Spezialeinheiten-Chef: "Streifenpolizisten sind die Krone der Schöpfung"
Eine Halbzeit. Plus Verlängerung. So lange dauert das Gespräch mit Ernst Albrecht, fast zwei Jahrzehnte Kommandant der Wiener Spezialeinheit WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung), an diesem Sommertag.
Vor gut einem Jahr wechselte der 59-Jährige in die Bundespolizeidirektion des Innenministeriums.
"Ich spiele in einem neuen Stadion, aber immer noch den gleichen Sport. Man steht nicht mehr an der Linie bei einem Verein, sondern beim Nationalteam", erklärt Albrecht. Es wird nicht der letzte Fußballvergleich des Gesprächs bleiben.
Doch was macht jener Mann, der für viele das Gesicht der WEGA war, nun eigentlich genau?
Mit Albrechts symbolischen "Stadion" ist die Steuerung der Spezial- und Unterstützungseinheiten für ganz Österreich gemeint. Dazu zählen neben der WEGA auch die Schnellen Reaktionskräfte (SRK), die es seit 2021 in allen Bundesländern gibt.
Nach Terroranschlag gegründet
Zur Erklärung: Die SRK setzen sich aus den Schnellen Interventionsgruppen (SIG) und den Bereitschaftseinheiten (BE) zusammen. Die neuen Einheiten wurden nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien, bei dem vier Menschen starben, nach Vorbild des WEGA-Modells gegründet. Jener Truppe, die es innerhalb von nur neun Minuten schaffte, die Terrorlage zu beenden.
"Die Frage, die sich damals gestellt hat, war: Wie hätte das Szenario ausgeschaut, wenn es außerhalb von Wien passiert wäre? Da muss man ehrlich sagen, gab es zwischen der Anti-Terroreinheit Cobra und dem Regeldienst, einfach Luft in den Bundesländern", erklärt Albrecht. Nachsatz: "Das ist keine Mini-WEGA in den Bundesländern. Die WEGA war nur das Muster."
Streifenpolizist vs. Sondereinheit
Eine klare Lanze bricht Albrecht dabei für den Streifenpolizist: "Für mich ist der Streifenpolizist, die Krone der Schöpfung. Weil er einfach alles machen muss. Schnell reagieren, flexibel sein – aber irgendwann stoßen auch diese Kolleginnen und Kollegen an ihre Grenzen. Weil irgendwann die Notwendigkeit da ist, einen Täter zu überwältigen, oder eine taktische Konzeption anzuwenden."
400 SRK-Polizisten
Hier kommen die mittlerweile 400 spezifisch ausgebildeten Polizisten der SRK zum Einsatz. Für die zwar die Bundespolizeidirektion die Fachaufsicht hat, Richtlinien festlegt und Ausrüstung beschafft. Laut Albrecht quasi die Nervenzentrale, wo alle Fäden zusammenlaufen. Unterstellt sind sie aber den Einsatzabteilungen des jeweiligen Bundeslandes.
"Man könnte sie als eine Art taktische große Schwestern und Brüder für Streifenpolizisten sehen. Das hat auch die Terrornacht von Wien gezeigt. Sowohl Streifenpolizisten, als auch WEGA waren enorm schnell vor Ort. Aber taktisch waren die WEGA wie ein warmer Regen für die Streife", sagt Albrecht.
Kein Rambo-Nimbus
Dass die WEGA dabei in der Vergangenheit bei Wiener Streifenpolizisten nicht immer nur mit Liebe empfangen wurde, ist Albrecht, der von 1995 bis 2023 Teil der Spezialeinheit war, durchaus bewusst.
"Aber das liegt lange zurück, wo man der WEGA noch den Nimbus von Rambos unterstellt hat. Bei den SRK geht es um reine Knochenarbeit. Streife fahren, vor Ort sein, Kollegen unterstützen, sich anbieten. Wir legen Wert darauf, dass sie nicht mit dem Schlauchschal vor dem Gesicht herumfahren und sich selbst bewundern, das brauchen wir nicht. Sie sollen auf Augenhöhe mit Leuten agieren."
Bleibt die Frage, ob der "normale Streifenpolizist" in den Bundesländern nicht mehr ausreicht?
"Ich will das nicht ausreizen und sagen, die Gewalt und die Gefahr steigt. Aber klar ist, dass die Anforderungen für Polizisten vielfältiger geworden sind. Oder anders formuliert: Vom Friedensrichter zum ultimativen Endgegner, stellen wir mittlerweile alles dar. Und das wird am Ende für die Streifenkollegen natürlich viel", erklärt der 59-Jährige, der die Entwicklung in der Polizei wieder in Richtung Spezialist, denn Generalist verortet.
"2004/2005 bei der damaligen Reform gab es diesen Trend zum Generalisten. Aber dass jeder alles kann und macht, funktioniert einfach nicht."
Und dann kommt er wieder, der Fußballvergleich: "Beim Fußball kann der Tormann auch nicht am Feld stehen und Innen- und Außenverteidiger gleichzeitig spielen."
Was der Spezialist dennoch brauchen würde, ist ein Generalisten-Hirn. "Selbst als Spezialpolizist darf man sich nie zu schade sein, jemanden den Weg zu erklären."
Dass die SRK in den Bundesländern dabei vor allem in Ballungsräumen zum Einsatz kommen, ergebe sich laut dem Ex-WEGA-Chef allein aus einem Grund heraus: Anonymität.
"Es gibt Polizeidienststellen in Österreich, wo erfahrungsgemäß der Polizist seine Pappenheimer einfach kennt. Ich will keine Stereotypen bedienen, aber wenn der Huber-Bauer mit der Heugabel durchdreht, braucht es keine SIG, sondern dann kennt der Polizist den Betroffenen so gut, dass er ganz anders eingegriffen kann, weil es ganz andere Möglichkeiten der Kommunikation gibt."
Verhältnis zur Cobra
Als oberster Chef der Spezialkräfte gilt es nun wohl nur mehr zu klären, wie eigentlich das Verhältnis zur Anti-Terroreinheit Cobra ist? "Früher waren WEGA und Cobra wie Hund und Katz. Aber nun ist das ganz anders. Das hängt auch mit der jahrelangen Zusammenarbeit und dem gegenseitigen Respekt zusammen. Mittlerweile wird auch zwischen den Führungskräften herumgeblödelt", sagt Albrecht.
Um dann in typischer Manier zu enden: "In etwa so, wie zwischen Herbert Prohaska und Hans Krankl."
WEGA
Die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung ist eine Spezialeinheit, die es in dieser Form nur in Wien gibt. Kernaufgaben sind Einsätze bei Demonstrationen und Großveranstaltungen, Einsätze mit erhöhtem Risiko und der tägliche Streifendienst im „Sektorenwagen“. Sogar eine eigene Fernsehsendung wurde den Spezialisten gewidmet.
SRK
sind die Schnellen Reaktionskräfte (SRK), die es seit 2021 in allen Bundesländern gibt. Sie setzen sich aus den Schnellen Interventionsgruppen (SIG) und den Bereitschaftseinheiten (BE) zusammen. Die neuen Einheiten wurden nach dem Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien, bei dem vier Menschen starben, nach Vorbild des WEGA-Modells gegründet. Sie sollen die Lücke zwischen Streifendienst und der Spezialeinheit Cobra in den Bundesländern schließen.
SIG
Zu den Aufgaben der Schnellen Interventionsgruppen (SIG) zählen unter anderem: Streifendienst, Einsätze bei besonders gefährlichen Personen, Alarmfahndungen, Sonderlagen, Einsätze, die Sondereinsatzmittel erfordern.
BE
Bereitschaftseinheit. Auch hier liegt das Vorbild in Wien, wo die erste Bereitschaftseinheit im Jahr 2012 eingeführt wurde. Die Einsatzgebiete sind bezirksübergreifend und liegen bei Demonstrationen, Großveranstaltungen (etwa dem GTI-Treffen am Wörthersee) oder Fußballspielen.
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