Polizei und Grüne: "Ein traditionell schwieriges Verhältnis"
In seinem Brotberuf ist der Wiener Georg Bürstmayr Rechtsanwalt – spezialisiert auf Asyl und Menschenrechte. In seiner Jugend war er Teil der autonomen Hausbesetzer-Szene in Berlin. Sein Blick auf die Polizei ist kritisch. Doch er hat sich geändert. Seit heuer sitzt Bürstmayr für die Grünen im Parlament und ist Sicherheitssprecher.
KURIER: Vor Kurzem tauchte ein Video auf, in dem mehrere Polizisten einen Mann in einem Wettcafe verprügeln. Ist das nicht ein Fall, der Sie als Jurist brennend interessieren muss?
Bürstmayr: Ich bin Anfang der 2000er-Jahre aus den Maßnahmenbeschwerden ausgestiegen, weil ich Leiter einer Kommission des Menschenrechtsbeirats wurde. Aber das sind unerfreuliche Verfahren. Die ziehen sich wie ein Kaugummi. Wenn man so eine Beschwerde gewinnt, hat der Klient zwei Jahre später eine Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes – die kann er sich an der Wand hängen. Es gibt keinen Schadenersatz. Man hat im Namen der Republik, dass eine Amtshandlung vor langer Zeit rechtswidrig war... das ist unbefriedigend, dass das bei uns so lange dauert. Weil dann lernt niemand mehr daraus.
Sind lange Verfahren der Regelfall?
Es ist mir einmal gelungen, für eine Betroffene so eine Entscheidung relativ rasch herbeizuführen und ich habe an meiner Klientin gemerkt, wie wichtig das war. Das war eine Gegenkundgebung zu einer Identitären-Kundgebung am Wiener Gürtel und die Polizei hat von links nach rechts mit Pfefferspray die Straße freigekärchert. Sie ist gestanden im Sommerkleid, damit sie nicht verwechselt wird mit Autonomen und hat auf einmal eine volle Ladung Pfefferspray im Gesicht gehabt. Und das war aber ein Fall, wo die LPD Wien zu meiner Überraschung in der ersten Verhandlung zugestanden hat, das war rechtswidrig.
Bei den Verfahren nach der Klimademo beharrten Polizisten trotz Videos auf ihren Aussagen.
Das ist fast ein Stück Kultur bei der Polizei: Wir müssen Recht haben. Es kann nicht sein, dass wir was falsch machen. Das ist ein ganz ein schlechter Ansatz für jede Organisation. Jetzt macht unsere Polizei im internationalen Vergleich wahnsinnig viel richtig – aber bei Tausenden Einsätzen kann nicht alles gut gehen.
Aus einer Anfragebeantwortung des Innenministers geht hervor, dass es seit 2018 350 Misshandlungsvorwürfe gegen Polizisten gab. Dem stehen drei Suspendierungen gegenüber.
Für mich ist das ein bedenkliches Zeichen, wenn über viele Jahre ganz, ganz wenig Reaktion da ist. Ich weiß gar nicht, wann bei uns das letzte Mal ein Polizeibeamter verurteilt worden ist. Es ist extrem selten. Das liegt auch daran, dass die Staatsanwaltschaft mit der Polizei aufs Engste zusammenarbeitet. Das sind ihre wichtigsten Partner. Ausgerechnet die anzuklagen, ist eine ganz schwierige Geschichte.
Als der Wiener Vize-Polizeichef Michael Lepuschitz in einem Rundmail an die Kollegen schrieb, dass keine Übergriffe geduldet werden, geriet er scharf in die Kritik. Speziell die Gewerkschafter haben das als Angriff gesehen.
Ich würde nicht jedes Wort einer Gewerkschaft auf die Goldwaage legen. Das ist vor allem die AUF (Freiheitliche Gewerkschafter, Anm.). Und in deren Weltbild passt das einfach nicht. Ich habe schon das Gefühl, dass bei der Polizei viel Grundverständnis für diese Maßnahmen vorhanden. Es gibt sehr viele Beamte, die sagen: Ich hab keine Lust, von so einem Einzelfall mit reingezogen zu werden. Das fällt auf die ganze Truppe zurück.
Im Innenministerium wird an einer Meldestelle für Polizeigewalt gearbeitet. Wie muss die aussehen?
Was es braucht, ist eine polizeiliche Einheit, die von der Arbeitshypothese ausgeht: Es ist möglich, dass sich Kollegen rechtswidrig oder im Einzelfall sogar kriminell verhalten. Und dieser Möglichkeit gehen wir jetzt nach und zwar g’schwind, mit allem, was wir haben. Also mit den ganzen Instrumentarien, wie wir das bei anderen Formen der Kriminalität auch machen. Es braucht eine enge Kooperation mit der Staatsanwaltschaft – da wird man sich anschauen müssen, mit welcher. Im Idealfall mit einer spezialisierten Staatsanwaltschaft, weil es eine sehr eigene Geschichte ist. Aber "unabhängig, rasch und gründlich" skizziert den Kern der Geschichte am besten.
Die Meldestelle wird voraussichtlich im BAK (Bundesamt zur Korruptionsprävention und –bekämpfung; Anm.) angesiedelt, ist also Teil des Innenministeriums. Könnte das ein Problem werden?
Ja. Das ist auch jenen bewusst, die dieses Projekt umsetzen. Wenn man das anders lösen wollte, müsste man eine zweite Polizei schaffen. Und das ist etwas, was man in Österreich zu vermeiden versucht. Man wird ein paar Schritte unternehmen müssen, um die Unabhängigkeit zu garantieren.
Welche?
Weisungsfreiheit, weitgehende Personalhoheit, möglichst Budgethoheit. Eine Art Informations-Firewall rund um diese Stelle, damit nichts in andere Einheiten des Ministeriums hinausgeht. Unabhängigkeit heißt auch, dass ich mir die Leute aussuchen kann.
Wie viele Ressourcen braucht es?
Ein, zwei Dutzend Leute werden wir schon brauchen in Wien. Dann muss man sich auch überlegen: Wie machen wir das in den Bundesländern. Machen wir dort Außenstellen? Der Großteil der Vorwürfe wird aber in Wien passieren. Einfach weil es hier die meisten kritischen Einsätze gibt.
Wie weit sollten Organisationen wie Amnesty International oder das Boltzmann Institut eingebunden sein?
Bei der Konzeption sollten sie eingebunden sein. Und man sollte den laufenden Betrieb mit der Zivilgesellschaft begleiten als Spiegel. Im Regierungsprogramm haben wir die Formulierung „multiprofessionell“. Das heißt, dass in dieser Stelle nicht nur Polizisten arbeiten sollten, sondern auch Sozialarbeiter, Psychologen, Mediziner. Da ist einiges denkbar und das halte ich auch für ganz wichtig um einen größeren Blickwinkel zu kriegen.
Würden Sie einem Klienten raten, einen Polizisten anzuzeigen?
Ich würde ihm das nicht blindlings raten. Ich würde seine eigene Situation mit ihm abklären und den Sachverhalt. Gibt es Zeugen? Videos? Wo war das? Wie steht er selber da? Ist er darauf eingestellt, dass so ein Verfahren ein Jahr dauern kann? Dass er im Worst Case als Beschuldigter geführt wird… Im Moment ist es nicht so, dass man sagen kann: ,Geh hin, mach eine Anzeige. Dir passiert nichts.' Das ist kein österreichisches Spezifikum. Aber auch kein Idealzustand.
Mehren sich Polizeiübergriffe?
Nein, ich glaube, die Videos werden mehr. Das ist fast schon ein Reflex. Und es gibt mehr Überwachungskameras, die du auswerten kannst. Grundlegendes Problem der Polizeiarbeit ist ja, dass jeder einzelne Polizist in Wahrheit vor einer unmöglichen Anforderung steht. Er muss das Recht durchsetzen auch bei Menschen, die sich wehren. Er muss unter Umständen Waffen einsetzen. Man bräuchte schon die Verfassung eines Zen-Buddhisten, um das tun zu können, ohne dass der Adrenalinspiegel steigt. Und in der Sekunde, wo der Widerstand überwunden ist, muss der Polizist umschalten. Er ist für Leib, Leben und Gesundheit der Person verantwortlich. Das sind sehr hohe Anforderungen an das Individuum Polizist. Das musst du einmal können… Ich könnte es nicht.
Wie viel ist von der Ära Kickl übrig geblieben?
Nicht so viel. Aber es sind ein paar Dämme gebrochen. Es waren Dinge tabu, die es dann nicht mehr waren. Aber die schon lange da waren…. Etwa ein bestimmter rassistischer Sprachgebrauch. Das wieder zurück zu drängen dauert. Da erlebe ich den Nehammer deutlich anders. Als Die Vorfälle in Favoriten Thema geworden sind, die Verve mit der er da reingegangen ist: ,Die Polizei hat das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zu schützen und das tun wir auch….' Das hätten Sie von einem Kickl nicht gehört.
Wie tun sich Polizisten mit Grünen?
Das ist ein traditionell schwieriges Verhältnis. Das geht zurück auf unsere Geschichte, Stichwort Hainburg. An der Wurzel der Grünen liegt zum Teil eine massive Auseinandersetzung mit der Polizei. Das hat das Verhältnis bis jetzt belastet. Das würde ich gerne ändern. Das sage ich jetzt als Grüner: Ein Staat ohne Polizei kann nicht existieren.
Wie ist Ihr persönlicher Zugang zur Polizei?
Vor unserem Gespräch habe ich einiges Revue passieren lassen…. dass ich zum Sicherheitssprecher der Grünen werde, ist irgendwie ironisch. Mit 25 Jahren war ich deutlich auf der anderen Seite.
Was meinen Sie?
Da hab‘ ich mich ein Jahr lang in Westberlin in der Szene von Hausbesetzern und Autonomen herumgetrieben. Damals hätte ich mich schon als dezidierten Gegner der Polizei bezeichnet. Das waren „die anderen“. Nicht unbedingt die Feinde, aber schon sehr weit weg. Es gab ein ganz profundes Misstrauen. Das hat sich mit den Jahren im Menschenrechtsbeirat deutlich gewandelt. Ich habe sehr viele grundvernünftige Polizeibeamte kennen gelernt und hatte die Gelegenheit, mit ihnen zu reden. Da sind sehr reflektierte Menschen dabei. Diese Erfahrung ist nicht selbstverständlich. Vor drei, vier Wochen bei den Übergriffen in Favoriten… am dritten Tag der Demonstrationen bin ich dort auch hingefahren. Weil ich mitbekommen habe, hier gibt es nicht nur Brösel, sondern auch Beschwerden, dass die Polizei zu wenig eingreift…. Und was ich da wahrgenommen habe: Ein großes Aufgebot der Polizei hat linke Demonstrantinnen und Demonstranten geschützt vor den Übergriffen von Nationalisten und Rechtsextremen. Das hätte dem Bild, das ich als junger Mensch von der Polizei hatte, diametral widersprochen. Mit 25 war das nicht in meiner Vorstellungswelt. Da waren das die Bullen.
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