Kampf um den Platz auf der Straße

APAHEF08 - 08042008 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA161 CI - THEMENBILD - Ein Radfahrer und ein Autofahrer am Dienstag, 08. April 2008, beim Austragen eines Interessenskonfliktes auf einer Strasse in Wien. (GESTELLTE SZENE). APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Der KURIER brachte Vertreter von Fußgängern, Radlern und Pkw-Lenkern an einen Tisch.

Vor allem in den Städten wird der Platz immer enger. Konflikte zwischen Fußgängern, Kfz-Lenkern und Radlern häufen sich. Ellbogentechnik und aggressives Verhalten ersetzen in den Ballungsräumen vermehrt defensives, StVO-angepasstes Fahren. Aber auch Fußgänger ignorieren immer häufiger Rotphasen. Zeit- und Termindruck, sowie das „Verteidigen“ des selbst benutzten Verkehrsraumes gelten als Auslöser für die wachsende Konfliktbereitschaft der Verkehrsteilnehmer.

Bei einer bundesweiten Befragung von 600 Personen durch das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) zeigte sich, dass etwa zwei Drittel mindestens ein Mal oder öfters in Streit-Situationen mit jeweils anderen Verkehrsteilnehmern verwickelt waren.

Mehr Spannungen

Während sich Autofahrer im Straßenverkehr subjektiv sehr sicher fühlen und in erster Linie (61 Prozent) andere Kfz-Lenker als Gefahr sehen, fühlen sich Radfahrer im Straßenverkehr generell gefährdet. Radler gaben an, vor allem mit Autofahrern (69 Prozent) in Konflikt zu geraten. Aber auch die Spannungen zwischen Fußgängern und Pedalrittern nehmen zu. Beinahe jeder dritte befragte Fußgänger erklärte, sich „immer“ oder „oft“ über Radler zu ärgern. Insgesamt sind sich 83 Prozent der Befragten sicher, dass Konflikte und Spannungen zugenommen haben.

Autofahrer kritisieren bei Radlern vor allem Rotlicht-Fahrten (30 Prozent). Auch die schlechte Sichtbarkeit sorgt für Unmut (21 Prozent). Umgekehrt fühlen sich Biker durch zu knappes Überholen (26 Prozent) und das plötzliche Öffnen von Fahrzeugtüren (22 Prozent) gefährdet. Die Nutzung von Gehsteigen als Radweg führte bei 40 Prozent der Fußgänger zu Konflikten mit Radfahrern.

Trotzdem sinken die Unfallzahlen in Österreich. Um diesen Trend beizubehalten fordern die Radler jetzt generelles Tempo 30 in Städten und maximal 80 km/h auf Landstraßen (Details siehe Streitgespräch).

KURIER: Gibt es in Wien zu wenig Platz für Fußgänger Radfahrer und Autofahrer?

Alexander Hager: Es gibt zu wenig Platz für Fußgänger und Radler. 80 Prozent der Verkehrsflächen in Wien sind für den Autoverkehr reserviert, aber nur 29 Prozent der täglichen Wege werden mit dem Auto zurückgelegt.

Petra Jens: Wir stellen eine Übernutzung der Gehsteige fest. Dort stehen Schilder, Kiestruhen oder Schanigärten. Früher wurden Radwege auf oder in der Nähe von Gehsteigen konzipiert. Zwischen Radfahrern und Fußgängern gibt es aber einen Tempounterschied von 1:6. Das verursacht Unbehagen, auch wenn es mehr Unfälle mit Autos gibt. Bei Bikern und Autos ist der Geschwindigkeitsunterschied nur 1:2. Daher macht es Sinn, den Radverkehr auf die Straße zu verlegen.

Christian Gerzabek: Wo es möglich ist, sollte man Radwege schaffen. Man kann die Häuser aber nicht auseinanderschieben. Generell gibt es Konflikte zwischen Auto- und Radfahrern. Diese sind oft sehr provokativ unterwegs. Etwa auf der Bus- und Taxi-Spur in der Burggasse, wo ein Biker in der Mitte fährt und alles behindert.

Warum wehren sich Radfahrer so gegen Nummerntafeln?

Hager: Der Verwaltungsaufwand wäre zu hoch, der Schaden durch Radfahrer ist extrem niedrig. Es gab etwa 2012 nur vier Fahrradunfälle mit Fahrerflucht.

Gerzabek: Die Dunkelziffer ist aber weitaus höher ...

Jens: Das ist eine Diskussion, die uns nicht weiterbringt. Viel wichtiger wäre die generelle Einführung von Tempo 30 in der Stadt. Bei dem Tempo kommt es zu mehr Sichtkontakt. Und es braucht den Vorrang für Öffis.

Gerzabek: Wir haben bereits fast flächendeckend Tempo 30. Es soll nicht noch langsamer werden. Wir als Taxifahrer sind ein Teil des öffentlichen Verkehrs und fordern ebenfalls verstärkt Vorrang.

Hager: Es gibt ein Missverständnis, dass ein Taxi ein öffentliches Verkehrsmittel ist. Ein Bus kann viel mehr Menschen befördern. Ein Taxi ist ineffizient wie ein Pkw. Es gibt natürlich wichtige Taxifahrten, aber Sonderrechte für die Taxis darf es nicht geben. Zu Tempo 30: Wir brauchen in allen Ortsgebieten Tempo 30. Zeit ist nicht der einzige Parameter, sondern auch die Gefährdung. Und bei Tempo 50 ist die Gefährdung der Fußgänger weit höher. Überland brauchen wir getrennte Radwege sowie ein Tempolimit auf 80 km/h.

Fußgänger und Radfahrer treffen auch auf der umgestalteten Mariahilfer Straße aufeinander.

Hager: Die Mariahilfer Straße ist eine Straße für Fußgänger, der Radverkehr ist in der Fußgängerzone nur Gast. Deswegen bin ich auch gegen einen Fahrradstreifen in der Mitte. Für Radler soll es Radrouten in Parallelgassen geben. Etwa der Burggasse, wo ab August Tempo 30 besteht. Dann wird der Konflikt mit Lenkern weniger, weil alle gleich schnell unterwegs sind.

Kampf um den Platz auf der Straße
Streitgespräch Radfahrer , Fussgänger , Autofahrer

Durch die Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht, wäre auch Radfahren am Ring möglich. Ein guter Vorschlag?

Hager: Ich würde den Radverkehr in beide Richtungen am Ring einführen. Knackpunkt ist auch hier Tempo 30. Ziel wäre ein ganz autofreier Ring und eine autofreie City.

Gerzabek: Es geht auch um Bedürfnisse von Nichtradlern. Man muss an jene denken, die nicht mehr so mobil sind.

Jens: Dabei gibt es keine andere Straße, die Wien so verkörpert wie der Ring. Trotzdem gibt es zu wenig Platz für Fußgänger. Ich bin daher dafür, Gehsteige zu entlasten. Es ist wichtig, dass sich Fußgänger mit Vorschlägen zur Aufhebung der Benutzungspflicht einbringen.

Viele Fußgänger ärgern sich über Gehsteigradler. Braucht es da mehr Polizei-Kontrollen?

Jens: Grundsätzlich sind Kontrollen wichtig, aber auch die Analyse, warum Radfahrer auf dem Gehsteig fahren – etwa weil sie sich nicht auf der Straße fahren trauen.

Wie kann ein harmonischeres Miteinander erreicht werden?

Jens:Durch Rücksicht und Perspektivenwechsel.

Hager: Bei der Führerscheinausbildung sollten zukünftige Autofahrer einmal in die Rolle von Radfahrern schlüpfen. Und in den Schulen wird das Modell des Radführerscheines viel zu wenig genutzt. Da wäre Potenzial drinnen.

Gerzabek: Wir sollten auf der Straße alle miteinander unaufgeregter umgehen.

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