Wie man Radikalisierung im Internet verhindern könnte

Ein Video der islamistischen Influencer „Generation Islam“ preist mit freundlicher Frauenstimme die Vorzüge eines Kalifats.
Das Kalifat: Diktatur oder Hoffnung für die Menschheit? Dieser Frage widmet sich ein Video der islamistischen Influencer der „Generation Islam“. Eine freundliche Frauenstimme erläutert, dass es Bestrebungen der Politik gebe, das Kalifat falsch darzustellen, ja sogar „schaurige Assoziationen“ zu wecken.
Der Frage, wie Feminismus die Familie zerstört, geht wiederum ein Clip von „Realität Islam“ auf den Grund: Ein junger, vollbärtiger Mann im T-Shirt warnt vor „kranken Vorstellung von Geschlechterkampf“ und dass „Studien negative Folgen des Films ,Barbie’ auf Ehebeziehungen“ belegen würden. Sein Fazit: „Der Islam sieht für Menschen etwas Besseres vor. Wir dürfen uns nicht dem Druck von Emanzen oder LGBTQ-Aktivisten beugen.“
Es sind nur zwei von unzähligen Videos, die jederzeit abrufbar sind, etwa auf Youtube. Der Tonfall ist freundlich, die Aufmachung wirkt professionell. Doch mit derlei Clips werden „Jugendliche niederschwellig mit extremistischem Gedankengut in Berührung gebracht und schlimmstenfalls radikalisiert“, warnt Ferdinand Haberl, stellvertretender Direktor der Dokumentationsstelle Politischer Islam.
Wie die muslimische Community reagiert
Auch der Attentäter von Villach soll sich online radikalisiert haben. Doch wie kann man gegensteuern? Eine Frage, die auch die muslimische Community beschäftigt.
„Die Entwicklung in sozialen Medien ist eine enorme Herausforderung“, bestätigt Nadim Mazarweh, Leiter der Stelle für Deradikalisierung der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ).
Anstatt in die Moschee, geht man ins Internet
Vor allem seit Corona: „Mit Fragen der Spiritualität sind Menschen früher in die Moschee gekommen. Heute gehen vor allem die Jungen ins Internet. Im besten Fall stoßen sie dort nicht auf Hetze, sondern auf Botschaften, die stark verkürzt sind.“
Vor allem müsste man die Betreiber der Plattformen in die Pflicht nehmen, betont Mazarweh. Derzeit passiere aber das Gegenteil: „Wenn Elon Musk sagt, er möchte mehr Meinungsfreiheit, stellt es mir die Nackenhaare auf.“ Auf Inhalte von Kanälen wie X, Tiktok und Co. habe man keinen Zugriff. „Wir können nur in den Moscheen mit den Menschen sprechen, sie sensibilisieren und erklären, dass diese Kanäle mit höchster Vorsicht zu genießen sind.“
"Prägnant, kurz und bündig"
Tarafa Baghajati, Imam und Obmann der „Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen“, befasst sich ebenfalls mit der Problematik: „Wir brauchen Formate, die genauso prägnant, kurz und bündig sind wie diese Videos, die im Netz kursieren. Natürlich besteht die Gefahr der Vereinfachung von komplexen Themen. Aber ich bin überzeugt, dass wir keine andere Wahl haben“, sagt er.
Experte für mehr Sozialarbeit im Netz
Für mehr Sozial- und Präventionsarbeit im Onlinebereich sowie für alternative Erzählungen in den sozialen Medien plädiert auch Integrationsexperte und Soziologe Kenan Güngör. Und auch er weist auf die entscheidende Rolle der großen Anbieter wie Tiktok, Facebook oder Youtube hin: „Ich habe die Sorge, dass wir durch die derzeit in den USA propagierte Öffnung der Meinungsfreiheit der dschihadistischen Propaganda Tür und Tor öffnen.“ Hier müsse Europa klar Gegenmaßnahmen fordern.
Accounts potenzieller Gefährder mit Genehmigung zu überwachen, hält Güngör übrigens für sinnvoll.
Sanktionen hingegen sollten nicht pauschal erfolgen, Stichwort „Massenüberprüfung“: „Man darf nicht übersehen, dass die meisten Geflüchteten selbst über die Attentate entsetzt sind. Wir sollten sogar eine gute Basis mit ihnen haben, um von ihnen Hinweise zu bekommen, wenn sie Anzeichen für Radikalisierungen in ihrem Umfeld wahrnehmen. Dazu braucht es Vertrauen.“
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