Kriminalität: Was hochrangige Polizisten zur Gefahrenlage sagen

Sektionschef Karl Hutter, der seit Karl Blecha bzw. seit 1989 schon 17 Ressortchefs kommen und wieder gehen sah, ist für das Personalwesen im Innenministerium verantwortlich. Gemeinsam mit dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl stellte er sich heute den Fragen des KURIER, der Krone und der Austria Presse Agentur:
Braucht Österreich mehr Polizisten und Polizistinnen?
"Die Bevölkerung wächst, also wächst auch die Polizei", erklärt dazu Sektionschef Hutter. "Bewerbungen und Polizeischüler brauchen wir immer, vor allem derzeit, wo wir höhere Abgänge kompensieren müssen. Wir haben aber ein Allzeithoch von über 32.600 im Polizeistand." Zum Vergleich: Im Jahr 2014 waren es 6.000 weniger.
Einige Wiener Bezirksvorsteher fordern vehement mehr Polizei für ihren Bezirk. Warum bekommen sie die nicht?
Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl versucht zu relativieren: Polizeiarbeit in einem Bezirk werde längst nicht mehr nur durch die Polizisten des eigenen Bezirkes bewältigt. Moderne Polizeiarbeit basiere darauf, dass mehrere Sondereinheiten wie WEGA, Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität, Bereitschaftseinheit, Diensthundeabteilung sowie die Einsatzeinheiten je nach Lage die Bezirkskräfte unterstützen. "Nicht zuletzt deshalb sind wir in Notfällen im Schnitt in zwei Minuten am Einsatzort. Oftmals leisten wir dort als schnellste Blaulichtorganisation auch Erste Hilfe, wodurch regelmäßig Menschenleben gerettet werden."
Stichwort "Bandenkriminalität in Wien".
Dieses Stichwort hören die beiden Polizisten nicht gern. Sie sprechen von "Auseinandersetzungen ethnischer Gruppierungen". Die wären nicht organisiert wie bei Banden. Auch geht es - wie am Sonntag bei der Messerattacke in Favoriten - nicht immer um ethnische Konflikte.
Stichwort "Messertrageverbot": Würde dieses Verbot die Arbeit der Polizei erschweren?
Das Gegenteil wäre der Fall, betont Gerhard Pürstl. Dann wäre die Gesetzeslage klar. Erfahrungen am Wiener Praterstern und in Favoriten würden auch bestätigen, dass dadurch die Zahl der Amtshandlungen bzw. der Gesetzesverstöße reduziert werden kann.
Stimmt es, dass die Zahl der verletzten Polizisten nach Fremdeinwirkung steigt?
Das stimmt. Aus einer internen Statistik des Innenministeriums geht hervor: 2012 wurden 924 Beamte verletzt, 2020 waren es 937, im Vorjahr waren es deutlich mehr: 1.200. Allerdings steigt auch die Gesamtzahl an Polizisten, was bei einer solchen Betrachtung ebenso wichtig ist.

Sektionschef Karl Hutter
Stimmt es, dass aufgrund der Exponiertheit des Polizeiberufs immer mehr Polizisten und Polizisten von sich aus kündigen?
Es stimmt, dass von den rund 1.000 Abgängen österreichweit 105 Beamte freiwillig den Dienst quittiert haben, bestätigt Sektionschef Hutter. Allerdings wäre die überwiegende Mehrheit in den Polizeischulen des Landes registriert worden: "Gleich zu Beginn, weil die klaren Regeln in einer Polizeischule nicht jedem passen oder kurz vor der Dienstprüfung, die doch eine gewisse Hürde darstellen soll." Als ein Problem erkannt wurden die "unvorhergesehenen Überstunden". Damit hätten zunehmend mehr junge Kollegen und Kolleginnen ein Problem. "Jeder Abgang ist schmerzlich", betont Karl Hutter, "kostet doch die Ausbildung eines einzigen Polizeischülers rund 100.000 Euro".
In der Pandemie ist die Zahl der Aufnahmen deutlich gesunken. Wie ist das aktuell?
Das "Attraktivierungs-Paket" zeige Wirkung, vor allem die Aufhebung des Tätowierungsverbots, wie ein inzwischen selbst tätowierter Sektionschef anmerkt. Mehr als 10.000 Menschen hätten sich im ersten Halbjahr bei der Polizei beworben. In Wien waren es sogar fast drei Mal so viele wie in den Jahren zuvor. Einen gewissen Pull-Effekt erzeugen auch die Übernahme der Kosten für das Klimaticket (bis 1.095 Euro) und den Führerschein B (bis 1.400 Euro) vor. 1.000 Euro winken darüber hinaus jedem Polizisten, der einen anderen anwirbt.

Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl
Was ist eigentlich mit der Werbeoffensive in Wien, mit der man mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst anwerben wollte?
Sie läuft weiterhin, sagt Polizeipräsident Pürstl. In der Praxis habe sich jedoch gezeigt, dass für manchen Bewerber sprachliche, kulturelle und/oder Wissensanforderungen zu hoch sind: "Und da können und wollen wir keine Konzessionen machen."
Gibt es etwas, was sich der Spitzenbeamte im BMI und der Wiener Polizeipräsident für den bevorstehenden Wahlkampf wünschen?
Beide wünschen sich "eine objektivere Diskussion rund um das Polizeipersonal".
Und ihr Wunsch an die neue Bundesregierung?
"Dass die Beschäftigungsoffensive fortgesetzt wird", erklärt Gerhard Pürstl. Sein Kollege Hutter nickt.
Kommentare