Rechtsstreit: Polizei hörte das Gras wachsen
Der 54-jährige Pascal Novosel muss wieder ganz von vorne anfangen. Der Unternehmer produziert mit seiner Frau Dina in einer Halle in Wien-Liesing Nutzhanf. Eingesetzt wird das daraus gewonnene Öl unter anderem in der Kosmetik. Doch zwei Monate lang stand die gesamte Produktion. „Trotzdem hatten wir laufende Kosten wie etwa die Miete. Ich musste mich von Mitarbeitern trennen“, sagt er.
Eindeutiger Duft
Grund für den Stillstand war ein Polizeieinsatz in seiner Produktionshalle vor rund einem Jahr. Die Beamten waren im Juli des Vorjahres zufällig auf die Halle gestoßen – eigentlich waren sie zu einer anderen Halle gerufen worden. Doch der intensive „Duft“, der die Polizisten umhüllte, war eindeutig.
Die Polizisten folgten ihren Nasen, kamen in die Halle von Novosel, fanden die Pflanzen und waren überzeugt: Hier handelt es sich um einen großen Drogenfund.
40 Polizisten, darunter die WEGA, die Diensthundeeinheit und die Bereitschaftseinheit, schnitten schließlich sämtliche Pflanzen ab. Insgesamt waren es 1.792 Stück. Auch teure Mutterpflanzen waren darunter. Wenig später stellte sich heraus: Es handelte sich tatsächlich nicht um verbotene, also THC-hältige Pflanzen. Das Strafverfahren wurde eingestellt.
Entschädigung
Der Schaden ist beträchtlich, beträgt mehr als 200.000 Euro. Doch ersetzen will ihn niemand. Novosel und sein Anwalt Harald Premm wandten sich an die Finanzprokuratur – in der Hoffnung, entschädigt zu werden.
Doch die Antwort, die vor Kurzem eintrudelte, war ernüchternd: Nach „eingehenden Sachverhaltserhebungen“ werde ein Ersatzanspruch als nicht berechtigt erkannt. „Der Grund für die Ablehnung der von Ihnen geltend gemachten Amtshaftungsansprüche liegt insbesondere darin, dass ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Bundesorganen nicht vorliegt.“ Die Annahme, dass es sich um illegale Hanfpflanzen handelt, sei „vertretbar“ gewesen. Auch die Sicherstellung sämtlicher Pflanzen sei weder rechtswidrig noch unvertretbar. „Das ist eine bodenlose Frechheit“, ärgert sich Novosel.
Zumal auch schon das Verwaltungsgericht Wien in seinem Sinne entschieden hat. Dort brachte Novosel mit Anwalt Premm nämlich bereits eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Polizei ein. Und das Gericht stellte fest: Die Amtshandlung der Polizei war – zumindest in dem durchgeführten Ausmaß – rechtswidrig.
Zwar war eine Durchsuchung der Lagerhalle zulässig. Die Behörde wäre aber verpflichtet gewesen, sich vor der Zerstörung (also Aberntung) der Pflanzen über die (fälschlich angenommene) Illegalität des Anbaus zu vergewissern, und hätte sich zunächst auf Proben beschränken müssen. Die Halle hätte bis zum Ergebnis einfach versiegelt und bewacht werden können. Ein verfasster Amtsvermerk eines Inspektors in der Causa legt zudem nahe, dass rasch bekannt war, wem die Plantage gehört.
Und der Richter stellte ebenso fest: Auch wenn die Plantage nicht als „CBD-Hanf“ gekennzeichnet war, hätte man nicht automatisch von einer illegalen Pflanzung ausgehen dürfen. „Jedem Beamten ist heute die Information zugänglich, dass es sich bei der Cannabispflanze um die alte, vielseitig verwendbare Kulturpflanze Hanf handelt, und dass die Berauschung nur eine ihrer zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten darstellt.“
Klage eingebracht
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nun auch Grundlage für einen erneuten Gang zum Gericht. „Und eine derartige Einschätzung des Verwaltungsgerichts hat schon ein Gewicht“, ist Anwalt Premm, der die Klage beim Zivilgericht vor wenigen Tagen eingebracht hat, überzeugt. Eingeklagt werden 201.070,32 Euro.
„Anscheinend wird spekuliert, dass man sich als Geschädigter den Weg zum Gericht nicht antun will oder gar nicht leisten kann“, ist Cannabis-Erzeuger Novosel verärgert. „Ohne Anwalt bist du in so einem Fall aufgeschmissen, hast keine Chance.“
Mit einem raschen Gerichtsurteil ist nicht zu rechnen. Novosel nimmt das in Kauf.
Beschwerlicher Weg
Vor der ersten Ernte von Blüten, Blättern, Samen oder Fasern einer Hanfpflanze müssen etliche Auflagen erfüllt werden. Behördenwege, strenge Auflagen und Kontrollen sind die Regel. Wichtig für den Anbau ist der EU-Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten.
65 Hanfsorten
Die EU listet jedes Jahr in einem Katalog die Nutzhanfsorten, die die europäischen Bestimmungen erfüllen und legal angebaut werden können, auf. In Österreich dürfen Hanfsorten aus dem EU-Katalog angebaut werden, wenn ihr THC–Gehalt unter 0,3 % liegt. Das Kontrollorgan ist die AMA.
Rechtslage
Der Kauf lebender Cannabispflanzen ist kein Erwerb von Suchtgift, weil diese Pflanzen kein Suchtgift sind, selbst dann nicht, wenn sie bereits zu blühen begonnen haben. Auch der Besitz von Cannabispflanzen stellt noch keinen Besitz von Suchtgift dar. Der Anbau und die Aufzucht von Cannabispflanzen zwecks Suchtgiftgewinnung sind allerdings nach § 27 Abs 1 Z 2 SMG strafbar.
Arzneimittel
Legal über Rezept erhältlich sind in Österreich Dronabinol, Nabilon und Nabiximols (Sativex). Eingesetzt wird es unter anderem bei Multipler Sklerose oder bei Übelkeit und Erbrechen nach einer Chemotherapie. Die österreichische Gesundheitskasse warnt dennoch vor möglicher Sucht.
Verschiedene Hanfprodukte
Hanffasern werden unter anderem für Seile, Kleider, Papier, Isolierung oder Formteile für die Autoindustrie eingesetzt. Auf dem Markt befinden sich auch Lebensmittel wie Tee, Samen, Öl, Mehl und Getränke. Weiters wird Hanf bei Kosmetika oder als E-Zigaretten mit CBD-Liquids verwendet
Antonio Šećerović
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