Man sagt, sie gehört ihm“, erzählt ein Immobilien-Händler im Ort. „Aber man weiß es nicht.“
Das hat mit der schleierhaften Eigentümerstruktur zu tun. Das straßenseitig von hohen Mauern abgeschirmte Luxusdomizil mit Seezugang gehört offiziell einer Firma in Luxemburg. Wer hinter dieser steckt, ist unklar. In der Villa hat Benko 2017 mit Pomp und illustren Gästen seinen 40. Geburtstag gefeiert, wie die Signa-Aufdecker Rainer Fleckl und Sebastian Reinhart nachgezeichnet haben. Die Liste der Partyteilnehmer lässt das Fest eher wie ein Vernetzungstreffen mit Größen aus Wirtschaft und Politik erscheinen.
Privat oder doch nicht
Die Grenzen zwischen Benkos privaten Unternehmungen und jenen seines verschachtelten Firmenimperiums waren stets fließend: Als Mieter der Villa Ansaldi trat in der Vergangenheit die Signa auf, wie der Standard berichtete.
Wenn es um die Italiengeschäfte der Signa geht, dann laufen die Fäden bei einem Mann zusammen, der für die Staatsanwaltschaft Trient hinter Benko die Nummer zwei in der vermuteten kriminellen Vereinigung ist und der ebenfalls unter Hausarrest gestellt wurde: Heinz Peter Hager.
Der Bozner Steuerberater galt in seiner Funktion als Präsident der Signa Italien als Benkos „Statthalter“ und ist zudem Vorstandschef der Laura Privatstiftung – eines jener Konstrukte, das dem Ex-Milliardär über Umwege immer noch einen luxuriösen Lebensstil ermöglicht. So kann der Tiroler, gegen den in Italien ein Haftbefehl erlassen wurde, etwa weiter in der „Villa N“ in Innsbruck residieren.
Ein Koloss gewordenes Projekt in Bozen
Das Duo kennt sich seit der Jahrtausendwende. Rund um den Bau des 2010 eröffneten Kaufhaus Tyrol – der erste große Wurf des Signa-Gründers – sei die Idee entstanden, etwas Ähnliches in Bozen zu realisieren, erzählte Hager.
Inzwischen quetscht sich dieses Koloss gewordene Projekt, an dem auch nach der Signa-Pleite weiter gebaut wurde und immer noch wird, regelrecht aus dem engen Zentrum der Südtiroler Landeshauptstadt heraus. Das Vorhaben wurde gegen große Widerstände der lokalen Kaufmannschaft und zunächst auch der Stadt durchgeboxt.
Zwischen Bahnhof und Altstadt gelegen, prägt der aus fünf Gebäuden bestehende und heuer an die Münchner Schöller-Gruppe verkaufte „Waltherpark“ – ein Mix aus Einkaufszentrum, Hotel, Büro- und Wohnflächen – das Stadtbild von Bozen neu.
Hier haben die Ermittler 2019 die Fährte aufgenommen. Damals seien „Ungereimtheiten beim Projekt Waltherpark ans Licht“ gekommen, heißt es in den Akten. Es folgten ein groß angelegter Lauschangriff und Observationen, die über mehrere Jahre andauerten und letztlich in dem nunmehrigen Beben gemündet sind.
Mehr als Lobbying?
Die Staatsanwaltschaft glaubt, auf ein Netzwerk gestoßen zu sein, in dem die „Grenzen zwischen Korruption, Lobbying und politischer Einflussnahme“ zur Realisierung von Immobilienprojekten in Italien verschwommen sein sollen.
„Skandalgeschichten erfreuen das Publikum“, sagt ein in der Altstadt auf die Causa angesprochener Passant. Für ihn stellt sich aber die Frage, „wie sich das alles auf die Stabilität der Landesregierung auswirkt.“
Geht es nach SVP-Landeshauptmann Arno Kompatscher, der an diesem sonnigen Dezembertag gerade über den Silvius-Magnago-Platz ins Landhaus eilt, dann gar nicht: „Kein Mitglied der Landesregierung ist von den Ermittlungen betroffen.“ Die Entscheidungen für den Waltherpark seien zudem „auf kommunaler Ebene getroffen worden“.
Krone und News haben diese Woche einen Mail-Verkehr aus 2015 zwischen Hager, der in der Vergangenheit als SVP-Spender auftrat, und Kompatscher veröffentlicht. Darin erbat Hager Unterstützung für das „Projekt Benko“ und bekam sie zugesagt. Es sei „normal“, dass Interessensvertreter „um Unterstützung für ihre Ideen, Vorschläge und Projekte ersuchen“, sagt der Landeshauptmann dazu. Wichtig sei, „dass man Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen trifft“. Im konkreten Fall sei es um die geplante Durchführung eines öffentlichen Wettbewerbs gegangen.
Signa-Stempel hätte noch stärker sein sollen
Wäre es nach Hager gegangen, hätte die Signa Bozen noch stärker ihren Stempel aufgedrückt. Man wollte eine Seilbahn auf den Hausberg Virgl bauen und das Ötzi-Museum dorthin übersiedeln. Das Land lehnte ab. Umgesetzt wurde von Signa hingegen das riesige Wohnbauprojekt „Gries Village“ in Bozen. Dafür seien Schmiergelder geflossen, behaupten die Ermittler. Bis klar ist, was von all den Vorwürfen am Ende übrig bleibt, werden wohl Jahre vergehen.
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