Quarantäne-Streit mit Tirol: Eine Reisewarnung ohne rechtliche Folgen
Soll Tirol zur Eindämmung der südafrikanischen Virusvariante im dortigen Cluster unter Quarantäne gestellt werden oder nicht? Diese Frage sorgte über Tage hinweg für massives Hickhack zwischen dem Bund und dem Land.
„Wenn man das nur als Match Land versus Bund, Wirtschaft versus Wissenschaft begreift, hat man nichts verstanden und schon verloren“, meinte Andreas Bergthaler vom Research Center for Molecular Medicine (CEMM) in Wien am Montag via Twitter dazu.
Er hat als der Experte für Sequenzierungen der Virusmutationen aktuell den wohl besten Überblick über die Ausbreitungssituation und attestierte im KURIER am Donnerstag: „Die bisherigen Daten sprechen dafür, dass Tirol ein Problem mit der Südafrika-Variante hat.“
Reisewarnung für Tirol
Bis zu 400 Fälle
Das Problem ist evident. Sollten sich alle noch ungeklärten Verdachtsfälle auf die Virusvariante „B.1.351“ bestätigen, dann haben sich vom ersten nachträglich in Tirol erkannten Fall am 23. 12. bis heute rund 400 Menschen mit der Mutation infiziert.
Über die Maßnahmen zur Eindämmung konnten sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) in Marathon-Verhandlungen, die sich am Sonntag bis tief in die Nacht zogen und am Montag fortgesetzt wurden, nicht einigen.
Das Ministerium soll zumindest auf eine teilweise Quarantäne gedrängt haben, die das Land Tirol aber mit allen Mitteln verhindern wollte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der stets betont, im Zweifel auf strenge Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu setzen, meldete sich am Wochenende offiziell nicht zu Wort. Hinter den Kulissen gab es durchaus Gespräche.
Am frühen Montagnachmittag verkündete Kurz schließlich mit Anschober eine „Reisewarnung für Tirol“. Rechtliche Konsequenzen hat das keine, wie auch das Gesundheitsministerium auf Anfrage bestätigt.
Isolation in petto
Dabei sollen hinter den Kulissen bereits Vorbereitungen für Reisebeschränkungen getroffen worden sein, was jedoch nicht bestätigt wird. Ganz vom Tisch sind derartige Maßnahmen nicht: „Wir überprüfen die Lage laufend – Zusatzmaßnahmen sind jederzeit möglich“, so Anschober.
Vorerst bleibt es bei Appellen. Die Bundesregierung „warnt“ vor nicht notwendigen Reisen nach Tirol und „ersucht“, sie zu unterlassen. Sie „fordert“ alle auf, die sich in den vergangenen zwei Wochen in Tirol aufgehalten haben, sich testen zu lassen.
Und an alle, die von Tirol in ein anderes Bundesland reisen, ergeht die „dringende Aufforderung“, zuvor einen Corona-Test zu machen. Wer all das in den Wind schlägt, hat aber nichts zu befürchten.
Gleichzeitig erklärte Kurz, es sei nun „alles zu tun, um zu verhindern, dass sich diese Mutationen weiter ausbreiten.“ Vor einer Quarantäne gegen den Willen Tirols schreckte die Bundesregierung aber offenbar zurück.
Gesundheitsminister Anschober, der als Spitze des Gesundheitswesens dazu die rechtliche Handhabe hätte, geht damit wie auch der Bundeskanzler ein Risiko ein.
Sollte die südafrikanische Virusmutation tatsächlich von Tirol aus auf andere Bundesländer überspringen oder im Bundesland außer Kontrolle geraten, würde sich die Frage stellen: Warum wurde nicht konsequenter gehandelt?
Herr der Lage
Dieser Frage müsste sich dann auch Platter stellen. Der betonte am Montag erneut, dass man die Lage ernst nehme, zeigte sich aber überzeugt, diese im Griff zu haben: „Wir sind beim Sequenzieren Vorreiter in Österreich, weshalb uns auch die vollständigste und umfassendste Datenlage zur Verfügung steht.“
Auf dieser Basis würden nun gezielt weitere Schritte gegen eine Ausbreitung der Mutation gesetzt. Mit einem entsprechenden „Maßnahmenpaket“, auf das sich die schwarz-grüne Landesregierung verständigt hatte, preschte das Land am Montag voraus – noch ehe eine Lösung mit dem Bund gefunden war. „Das ist die Position Tirols. Das setzen wir jetzt so um“, erklärte eine Sprecherin des Landeshauptmanns.
Zu den neun Punkten, die etwa das Vorlegen eines negativen Antigen-Tests vor Betreten einer Ski-Gondel umfassen, zählt auch ein Appell an die Bevölkerung, „unnötige Fahrten zu unterlassen“.
Das Spiel um die Deutungshoheit war auch am späten Montagnachmittag noch nicht beendet. Der Aufruf der Bundesregierung zur allgemeinen Mobilitätseinschränkung sei „richtig, die Bezeichnung Reisewarnung innerhalb Österreichs aber falsch“, erklärte Platter. Worin sich Bund und Land Tirol einig sind: Gemeinsam wollen sie laufend die Lage besprechen.
AGES soll "Zahlen-Wirrwarr" aufklären
Nach unterschiedlichen kolportierten Zahlen von Mutationsfällen in Tirol hat das Land am Montag zudem die AGES ersucht, für Aufklärung im „Zahlen-Wirrwarr“ zu sorgen. Bis zuletzt sei von der AGES vorgegeben worden, dass eine Voll- oder Teilsequenzierung notwendig sei, um bestätigte Fälle auszuweisen, hieß es seitens des Landes. Da nun auch andere Zahlen im Umlauf seien, bat das Land die AGES um Aufklärung.
Laut Land gab es mit Stand Montagnachmittag 165 durch Vollsequenzierung bestätigte Südafrika-Fälle, davon seien sieben positiv. Bei weiteren 15 Proben liege noch keine Vollsequenzierung vor, aber eine durchgeführte Teilsequenzierung lege die Südafrika-Variante nahe. Bei weiteren 220 Fälle bestehe bisher nur ein PCR-Verdacht, diese Proben werden nun teilsequenziert. Damit gab es insgesamt rund 400 Fälle der Südafrika-Mutation, bei denen bisher teilweise aber nur der Verdacht besteht. Teilsequenzierte und vollsequenzierte Fälle gab es demnach 180.
Von den 15 teilsequenzierten Fällen und den 220 Verdachtsfällen waren rund 130 aktiv positiv, hieß es. Nach den bisherigen Erfahrungen werde sich der Großteil dieser Fälle bestätigen. Rund 80 Prozent dieser Fälle lassen sich auf Kontaktpersonen (K1 und K2) von bereits zuvor infizierten Personen zurückführen, hieß es. Alle aktiv Positiven seien abgesondert und in Isolation.
Harsche Kritik Söders
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kritisiert unterdessen Österreich für die Öffnungsschritte in der Corona-Politik, „obwohl die Inzidenz deutlich höher als in Bayern ist“. Söder sagte, man werde die Grenzkontrollen massiv verstärken. Jeglicher Grenzverkehr zum Einkaufen oder aus touristischen Zwecken müsse unterbleiben. Sollte die Gefahr wachsen, dürfen auch Grenzschließungen zu Tirol kein Tabu sein.
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