Unter anderem ging es um Integration und Ausgrenzung – der KURIER bat zudem den Soziologen Kenan Güngör, Inhalte des Gesprächs einzuordnen.
- Wer sitzt nun in der Zentrale in Favoriten: Millî Görüş oder die Islamischen Föderationen (IF)?
Als Österreichische Sektion der türkischen Millî Görüş wolle man nicht bezeichnet werden, betont IF-Sprecher Tașdöğen. Die IF sei die Vertretung der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) mit Sitz in Deutschland. Doch es sei wichtig, zu unterscheiden: „Die türkische Millî-Görüş-Bewegung ist politisch aktiv. Wir sind eine Religionsgemeinschaft und betreiben Moscheen.“
Laut Kenan Güngör sei jedoch auch die Bezeichnung Millî Görüş zulässig: „Institutionell hat sich die IF in Europa zwar von der Millî Görüş, die in der Türkei kaum noch existiert, getrennt. Doch religiös-weltanschaulich steht sie in direkter Nachfolge der Bewegung.“
- Für welche Werte stehen die Islamischen Föderationen?
Um mehr über die IF zu erfahren, war kürzlich eine Studie geplant, an der auch Güngör mitwirken hätte sollen: „Wir wollten untersuchen, welche Strömungen es gibt und welche Inhalte vermittelt werden.“ Vorgespräche waren weit fortgeschritten – dann habe sich die IF zurückgezogen. Die Fragestellung sei den IF letztlich zu Problem-zentriert gewesen sei, so Güngör: „Das fand ich bedenklich. Forschung, die etwas nur positiv darstellt, ist keine richtige Forschung.“
Man habe sich der Studie nicht entziehen wollen, schildert Tașdöğen. Doch hinter der Studie stand die Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI). „Die DPI hat sich nicht an Vereinbarungen gehalten und hat Studien über uns ohne unser Wissen veröffentlicht. Daher fehlt es hier an Vertrauen.“ Gegen deren Islamlandkarte sei man etwa sogar mit einem Anwalt vorgegangen. „Dort wurden Begriffe verwendet, die uns in die Nähe von Terroristen gerückt haben“, so Tașdöğen. Studien, die von der DPI finanziert werden, hätten vor allem ein Ziel, fügt Arslan hinzu: „Muslime hier als böse zu zeichnen.“
Der Rückzug sei strategisch kein kluger Schritt gewesen, sagt Integrationsexperte Güngör: „Wenn es von einer Organisation tendenziell ein negatives Bild gibt, führt Nicht-Kommunikation zur Verstärkung dieses negativen Bildes.“
- Fördern die Islamischen Föderationen die Integration?
„Man sollte Muslimen nicht immer vorwerfen, dass sie Integrations-unwillig sind“, sagt Tașdöğen. Als in den 1960er-Jahren Gastarbeiter kamen, war Integration kein Thema – man ging davon aus, dass die Menschen in ihre Heimat zurückkehren. Als klar war, dass viele bleiben, habe man sich aktiv um Integration bemüht. „Wir haben eine Jugend- und eine Frauenabteilung gegründet, Hausaufgabenhilfe angeboten, zum Tag der offenen Moschee geladen.“ Mittlerweile seien die dritte und vierte Generation tonangebend – der Fokus liege eindeutig auf dem Leben in Österreich.
Per se seien die IF nicht Integrations-feindlich – aber sie seien auch nur begrenzt Integrations-offen, sagt Güngör: „Sie wollen Muslimen hier von der Geburt bis zur Bahre ein stark religiöses, islamisches Leben schaffen. Dazu bauen sie eine religiöse Infrastruktur mit eigenen Moscheen, Kindergärten, Schulen und vielem mehr. Das fördert jedoch eher das Nebeneinander und man bleibt einander fremd. Somit wird eine gemeinsame Sozialisation, die wir brauchen, institutionell behindert.“
- Werden Muslime in Österreich diskriminiert?
Ja, antworten Tașdöğen und Arslan. „Das erleben wir beim Einkaufen, in der U-Bahn oder wenn jemand keine Finanzierung erhält.“ Tașdöğen fügt hinzu: „Die Muslime erleben derzeit, was einst die Juden erlebten. Man hat gesagt, man soll mit ihnen keine Geschäfte machen, sie isolieren und als Integrations-unwillig betrachten.“ Der Kommunikation verschließe man sich nicht: Erst kürzlich habe man eine Tagung organisiert, zu der kritische Vertreter aus Politik und Forschung geladen waren. „Ich würde mir wünschen, dass diese Aktivitäten mehr wahrgenommen werden.“
Güngör beurteilt die Lage differenzierter: „Ja, man kann sagen, dass Berichterstattung über Muslime oder Millî Görüş primär problemzentriert und negativ konnotiert ist“, sagt er. „Doch man macht es sich zu einfach, wenn man das nur kritisiert, ohne die Frage zu stellen: Gibt es Gründe dafür?“ Es gebe sicherlich Moderate – aber ebenso jene, die Sympathien für Islamismus und Autoritarismus hegten oder Demokratie-distanziert seien. „Zudem gibt es sehr tradierte Frauen- und Männerbilder sowie eine erzkonservative Auslegung des Islam.“
Was könnte man tun, um das Zusammenleben zu verbessern? „Wenn man Islamfeindlichkeit dauerhaft und glaubhaft bekämpfen möchte, muss man sich selbstkritisch und ernsthaft auch den eigenen Missständen widmen. Auf beiden Seiten gibt es da etwas zu tun – und beides begünstigt sich leider gegenseitig“, so Güngör.
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