Gefahr durch Südafrika-Mutation: "Tirol einen Monat isolieren"
Der Blick von Wissenschaftern ist gemeinhin ein nüchterner. Umso beachtenswerter ist die eindringliche Warnung von Dorothee von Laer im KURIER-Gespräch in Hinblick auf die Infektionslage in Tirol, in dem es bislang die meisten Corona-Fälle mit der südafrikanischen Mutation gibt.
"Wir haben hier ein Riesenproblem mit dieser Variante. Es gibt einen starken Anstieg. Aber ich sehe kein Handeln der Politik hier in Tirol. Ich warte auf das zweite Ischgl", sagt sie.
VP-Landeshauptmann Günther Platter weist das zurück: „Wir haben die Situation am Dienstag und Mittwoch mit Experten und auch dem Bundeskanzler und dem Gesundheitsminister intensiv beraten.“
Seit dem Auftreten der britischen Virusmutation in Jochberg würde jeder positive PCR-Test im Land auf Auffälligkeiten untersucht, um ein genaueres Lagebild zu erhalten. „Kein anderes Bundesland hat so drastische Maßnahmen“, so Platter.
Von Laer, Leiterin der Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, hat in Eigenregie begonnen, auffällige PCR-Tests zu sequenzieren, die sie von einem für die Behörden arbeitenden Labor erhält. Die Ergebnisse spiegeln nur einen Ausschnitt des Geschehens wieder. Aber der hat es in sich.
Von in der Nacht auf Mittwoch 41 ausgewerteten Verdachtsproben waren 26 „B.1.351“ zuzuordnen, sechs dem ursprünglichen „Wildtyp“ und neun der britischen Variante. „Das ist also ein Verhältnis, das komplett anders ist, als im Rest von Österreich, wo ja die britische Variante auf dem Vormarsch ist.“
Ein Tiroler Untertyp
Ihr Team hat laut Standard zudem eine Entdeckung gemacht, wonach die südafrikanische Variante in Tirol bereits wieder zwei bis drei zusätzliche Mutationen aufweist. Ob das eine biologische Bedeutung hat, ist vorerst noch unklar.
Im Labor von Laer wurden in den vergangenen Tagen bei drei Viertel der positiven PCR-Tests, bei denen Mutationsverdacht bestand, die südafrikanische Variante detektiert.
Auf alle positiven PCR-Tests des Partnerlabors umgelegt, sind davon bereits 20 Prozent der Mutation zuzuschreiben. „Hier muss eine Taskforce von Fachleuten zusammengetrommelt werden, die sich dieser Bedrohung jetzt entgegenstellt“, fordert die Medizinerin.
Im Mutationenvergleich macht die südafrikanische Variante den Forschern aktuell noch mehr Sorgen als die britische. Die gilt zwar als ansteckender als das ursprüngliche Virus und könnte das Infektionsgeschehen gefährlich beschleunigen.
Bei „B.1.351“ mehren sich jedoch die Hinweise, dass sich damit Menschen erneut infizieren könnten, die Corona bereits durchgemacht haben und Impfungen deutlich weniger Schutz gegen die Variante bieten.
Umso wichtiger ist es für von Laer, die Ausbreitung möglichst zu verhindern oder zu bremsen.
Schwere Vorwürfe
Beim Land Tirol sieht sie hier aber zu wenig Anstrengungen und erhebt schwere Vorwürfe: „Das Land Tirol mauert wieder und verschleiert.“ Sie habe bereits vor einer Woche angeboten, Sequenzierungen durchzuführen.
„Stattdessen werden die Proben weiter an die AGES geschickt, von wo sie dann nach ein bis zwei Wochen wiederkommen. Wir sequenzieren hier in zwei bis drei Tagen“, erklärt die Virologin.
Geht es nach ihr, müssten drastische Maßnahmen ergriffen werden, über die von einer Taskforce beraten werden solle. „Aber ich bin der Meinung, man müsste Tirol für ein Monat isolieren – vom Rest von Österreich und dem Ausland.“
In dieser Zeit müsste die Tiroler Bevölkerung, um alle positiven Fälle aus dem Verkehr zu ziehen, so weit es geht, zwei Mal im Abstand von drei bis vier Tagen durchgetestet werden. „Und zwar verpflichtend“, betont die Expertin.
„Jetzt das ganze Land unter Quarantäne zu stellen gibt die Datenlage nicht her“, sagt hingegen Landeshauptmann Platter und verweist auf die 7-Tage-Inzidenz, bei der Tirol unter dem Österreichschnitt liege. Er stellt aber auch klar: „Die Lage muss von Tag zu Tag neu beurteilt werden.“
Das Land will nun das Contacttracing noch einmal verstärken und plant in stark betroffenen Bezirken wie Schwaz und Lienz weitere Massentestungen – allerdings freiwillige. Zudem soll der Schutz der Altersheime noch einmal erhöht werden.
Von Laer ist mit ihren Sorgen indes nicht alleine. Der Prognoseforscher Peter Klimek plädierte in der Presse ebenfalls für Reisebeschränkungen zwischen Tirol und den Ländern. Die Datenlage zur Verbreitung der Virusmutationen in Österreich steht noch auf schwachen Beinen. Für den Genetiker Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) steht nach einer Auswertung aber fest:
„Die bisherigen Daten sprechen dafür, dass Tirol ein Problem mit der Südafrika-Variante hat.“ Tirols Landeshauptmann bestreitet das nicht, relativiert aber auch: „Je mehr man testet, desto mehr Auffälligkeiten findet man.“
Kein eingeengter Blick
Dass die südafrikanische Virusmutation nur deshalb so oft in Tirol gefunden wurde, weil möglicherweise hier besonders genau hingeschaut wurde, schließt Genom-Experte Bergthaler jedoch aus:
„Das erklärt es nicht. Die Sequenzierungsanstrengungen sind nicht auf Tirol alleine gerichtet. Es ist sehr klar, dass wir die Südafrika-Variante kaum außerhalb von Tirol sehen.“
Zur Frage, ob nun ein rasches Eindämmen in Tirol notwendig ist, meint der Wissenschafter: „Wenn sich das alles bestätigt, dann wäre das sehr wichtig.“
Kommentare