Extremisten würden digitale Medien sehr geschickt nutzen, warnt die Leiterin der Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI). Was man tun kann und wie schwierig Forschung in diesem Feld ist.
Waren es früher radikale Prediger in Moscheen, sind es heute vor allem islamistische Influencer: Der Politische Islam hat viele Gesichter – und viele Wege, in Europa Anhänger zu erreichen. Das zeigte sich zuletzt etwa beim mutmaßlichen Attentäter von Villach: Wie nun bekannt wurde, soll er sich ausschließlich über das Internet radikalisiert haben (siehe auch unten).
Eine neue Studie der Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI) zeigt, wie internationale Akteure in Österreich Einfluss nehmen: etwa die Muslimbruderschaft, die aus Ägypten stammt, oder die Millî-Görüş-Bewegung aus der Türkei. Beide konnten ihre antiwestlichen Botschaften lange relativ ungehindert verbreiten. Doch seit wann sind diese Organisationen in Österreich aktiv? Auf welchen Kanälen? Und wie kann man dagegen vorgehen? Der KURIER sprach mit DPI-Leiterin Lisa Fellhofer.
KURIER: Wann konnten Bewegungen wie Millî Görüş oder die Muslimbruderschaft hier Fuß fassen?
Fellhofer: Sie sind circa seit den 1960er-Jahren in Europa aktiv. Das hängt auch mit der Gastarbeitermigration zusammen. Historisch gesehen war Österreich etwa für viele Türken ein Zielland. Gleichzeitig muss man bedenken, dass einige der Bewegungen in ihren Herkunftsländern politisch verfolgt wurden. Ideologen der Muslimbruderschaft saßen etwa in Ägypten in Haft, oft unter schwierigen Bedingungen. Europa war für viele ein sicherer Hafen, wo man seine Religion frei ausleben konnte. Damit erklärt sich die Präsenz, die sie in Europa – auch hier – haben.
Fällt uns unser offenes Weltbild quasi auf den Kopf?
Man kann sich hier auf das Toleranzparadoxon von Karl Popper beziehen: Uneingeschränkte Toleranz führt zum Verschwinden der Toleranz. Auch andere Extremismen – Rechtsextremismus oder Linksextremismus – stellen die Toleranz der Gesellschaft auf die Probe. Es ist ein ständiges gesellschaftliches Ausverhandeln, was geht und was nicht geht.
Welche Rolle spielt die Flüchtlingskrise von 2015?
Vor rund zehn Jahren sind viele Syrer und Afghanen, aber auch Personen mit anderen Hintergründen gekommen. Wie viele bedenklichen Ideen anhängen, ist noch nicht statistisch feststellbar. Man kann nicht pauschal sagen, dass etwa alle Syrer islamistischem Gedankengut anhängen – das wäre zu einfach. Es gibt natürlich auch Personen, die das ablehnen.
Wo werden mehr problematische Inhalte verbreitet: In Moscheen oder im Internet?
Das hängt davon ab, von welcher Zielgruppe wir sprechen. Für die Jungen sind die digitalen Medien wichtiger. Bei Älteren ist es weiterhin der Moscheeverein oder eine Organisation. Wir sehen auch eine Mischung des Digitalen im Analogen: Zum Beispiel hat ein Moscheeverein in der Steiermark vor einigen Wochen einen problematischen Influencer eingeladen.
Wie groß ist das Problem der Influencer im Internet?
Die digitalen Medien wurden von Extremisten als Instrument entdeckt, Botschaften niederschwellig zu verbreiten. Man erreicht in sehr kurzer Zeit sehr viel mehr Menschen. Ein weiteres Problem sind die Echo-Kammern: Viele Algorithmen auf Social Media spiegeln nur meine Meinung wider. Aber gerade die Fähigkeit, andere Meinungen zu diskutieren, ist ein Grundbestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Das nützen islamistische Akteure, um Stimmung gegen das westliche Lebensmodell, gegen den demokratischen Rechtsstaat zu machen. Sie inszenieren sich auch entsprechend.
In Deutschland gibt es zum Beispiel Influencer-Gruppen, die strikt nach Geschlechtern getrennte Demonstrationen mit mehr als 2.000 Menschen in Hamburg organisiert haben. Entsprechende Videos davon wurden professionell für die eigene Propaganda in den sozialen Medien genutzt. Viele der Demonstranten wurden unterschwellig mit dem Spin der „Diskriminierung“ abgeholt und dann zu islamistischen Inhalten geleitet. Unter anderem wird offensiv ein Kalifat als Ziel und Gegenmodell zum Westen propagiert.
Der Begriff „Islamophobie“ wird immer noch verwendet, um Kritik abzuwehren?
Wir sehen durchaus, dass es diesen Mechanismus weiterhin gibt, Kritik mit dem Vorwurf zu begegnen, dass das diskriminierend wäre. Das Problem ist, dass tatsächliche Diskriminierung, der Muslime ja ausgesetzt sind, untergeht.
So gesehen müsste es ja auch im Interesse der Mehrheit der Muslime sein, gegen Extremisten vorzugehen?
Im Wesentlichen: Ja. Auch deswegen, weil Akteure des Politischen Islam versuchen, äußerst strenge Standards vorzugeben, die dann andere Muslime in ihrer freien Religionsausübung einschränken und Segregation fördern. Dadurch wird auch ein Druck auf die muslimische Community aufgebaut, sich diesen sehr strengen Vorgaben zu beugen. Und das kann es nicht sein in einer freien und pluralistischen Gesellschaft.
Die DPI hat den Auftrag, zu forschen und zu dokumentieren. Maßnahmen sind bei anderen Stellen angesiedelt. Der erste Schritt ist, dass man ein Bewusstsein entwickelt, was passiert und welche Narrative verbreitet werden. Beim Rechtsextremismus weiß man ja auch, was für Symbole es gibt, um dann zu reagieren.
Wenn Wissenschafter für die DPI zum Politischen Islam forschen und Kritik nicht gerne gehört wird: Finden Sie dann Ansprechpartner in den Organisationen?
Es kommt darauf an, welchen methodischen Ansatz man wählt. Kein Problem ist es bei Studien auf Basis von offenen Quellen, etwa Schriften von Vordenkern. Es gab auch Fälle, wo Freitagspredigten auf Youtube hochgeladen wurden. Das betraf eine Moscheeneinrichtung in Wien, die ideologisch in die Nähe der Muslimbruderschaft zu rücken ist. Das wurde dann analysiert. Für Studien, für die Interviews mit Vereinsmitgliedern oder mit Moscheebesuchern benötigt werden: Das ist eher schwierig.
Es gab von einzelnen Verbänden Kritik, dass wir nur über sie, aber nicht mit ihnen Studien machen. Da haben wir das Gespräch gesucht, etwa mit den Islamischen Föderationen (IF). Wir wollten eine Studie mit ihnen machen, um auch deren interne Sichtweise aufzugreifen. Am Ende wurde dieses Vorhaben nicht umgesetzt, weil die Föderationen gesagt haben, sie möchten das nicht.
Die IF kritisierte damals, die DPI habe sich nicht an Vereinbarungen gehalten.
Sie sagten, dass die DPI Studien über sie ohne ihr Wissen veröffentlicht hätte – sie wurden aber informiert. Das letzte Wort, was in einer Studie steht, haben die Studienautoren – aber nicht die Organisation, die es betrifft. Dass man am Ende als Organisation in Studienergebnisse eingreifen möchte, geht nicht, das ist ein No-Go in der Wissenschaft. Das haben wir auch kommuniziert. Und das wurde dann eben nicht akzeptiert.
Kann man sagen, aus welchen Ländern Akteure auch in Österreich aktiv sind?
Die Türkei ist ein gutes Beispiel, an dem deutlich wird, wie Religion als Soft-Power-Instrument in der Außenpolitik eingesetzt wird. Weitere Beispiele sind etwa arabische Golfstaaten, der Iran oder Afghanistan. Nicht immer ist alles von staatlicher Seite her gelenkt, zu den transnationalen Akteuren zählen etwa die Muslimbruderschaft.
Zurück zur Gastarbeiterbewegung: Was haben wir seit damals gelernt?
Integration ist etwas, das Zeit braucht. Und das beide Seiten betrifft: die Aufnahmegesellschaft, aber schon auch die Zugezogenen. Wenn Extremisten eine Annäherung von vornherein verunmöglichen, wird es schwierig. Wenn man versucht, Jugendliche, die in der dritten Generation hier sind, von unserem Gesellschaftsmodell wegzukriegen, dann haben wir ein Problem.
Der Anschlag in Villach: Meist sind es nicht mehr die früher so gefürchteten „Hinterhofmoscheen“, in denen sich junge Männer radikalisieren. Mittlerweile geschieht dies oft online über Tiktok oder Youtube. Wie etwa beim mutmaßlichen Attentäter von Villach: Am 15. Februar soll der Syrer im Namen der Terrororganisation IS („Islamischer Staat“) in der Innenstadt von Villach auf Menschen eingestochen haben.
Rasche Radikalisierung online: Ein 14-Jähriger starb, fünf weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der 23-jährige Tatverdächtige war 2019 nach Österreich gekommen. Erst einige Wochen vor dem Anschlag dürfte er begonnen haben, sich gezielt für den IS zu interessieren: Er fand zahlreiche Videos auf Tiktok und Youtube – Kontakte zu einem Prediger oder zu einer Moschee soll es keine gegeben haben. Einen Anschlag zu begehen, dürfte er erst wenige Tage vor der Tat beschlossen haben: Als er beim Googeln auf ein neues IS-Video stieß.
Weltweite Vernetzung: Terrororganisationen oder Influencer können ihre radikalen Inhalte heutzutage also problemlos über alle Grenzen hinweg auf der ganzen Welt verbreiten. Auch mutmaßliche Attentäter können sich mühelos weltweit vernetzen. Beran A. etwa soll in seinem Kinderzimmer in Ternitz in Niederösterreich Pläne für einen Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien geschmiedet haben. Außerdem dürfte er mit zwei weiteren Männern Anschläge in Mekka, Istanbul und Dubai geplant haben. Einer von ihnen, der 20-jährige Hasan E. aus Bruck/Leitha, soll in Mekka fünf Menschen niedergestochen haben und sitzt in Saudi Arabien in Haft.
Kommentare